Wer 2024 zur Europawahl geht, wird wohl eine neue Partei auf dem Abstimmungszettel finden. Das "Bündnis Sahra Wagenknecht" präsentierte sich am Montag erstmal als Verein. Doch Anfang 2024 soll daraus eine neue Partei werden. Die bisherige Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht besiegelt damit nach drei Jahrzehnten den Bruch mit ihren Genossen - sie ist mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten aus der Linken ausgetreten. Doch hat sie einen anderen Konkurrenten im Blick: Sie will nach eigenen Worten vor allem Wählerinnen und Wähler der AfD gewinnen. Was bisher geschah und wie es jetzt weitergeht:
Warum gründet Wagenknecht eine Partei?
Die in Jena geborene Wagenknecht, die 1989 in die DDR-Staatspartei SED eintrat, war jahrzehntelang eines der bekanntesten Gesichter der Linken. Doch bürstete sie immer wieder gegen den Strich. Selbst in ihrer Zeit als Fraktionschefin der Linken von 2015 bis 2019 war sie oft uneins mit der Parteispitze. 2021 schoss sie mit dem Buch "Die Selbstgerechten" gegen die von ihr so genannten "Lifestyle"-Linken. Das Buch ist ein Bestseller, bei öffentlichen Auftritten findet sie sehr viel Anklang. "Sie war von Beginn an auch eine Marke", schrieb der Politikwissenschaftler Oliver Nachtwey in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Jetzt macht sie sich mit ihrem politischen Markenkern selbstständig.
Was will Wagenknecht mit der Partei?
Der Zeitschrift "Emma" sagte sie: "Ich würde auch gerne eines Tages sagen können: Ich habe politisch dieses und jenes real bewirkt. Bisher war ich ja immer in der Opposition. Real Macht zu haben und etwas umsetzen zu können, das ist natürlich etwas ganz anderes." Unklar ist, welche Partner sie bei anderen Parteien fände, deren Politik sie pauschal ablehnt.
Was haben Wähler von einer Wagenknecht-Partei zu erwarten?
Wagenknecht und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer veröffentlichten am Montag ein "Manifest" für den neuen Verein. Darin heißt es: "Unser Land ist in keiner guten Verfassung." Beklagt wird der schlechte Zustand der Infrastruktur wie etwa Bahn oder Datennetze und des Bildungssystems. Wie dies genau geändert werden soll, wird aber nur in Umrissen beschrieben.
Gefordert wird ein "gerechtes Steuersystem, das Geringverdiener entlastet und verhindert, dass große Konzerne und sehr reiche Privatpersonen sich ihrem angemessenen Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens entziehen können". Wagenknecht will die Abkehr von Russland-Sanktionen, die Deutschland von billiger fossiler Energie wie Gas oder Öl abschnitten. Wind und Sonne reichten nicht zur Versorgung Deutschlands, sagte Wagenknecht. Klimaschutz gehe nur mit "Zukunftstechnologien".
Sie fordert eine Rückkehr zur "Entspannungspolitik" und betont, militärische Aktionen könnten weder in der Ukraine noch im Nahen Osten die Konflikte befrieden. Darüber hinaus beklagt das Manifest einen "autoritären Politikstil" und eine "cancel culture" in Deutschland.
Wird die Wagenknecht-Partei Konkurrenz zur AfD?
Das ist zu erwarten. Einer neuen Umfrage des Instituts Insa für die "Bild am Sonntag" zufolge könnten sich 27 Prozent der Menschen in Deutschland vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Das Potenzial bei derzeitigen AfD-Unterstützern ist laut Umfragen besonders hoch. Ob eine Wagenknecht-Partei das wirklich ausschöpft, hängt aber davon ab, ob sie sich bundesweit organisieren kann und wie ihr Programm konkret aussieht.
Wagenknecht selbst sieht ihre neue Partei als "seriöse Adresse" für Wählerinnen und Wähler der AfD. Und sie betont: "Selbstverständlich werden wir nicht gemeinsame Sache mit der AfD machen." Einige ihrer Positionen sind jedoch ähnlich wie bei der Rechtsaußenpartei, etwa bei Migration oder bei der Kritik an Russland-Sanktionen. Auch die Fundamentalkritik an der Regierung klingt manchmal ähnlich. Wagenknecht wiederholte am Montag ihre Klage, die Bundesrepublik habe "die wohl schlechteste Regierung ihrer Geschichte". Klare Unterschiede zur AfD gibt es in der Sozial- und Steuerpolitik. Wagenknecht grenzt sich zudem gegen Rassismus ab.
Wer geht mit Wagenknecht?
Mit Wagenknecht verließen neun weitere Bundestagsabgeordnete die Linke. Dazu zählt die bisherige Bundestagsfraktionschefin Amira Mohamed Ali und Wagenknechts langjähriger Unterstützer Christian Leye, die beide Funktionen im "Bündnis"-Verein haben. Vereins-Geschäftsführer wird der nordrhein-westfälische Linke Lukas Schön, Schatzmeister Unternehmer Ralph Suikat, der durch eine Kampagne zur Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen bekannt wurde. In der Bundestagsfraktion zählen auch die Abgeordneten Klaus Ernst, Alexander Ulrich, Sevim Dagdelen und Jessica Tatti zu Wagenknechts Umfeld.
Wann ist es soweit mit der Parteigründung?
Vereinsgeschäftsführer Schön kündigte die Parteigründung für Anfang 2024 an. Vorher soll das "Bündnis Sahra Wagenknecht" Vorarbeit leisten und Spenden sammeln. Zur Europawahl 2024 wolle man antreten. Ob dies auch bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland 2024 geschehe, sei offen.
Wie gründet man überhaupt eine Partei?
Das Bundesinnenministerium schreibt dazu: "Eine Partei kann grundsätzlich auf zweierlei Weise entstehen, nämlich durch Gründung oder durch Umwandlung einer bereits bestehenden Vereinigung in eine Partei." Bei einer Gründung müsse sie neben einer Satzung auch ein Programm beschließen. Parteien sind mehr als ein Verein oder eine Bürgerinitiative, das Grundgesetz schreibt ihnen eine besondere Rolle "bei der politischen Willensbildung des Volkes" zu. Deshalb erhalten sie auch staatliche Unterstützung - wenn sie bei Wahlen ein Mindestmaß an Erfolg haben. Dann bekommen sie für jede Stimme jährlich 83 Cent, dazu 45 Cent für jeden Euro aus Mitglieds- oder Mandatsträgerbeiträgen oder Spenden.
Was bedeutet die neue Partei für die Linke?
Die Linke erzielte bei der Bundestagswahl 2021 nur 4,9 Prozent der Stimmen und drei Direktmandate. Derzeit hat sie 38 Abgeordnete. Gehen Wagenknecht und Co. raus, hätte die Linke zu wenige Abgeordnete für eine Fraktion und könnte nur als Gruppe weitermachen. Mohamed Ali sagte, man wolle bis zur Parteigründung in der Fraktion bleiben - trotz Austritts aus der Linken. Ob das möglich ist, will die Fraktion "souverän" entscheiden, wie deren Vorsitzender Dietmar Bartsch sagte. Die Linke ist in jedem Fall in Existenznot. Die jüngsten Landtagswahlergebnisse fielen mit zwei bis drei Prozent sehr schwach aus. Die Vorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler beschwören indes den Neustart jetzt, da der Richtungsstreit mit Wagenknecht endlich vorbei ist.
(Von Verena Schmitt-Roschmann und Jörg Ratzsch, dpa)