In China wurden die Aufnahmen sofort von den Zensoren gelöscht, doch außerhalb der Volksrepublik dürften sie schon bald in die Geschichtsbücher eingehen: Bei der Abschlusszeremonie des Treffens der Kommunistischen Partei in Peking wurde, kurz nachdem die internationale Presse in der oberen Zuschauertribüne der Großen Halle des Volkes Platz genommen hatte, Ex-Präsident Hu Jintao von einem Ordner des Saales verwiesen. Der 79-Jährige wehrt sich mehrfach, möchte ganz offensichtlich nicht gehen. Als er unter Zwang hinausgeleitet wird, versucht er sich noch mit seiner linken Hand an der Schulter Xi Jinpings zu halten, doch dieser schaut nur betreten auf den Boden.
Was genau die Gründe für die öffentliche Demütigung waren, wird die Weltöffentlichkeit angesichts der Verschlossenheit des chinesischen Führungszirkels wohl nie erfahren. Doch man kommt nicht umhin, die Symbolik der Bilder als Beginn einer neuen Ära zu deuten: Die alte Volksrepublik der Nullerjahre, verkörpert durch Hu Jintao, muss abtreten, um Platz für das neue China unter Alleinherrscher Xi Jinping zu machen. „Das war nicht nur ein Abschied von Hu Jintao, sondern auch von 43 Jahren Reformpolitik“, kommentiert ein chinesischer User auf Youtube.
Wirtschaftliche Öffnung scheint vorüber
Und in der Tat scheint die einstige wirtschaftliche Öffnung, die 1979 unter Deng Xiaoping begann, nun ein Ende zu finden. Deng hatte damals nicht nur die Marktwirtschaft ins Land gelassen, sondern auch eine damals bahnbrechende Amtszeitbegrenzung auf zehn Jahre bestimmt. Damit sollte verhindert werden, dass sich die tragische Geschichte Chinas wiederholt: Nach dem jähen Fall von Staatsgründer Mao Tsetung, der das Land in politisches Chaos gestürzt hatte, wollte man keinem Generalsekretär mehr solch unantastbare Macht und exzessiven Persönlichkeitskult zugestehen.
Doch genau das macht nun Xi Jinping, Chinas Staats- und Parteichef. Auf seiner ersten Plenarsitzung bestätigte das neue Zentralkomitee der Kommunistischen Partei den 69-Jährigen für eine dritte fünfjährige Amtszeit als Generalsekretär und Chef der Militärkommission. Sämtliche Kader des Ständigen Ausschusses, welche künftig den Kurs des Landes bestimmen werden, sind zudem künftig entweder ideologische Loyalisten oder langjährige Vertraute des 69-Jährigen. Seine Macht dürfte nun absolut geworden sein.
Wird LI Qiang der nächste Premierminister?
Der vielleicht größte Paukenschlag: Der Technokrat Li Qiang, gilt als nächster Premierminister – also Inhaber jenes Postens, der die Wirtschaft der Volksrepublik prägt. Für viele Unternehmensvorstände dürfte dies ein Schreckensszenario sein. Denn Li implementierte als Bürgermeister von Shanghai den weltweit wohl größten Covid-Lockdown, bei dem die meisten der über 25 Millionen Einwohner zwei Monate in ihren Wohnungen eingesperrt und zu Hunderttausenden in Quarantänelager eingepfercht wurden.
Damals hatten Experte vermutet, dass Li Qiangs Karriere vorüber sein würde. Doch seine absolute Loyalität macht ihn zum idealen Kandidaten für Xis Führungszirkel. Wer Premier wird oder sich um die Wirtschaft kümmert, spielt aus Sicht des China-Experten Richard McGregor vom australischen Lowy-Institut allerdings keine große Rolle mehr. „Ist das wichtig, wenn all diese Leute einfach Marionetten von Xi Jinping sind?“, fragte McGregor. „Er hat jede Fähigkeit von jemanden an seiner Seite beseitigt, nicht nur Widerstand gegen ihn zu organisieren, sondern auch nur gegen seine Position zu argumentieren.“
Für die europäische Wirtschaft dürfte das weitreichende Folgen haben: Ökonomische Interessen des Landes werden sich auch in den nächsten Jahren verstärkt ideologischen Prinzipien und politischer Kontrolle unterordnen müssen. Der Fokus auf reinem Wachstum ist passé.
Kritik ist künftig nicht mehr erwünscht
Dem Apparat fehlt es zudem künftig an einem ausgleichenden Element. Sämtliche Wirtschaftsreformer und Pragmatiker, allen voran der scheidende Premier Li Keqiang und sein enger Vertrauter Wang Yang, gehen in Rente oder wurden ins politische Aus gedrängt. Li Keqiang war der vielleicht letzte Parteikader, der bei seinen öffentlichen Auftritten die realen Probleme der Bevölkerung ansprach, anstatt nur ideologische Floskeln zu nutzen. Und ebenfalls gibt es erstmals seit den späten Neunzigern keine einzige Frau mehr in dem 25-köpfigen Politbüro. Auch fehlen im neuen Zentralkomitee trotz der Krise der zweitgrößten Volkswirtschaft erfahrene Mitglieder des bisherigen Wirtschaftsteams – obwohl nicht alle die Altersgrenze erreicht haben.
Auf dem Kongress stimmte Xi Jinping das Milliardenvolk auf schwere Zeiten ein und warnte vor „gefährlichen Stürmen“. Kämpferisch wandte er sich mit Blick auf die USA gegen „Schikane und Machtpolitik“ und rief zu einer Eroberung des als Teil der Volksrepublik betrachteten demokratischen Taiwans auf. (mit dpa)