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Parteitag: Bloß kein Streit: Grünes Familientreffen mit roten Linien

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Bloß kein Streit: Grünes Familientreffen mit roten Linien

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    „Signal der Geschlossenheit“: Die Grünen-Chefs Ricarda Lang und Omid Nouripour.
    „Signal der Geschlossenheit“: Die Grünen-Chefs Ricarda Lang und Omid Nouripour. Foto: Thomas Banneyer, dpa

    „Ihr seid Verräter, Verräter seid ihr“, ruft eine Aktivistin vor den Toren des Grünen-Parteitags. Die Kriegsgegnerin beschimpft die Delegierten der Partei, die am Freitagnachmittag in das Kongresszentrum am Rheinufer in Bonn strömen. Andere Aktivisten fordern, dass das Örtchen Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier bleiben muss, statt wie geplant von den Baggern gefressen zu werden. Eine dritte Gruppe besteht darauf, dass die verbliebenen Atomkraftwerke Ende des Jahres abgestellt werden – Versorgungssicherheit hin oder her. „Keinen Tag länger“, fordert das gespannte Banner im verregneten Herbst der alten Hauptstadt. Wie früher bei Grünen-Parteitagen spielt einer auf der Klampfe politische Lieder.

    Anhänger hadern, doch die Partei trägt die Kompromisse bislang mit

    Waffenlieferungen an die Ukraine, Braunkohle und längere Laufzeiten für Atomkraftwerke – nach noch nicht einmal einem Jahr an der Regierung haben die Grünen ihr Milieu und ihre Vorfeldorganisationen schwer enttäuscht. Doch der Riss hat sich nicht in die Partei verlängert, so sah es zumindest zum Beginn des Parteitages aus, der noch bis Sonntag läuft. „Von diesem Parteitag wird ein Signal der großen Geschlossenheit ausgehen“, sagte eine entspannte Vorsitzende Ricarda Lang. Ihr Co-Chef Omid Nouripour freute sich auf ein „Familientreffen nach langer Zeit“.

    Wie das bei fast allen Familien so ist, sind nicht alle nur gut Freund miteinander. Die Rolle des knarzigen Onkels gab Partei-Veteran Jürgen Trittin, der einst den ersten Atomausstieg verhandelt hatte. Trittin hatte einen Antrag eingebracht und die Sprache im Atomstreit noch einmal angeschärft. Mitte April müsse wirklich Schluss sein mit den Meilern in Süddeutschland, neue Brennstäbe dürfe es auf keinen Fall geben, das AKW Emsland im Norden gehöre Silvester abgestellt. „Die FDP hat sich bewegt beim Abwehrschirm, die Grünen haben sich bewegt beim Streckbetrieb“, sagte Trittin. „Wir sind ja nicht bei Wünsch-Dir-Was.“ Er pendelte zwischen Sitzungssaal und dem provisorischen Büro der Parteitagsleitung, um eine gemeinsame Sprachregelung zu finden.

    Jürgen Trittin als knorriger Onkel, Robert Habeck als Familienoberhaupt

    Wenn Jürgen Trittin der knorrige Onkel ist, dann ist Robert Habeck das Familienoberhaupt. Im Prinzip trennte Trittins Position und die Habecks nicht viel. Letzterer behielt sich nur ein wenig mehr Spielraum vor, um im Atomkrach mit der FDP innerhalb der Bundesregierung etwas beweglicher zu sein. Doch das Duell Jürgen gegen Robert sollte nach dem Willen der Führungsriege unbedingt ausfallen. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir eine gute Lösung gemeinsam finden werden“, meinte Parteichefin Lang.

    So kam es dann auch. Trittin setzte sich durch und seine Vorgaben wurden in den Leitantrag der Parteispitze übernommen, der schließlich auch mit großer Mehrheit beschlossen wurde. Trittins Ziel war, Habeck und der Grünen-Fraktion im Bundestag Fesseln anzulegen. Habeck sollte keine Beinfreiheit für Deals mit Lindner bekommen. Der Wirtschaftsminister versuchte in seiner umjubelten Rede, die neue Lage umgehend zu nutzen. „Wir gehen dahin, wo es weh tut“, rief er den 800 Parteimitgliedern zu. Kernkraft und Gas hätten Deutschland in die fatale Lage gebracht. „Sie sind nicht die Lösung, sie sind das Problem.“ Habeck kann sich nun andererseits vor Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner stellen und sagen, ich stehe hier und kann nicht anders. Zumindest deutete sich das an.

    Für die leidige Braunkohle hatten sich die Grünen auch einen Ausweg ausgedacht. Um schneller von Kohle, aber auch von Öl und Gas wegzukommen, forderte eine große Gruppe 100 Milliarden Euro zusätzlich für den Klimaschutz. Das Geld soll eingesetzt werden, um mehr Wärmepumpen, Windräder und Solaranlagen zu bauen. Die Forderung ließ sich auch als Rache an Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner lesen, der den Grünen die Atomdebatte zum Parteitag beschert hatte.

    Mit einer Forderung rächen sich die Grünen an FDP-Chef Christian Lindner

    Eigentlich sollte der Streckbetrieb für die Kraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim längst im Kabinett beschlossen sein, doch nach der Niederlage der Liberalen bei der Landtagswahl in Niedersachsen hatte Lindner sein Veto eingesetzt. 100 Milliarden Euro vom Finanzminister zu fordern, der sich nach Kräften und mit Schattenhaushalten müht, die Schuldenbremse im nächsten Jahr irgendwie wieder einzuhalten, macht ihm das Leben schwerer.

    „Wir ducken uns nicht weg vor schwierigen Entscheidungen“, sagte Ricarda Lang. Während die Aktivisten draußen Stimmung machten, ging es in der Halle sachlich, einträchtig zu. Kein Vergleich mehr zu früheren Schlachten, derer es in der Historie der Partei viele gab. Selbst die beiden Herren von den „Grünen Alten“ wollen die Bambule nicht zurück. Der Kompromiss, die beiden AKW im Süden bis ins Frühjahr weiterzubetreiben, sei nicht schön, aber gehe schon in Ordnung, sagen sie nickend. Die Ruhe stören können hätten nur die enttäuschten Aktivisten von draußen, wenn sich einzelne in den Saal schmuggelten.

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