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Parteienforschung: Verschwimmen die Grenzen an den politischen Rändern?

Parteienforschung

Verschwimmen die Grenzen an den politischen Rändern?

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    Sahra Wagenknecht hat sich schon längst von ihrer Partei "Die Linke" entfremdet.
    Sahra Wagenknecht hat sich schon längst von ihrer Partei "Die Linke" entfremdet. Foto: Monika Skolimowska, dpa (Archivbild)

    Sahra Wagenknecht stand einst als Galionsfigur der Kommunistischen Plattform der Linken für den äußersten linken Flügel ihrer Partei. Wenn die 54-Jährige über Migration, Gendern, Energiepolitik oder den Ukraine-Krieg spricht, dann hören Politiker, aber auch Wähler der AfD gut zu. Mehr noch, sie applaudieren. So geschehen im September 2022: Während die Politikerin, die (noch) für die Linke im Bundestag sitzt, die Ampelkoalition im Plenarsaal bezichtigte, einen „Wirtschaftskrieg“ gegen Russland zu führen und das Ende der Sanktionen forderte, klatschten die AfD-Abgeordneten im Reichstag Beifall. Bereits Anfang des Jahres hatte der rechtsextreme Landeschef der Thüringer AfD, Björn Höcke, Wagenknecht gar angeboten, in seine Partei einzutreten. 

    Der rechtsextreme AfD-Politiker Björn Höcke aus Thüringen hat Sahra Wagenknecht eingeladen, in seine Partei einzutreten.
    Der rechtsextreme AfD-Politiker Björn Höcke aus Thüringen hat Sahra Wagenknecht eingeladen, in seine Partei einzutreten. Foto: Ralf Lienert

    Hat Höcke Angst vor einer potenziellen Konkurrentin Wagenknecht, die seit geraumer Zeit laut über die Gründung einer eigenen Partei nachdenkt? Falls ja, dürfte er seit der Veröffentlichung einer aktuellen Insa-Umfrage noch schlechter schlafen: Das Institut hat für eine mögliche Wagenknecht-Partei 25 Prozent der Stimmen prognostiziert, wenn jetzt Landtagswahl in Thüringen wäre. Damit wäre sie stärkste Partei, noch vor der AfD, die dann nur noch auf 22 Prozent käme – rund zehn Prozent weniger als in den Umfragen ohne eine Wagenknecht-Partei. Die Linke würde nach den Insa-Daten von 21 auf 18 Prozent sinken, die Partei wäre also deutlich weniger betroffen, wenn Wagenknecht bei der Wahl, die in rund einem Jahr stattfindet, tatsächlich mit einer eigenen Partei antreten würde. 

    Ist eine "Querfront" mehr als nur eine Fata Morgana?

    Diese Zahlen befeuern eine Debatte, die schon in der Weimarer Republik die Gemüter erhitzte und bis heute in der Geschichtswissenschaft diskutiert wird. Wie stark berühren sich die politischen Extreme auf der äußersten linken und rechten Seite? Ist sogar eine „Querfront“ zwischen Links- und Rechtsaußen mehr als nur eine Fata Morgana? 

    Der Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ), Andreas Wirsching, sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: „Es gibt den berühmten Satz ,Die Extreme berühren sich’. Diese Tendenz kann man auch in Deutschland ein Stück weit beobachten. Es geht dabei um eine Fundamentalablehnung des Systems. Ob Sahra Wagenknecht so eingestellt ist, weiß ich gar nicht genau. Bei der AfD, gerade in Thüringen, ist es eindeutig – die Partei lehnt die repräsentative Demokratie ab. Sie ist eine Fundamentalopposition.“ 

    Doch Wirsching, der an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Professor lehrt, ist zurückhaltend, wenn mit Blick auf die Weimarer Republik Szenarien kurzerhand in die Gegenwart transportiert werden.

    Oft ist von der Hufeisentheorie die Rede. Sie platziert die moderaten, demokratischen Parteien in den Bogen des Hufeisens und weist extremistischen Kräften die einander zugeneigten Spitzen zu. So soll versinnbildlicht werden, dass sich Gruppierungen, die auf den ersten Blick aus verfeindeten Lagern stammen, sehr nahestehen. Explizit gemeint waren die NSDAP an der rechten Spitze des Hufeisens und die KPD an der linken. 

    Andreas Wirsching, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, hält nicht viel von der Hufeisentheoriw über die Nähe extremistischer Parteien an den politischen Rändern.
    Andreas Wirsching, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, hält nicht viel von der Hufeisentheoriw über die Nähe extremistischer Parteien an den politischen Rändern. Foto: Matthias Balk, dpa (Archivbild)

    Experte Wirsching hält das für zu einfach gedacht: „Die beiden Parteien haben lediglich punktuell zusammengearbeitet, das berühmteste Beispiel ist der Streik bei den Berliner Verkehrsbetrieben 1932. Und sie hatten im Reichstag 1932 zusammen eine negative absolute Mehrheit gegen die Republik. Sie waren Todfeinde der Demokratie. Aber die Parteien haben ihre Stimmen aus sehr unterschiedlichen Milieus geschöpft.“ 

    Immer wieder wird darauf verwiesen, dass der Begriff „Nationalsozialisten“ ja beide ideologischen Pole in sich vereinigt. Tatsächlich formierte sich innerhalb der NSDAP Mitte der 20er Jahre ein „linker“ Flügel, der jedoch recht schnell ausgeschaltet wurde. „Die NSDAP hat kein sozialistisches Programm verfolgt, das war eher Camouflage“, sagt Wirsching. Ihr Erfolg habe sich nicht zuletzt daraus gespeist, dass viele bürgerliche Wähler zur Partei übergelaufen sind. „Das ist in der Wahlforschung eindeutig belegt.“ Versuche, die beiden Leitmotive – also die Klasse als Prinzip im marxistischen Sinne oder die Betonung der Nation in einem radikal-nationalistischen Sinne – zusammenzuführen, hätten nicht funktioniert. So sei es auch der Idee des Nationalbolschewismus ergangen. 

    Historiker Andreas Wirsching sieht kaum Parallelen zur Weimarer Republik

    Von einer „Querfront“ in Weimar kann also nicht die Rede sein. Einig waren sich Kommunisten und Nazis nur, wenn es gegen die verhasste Republik ging. Heute ist die Situation völlig anders. „Die Linke von Ministerpräsident Bodo Ramelow ist nicht systemfeindlich. Auch wenn es am linken Rand der Partei entsprechende Tendenzen geben mag“, sagt Wirsching. Auch gebe es große Unterschiede zwischen AfD und NSDAP, sowohl was die Ideologie betreffe als auch die innerparteiliche Verfasstheit. Die AfD sei verpflichtet, sich an das grundgesetzlich festgelegte Prinzip der innerparteilichen Demokratie zu halten. Erst wenn dieses Element wegfiele, müsste der Verfassungsschutz „ganz anders eingreifen“. 

    Mit Sorge blickt Wirsching auf die Auswirkungen des Erfolges der etablierten AfD: „Das parlamentarische System lebt von einem Pendelschlag zwischen links und rechts. Der ist jetzt massiv gestört, dadurch, dass bis zu 20 Prozent – in Ostdeutschland noch mehr – Rechtsaußen wählen.“ Die Brandmauer nach rechts sei für ihn zwar unabdingbar, zwinge aber die Parteien dazu, links davon zu regieren und große Kompromissfähigkeit an Tag zu legen. Ob das der politischen Stabilität dient, bezweifelt der Historiker: „Diese Entwicklung hat für mich eher etwas von einem Hauch von Weimar als etwa die faktische Radikalität der AfD.“

    An den großen, nachhaltigen Erfolg einer Wagenknecht-Partei glaubt Wirsching nicht

    Andreas Wirsching glaubt nicht daran, dass die Wagenknecht-Partei „mehr als einen Strohfeuereffekt“ auslösen könnte. „Sie würde extrem an einer Person hängen: an Sahra Wagenknecht.“ Hinzu komme, dass der Aufbau einer neuen Partei ein gewaltiges Organisationsproblem bedeuten würde. „Vielleicht wäre es am Ende besser für Wagenknecht, sich gleich an die AfD zu verkaufen, was ihr ja auch schon angeboten wurde. Ich sehe da nicht mehr so viele Unterschiede. Wenn sie in Thüringen mit einer neuen Partei antritt, würde sie im selben Milieu fischen, wie die AfD.“ 

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