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Peking: Der Staat bin ich: Chinas Präsident Xi Jinping schneidert sein Land maß

Peking

Der Staat bin ich: Chinas Präsident Xi Jinping schneidert sein Land maß

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    Herrscherpose: Präsident XI Jinping 2019 bei der Parade zum 70. Gründungsjubiläum der Volksrepublik China.
    Herrscherpose: Präsident XI Jinping 2019 bei der Parade zum 70. Gründungsjubiläum der Volksrepublik China. Foto: Li Tao, Xinhua, dpa (Archivbild)

    Sie schwärmen aus in das Riesenreich. Die Minister, die wichtigsten Kader. Keine Region wird vergessen. So ist das im sommerlichen China. Alle fünf Jahre sind die Spitzenpolitiker besonders reisefreudig. Auch der Präsident und Generalsekretär der Kommunistischen Partei (KP) ist unterwegs, im Nordosten des Landes. Wer weiß, wie oft Xi Jinping bei seinem Besuch der Provinz Liaoning an den 20. Parteitag gedacht hat, der im Herbst ansteht. Dann folgen rund 2300 Delegierte dem Ruf des Zentralkomitees der chinesischen KP, um sich in der „Großen Halle des Volkes“ in Peking zu treffen. Sicher ist, dass Xi alles veranlasst hat, damit die Inszenierung nicht nur wie gewohnt bombastisch gerät, sondern auch ganz in seinem Sinne.

    Eine Machtfülle wie bei Diktator Mao Zedong – so etwas sollte es in China nie wieder geben. Das Rezept dagegen: das Prinzip der kollektiven Führung, sprich eine Verteilung der Befugnisse auf mehrere Schultern. 1982 wurde die Regelung in die Verfassung geschrieben, dass ein Präsident nur zwei Amtszeiten absolvieren darf. Heute ist dieses Konzept pulverisiert.

    China-Experte: "Xi will so groß sein wie Mao, aber nicht genauso wie Mao"

    Wer ist der Mann, dem dies gelang, der die Macht seit 2012 als Generalsekretär der Partei und seit 2013 als Präsident an sich gerissen hat? Wer ist der Politiker, der immer wieder „der neue Mao“ genannt wird? Eine Formulierung, die der China-Experte Reinhard Bütikofer differenziert: „Xi will so groß sein wie Mao, aber nicht genauso wie Mao“, sagt der Politiker, der für die Grünen im Europaparlament sitzt, unserer Redaktion. Dem Ziel, so bedeutend zu sein wie der Gründer der Volksrepublik und „Große Vorsitzende“ Mao, dürfte Xi im Herbst auf dem gigantischen 20. Parteitag der KP einen großen Schritt näherkommen. Es gilt als sicher, dass er von den Delegierten zum dritten Mal als Präsident bestätigt wird. Xi Jinping selbst war es, der 2018 dafür sorgte, dass die Begrenzung auf zwei Amtsperioden kurzerhand aus der Verfassung gestrichen wurde.

    Eine solche Durchsetzungsfähigkeit hatten Weggefährten und vor allem Konkurrenten in Chinas KP Xi nicht im Entferntesten zugetraut. „Viele, die Xi Jinping noch aus seiner Zeit als Politiker in verschiedenen Provinzen kannten, haben sich in ihm getäuscht. Mit welcher Vehemenz er das System in den letzten zehn Jahren auf sich zugeschnitten hat, hätte kaum einer erwartet“, sagt Bernhard Bartsch, Experte für Außenpolitik des Mercator-Instituts für China-Studien (Merics), im Gespräch mit unserer Redaktion. Man hatte eher vermutet, dass ein Mann, der in seiner Jugend persönlich unter der Kulturrevolution gelitten hat, gegen Personenkult, gegen Konzentration der Macht gefeit sein würde. „Nun ist es Xi, der das Prinzip der kollektiven Führung ausgehebelt hat.“

    Noch ist der Teller mit dem Konterfei von Mao Zedong im Souvenirshop größer als der von Präsident Xi Jinping.
    Noch ist der Teller mit dem Konterfei von Mao Zedong im Souvenirshop größer als der von Präsident Xi Jinping. Foto: Andy Wong, dpa

    Xi Jinping, der am 1. Juni 1953 in Fuping in der armen Kohleprovinz Shaanxi zur Welt kam, wurde gewissermaßen in die KP hineingeboren. Sein Vater Xi Zhongxun (1913 bis 2002) zählte zu den engsten Mitstreitern Maos, zur legendären „ersten Generation“ der kommunistischen Bewegung. Er nahm 1934 am „langen Marsch“ – der Flucht der Kommunisten vor den Nationalisten – teil, stieg 1959 zum Vizepremierminister auf. Doch später fiel er während der Kulturrevolution vorübergehend in Ungnade, die Familie wurde schikaniert und gedemütigt.

    Der junge Xi arbeitete mehrere Jahre auf dem Feld, er soll einige Zeit gar in einer Höhle in der Nähe des Agrarbetriebs gelebt haben. 1978, also zwei Jahre nach dem Tod Maos, wurde der Vater Xi Zhongxun rehabilitiert. Wann und warum der Sohn sich entschlossen hat, in einem Staat, den er in jungen Jahren als massive Bedrohung erlebt haben muss, mit aller Kraft aufzusteigen, bleibt im Dunkeln. Über das Ergebnis dieser Entscheidung aber macht sich Bütikofer keine Illusionen: „Er hat sich dem System der Gnadenlosigkeit angepasst und es, einmal selbst an der Macht, totalitär perfektioniert.“

    Als besonders charismatisch gilt Chinas Präsident Xi nicht

    Obwohl Xi Jinping keinesfalls ein charismatischer, mitreißender Führer ist, nimmt der Personenkult um den 69-Jährigen bisweilen skurrile Formen an. „Eine Propagandawelle folgt der nächsten; es gibt allein dutzende Institute zur Verbreitung der Xi-Jinping-Ideen. Ich würde ihn durchaus als größenwahnsinnig bezeichnen“, sagt Außenpolitik-Experte Bartsch.

    Das ist die eine Seite. Es gibt aber viele andere Facetten Xis: „Seine große Stärke ist sein effektives machtpolitisches Handwerk.“ Bartsch nennt als Beispiel eine große Antikorruptionskampagne, mit der er nicht nur die Bestechlichkeit bekämpft, sondern vor allem „gezielt das Lager mächtiger Gegner ausgeschaltet“ habe. „In den Behörden, aber auch in den Unternehmen hat die Partei Steuerungsgruppen installiert, die überall im Land Zugriff und Entscheidungsmöglichkeiten sicherstellen.“ Der Preis für den Versuch, alles im Griff zu haben, zahlen die Bürgerinnen und Bürger, die von einem gewaltigen Sicherheitsapparat in fast jedem Lebensbereich kontrolliert werden. Allerdings stören sich viele Chinesen daran nicht.

    Corona-Tests gab es in China wegen seiner Null-Covid-Strategie sogar für Fische.
    Corona-Tests gab es in China wegen seiner Null-Covid-Strategie sogar für Fische. Foto: Kyodo, dpa (Archivbild)

    Auch für Bütikofer ist offensichtlich, dass Xi „geschickt darin ist, Macht zu zentralisieren“. Dass er diese „Stärke unverdünnt ausspielt“ sei aber letztlich eine Schwäche. „Er ist auch ,gut‘ darin, in China die nationalistische Karte zu spielen. Aber wer diesen Tiger einmal bestiegen hat, kommt nicht wieder unbeschadet herunter.“ Ideologie und Nationalismus, ein Mix, der für China nicht selten negative Folgen hat. „Es läuft derzeit keineswegs rosig. Es gibt wirtschaftliche Probleme, auch durch die kompromisslose und aggressive Politik Pekings. Daran hat Xi durchaus seinen Anteil“, betont Bartsch. Der Präsident habe Konflikte losgetreten, die dazu geführt hätten, dass das Land in einigen Sparten erschwert Zugang zu Spitzentechnologien hat. Hinzu komme, dass Xi oft sehr ungeduldig sei. Chinas rücksichtsloses Streben nach Autarkie habe extrem kritische Reaktionen des Auslands provoziert.

    Und im Inland? Wo ist der Widerstand gegen den Autokraten Xi und die Diktatur der Partei? Westliche Medien berichteten ausführlich darüber, dass die Null-Covid-Strategie der Regierung für Unverständnis, ja Wut bei Bewohnerinnen und Bewohnern der vielen Millionenstädte gesorgt hat. Tatsächlich haben die flächendeckenden, mit fast religiös anmutender, rücksichtloser Konsequenz durchgesetzten Lockdowns die gigantische chinesische Wirtschaftsmaschine empfindlich gebremst. Videos von Chinesinnen und Chinesen im eigentlich perfekt überwachten Internet, die ihre Ohnmacht angesichts überfüllter Notaufnahmen in den Krankenhäusern, Isolation und fehlender Einkaufsmöglichkeiten herausschreien, gingen um die Welt. Doch Massenproteste blieben aus. „Xi schafft es, Probleme auf andere abzuwälzen.

    Xi Jingping spielt in China die Karte des Nationalismus

    Schuld sind dann das Ausland oder irgendeine Bezirksregierung, die angeblich versagt hat. Bis auf die Familien, die existenziell unter der Null-Covid-Strategie gelitten haben, scheinen die meisten Chinesen die Corona-Politik mitzutragen – und wenn sie es nicht tun, können sie es nicht zeigen“, sagt Bartsch. Sündenböcke für Defizite zu benennen ist eine Masche, Xis Masche. Wenn ständig die „bösen“ USA oder der Westen allgemein für Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht werden, liegt die Spielkarte Nationalismus schnell auf dem Tisch. Ein „Trumpf“, den Xi immer häufiger und aggressiver ausspielt. Mit weitreichenden Folgen auch im Inland. Denn unter die Räder geraten dabei Minderheiten wie die Uiguren, deren jahrhundertealte Kultur ausradiert werden soll – mit Lagern, Gleichschaltung, Sterilisationen und Folter, wie Dokumente beweisen, die an die Öffentlichkeit gelangt waren.

    An der Militärparade zum Gründungsjubiläum des Landes nahmen 15.000 Soldaten teil.
    An der Militärparade zum Gründungsjubiläum des Landes nahmen 15.000 Soldaten teil. Foto: Chen Yehua, XinHua/dpa

    Was den Dauerkonflikt um Taiwan betrifft, hat die Führung um Xi mit einer immer maßloseren Rhetorik ihren politischen Spielraum selbst eingeschränkt. Viele Chinesinnen und Chinesen erwarten, dass dem mantrahaft vorgetragenen Dogma, die Inselrepublik müsse und werde in die Volksrepublik einverleibt, nun auch Taten statt nur Drohgebärden und Seemanöver folgen: „In der Taiwan-Frage verschiebt Xi den Status quo aggressiver als seine Vorgänger. Vieles deutet auf eine Eskalation hin. Ob das bis zu einem militärischen Konflikt geht, ist offen. Aber es scheint Xis großer Traum zu sein, dass Taiwan zu seinen Lebzeiten‚ in die Umarmung des Mutterlandes zurückkehrt‘“, sagt Bartsch. Doch noch schreckt der Autokrat vor den militärischen Risiken und vor politischen und wirtschaftlichen Folgen einer gewaltsamen Annexion zurück.

    Persönlich hat Xi Jinping so gar nichts vom testosterongesteuerten, aufbrausenden Wesen etwa eines Donald Trump. Politiker, die mit ihm zusammentrafen, würden ihn als sehr kontrollierten und durchaus angenehmen Gesprächspartner beschreiben, der allerdings kaum etwas Persönliches durchblitzen lasse, sagt Bartsch, der viele Jahre als Korrespondent in China und Hongkong gearbeitet hat. Sein Privatleben hat der Präsident gut abgeschirmt. Öffentlich wird nur, was öffentlich werden soll. Seine zweite Frau, die er 1987 heiratete, hat Glamourpotenzial: Die populäre Sopranistin Peng Liyuan, die in den USA studiert hat, gilt als sehr gebildet, selbstbewusst und modern. Mit ihr hat Xi eine Tochter. Es heißt, dass der Präsident sportlich ist und sehr viel liest.

    China-Experte: "In 45 Jahren noch nie so wenig Freiheit wie heute"

    Mit fehlendem Selbstbewusstsein sollte man seine Zurückhaltung dennoch nicht verwechseln. Xi Jinping hat klare Vorstellungen von seiner Machtfülle und den Optionen, diese noch zu erweitern. Die Gelegenheit dazu bekommt er im Oktober oder November. Beim 20. Parteitag wird nicht nur die dritte Amtszeit Xis besiegelt, es steht auch noch eine durchgreifende Verjüngung der Partei an. Vorgesehen ist, dass für die Kader eine Pensionsgrenze von 68 Jahren gilt – eine Altersbeschränkung, die selbstredend nicht für den Präsidenten gilt, ihm aber Gelegenheit bietet, seine Machtbasis zu erweitern und erfahrene Gegner loszuwerden.

    Die Frage ist, ob oder besser wann Xis Machthunger an Grenzen kommen könnte: „Er wird sich sein Umfeld an Führungspersonen der zweiten Reihe weitgehend aussuchen können. Doch ist es, um ein Bild von Mao zu gebrauchen, vorstellbar, dass diese Leute irgendwann die rote Fahne schwenken, um die rote Fahne zu bekämpfen. Das kann dann passieren, wenn Xis absolutistischer Machtanspruch so große gesellschaftliche, ökonomische und politische Kosten verursacht, dass die Stabilität der KP-Herrschaft in Mitleidenschaft gezogen wird“, sagt China-Experte Bütikofer. Auch Bartsch denkt über Faktoren nach, die für Xi zur Gefahr werden könnten. „Für ihn könnte es in einigen Jahren zu einem Problem werden, wenn er seine Nachfolge nicht regelt. Irgendwann wird es in der Partei Kämpfe darum geben, wer ihn eines Tages beerben soll.“

    Dass Xi eine vierte oder gar fünfte Amtszeit anstrebt, ist keineswegs ausgeschlossen. Doch irgendwann wird – aus biologischen oder politischen Gründen – auch diese Ära zu Ende gehen. Alles spricht dafür, dass Reinhard Bütikofers aktuelle Einschätzung bis dahin weiter ihre Gültigkeit besitzt: „Es gab wohl in China in den letzten 45 Jahren noch nie so wenig Freiheit wie heute.“

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