Nach der Rückzugsankündigung von Fraktionschefin Amira Mohamed Ali schlittert die Linke noch tiefer in die Krise. Der Co-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Dietmar Bartsch, ließ offen, ob er selbst noch einmal für sein Amt antritt.
"Ob ich kandidiere, werde ich nach Gesprächen zeitnah entscheiden", sagte Bartsch der Deutschen Presse-Agentur. Hintergrund ist der Richtungsstreit der Parteispitze der Linken mit der Abgeordneten Sahra Wagenknecht.
Wagenknecht hat sich mit der Parteispitze um die Vorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler überworfen und erwägt die Gründung einer eigenen Partei. Deshalb hatte der Parteivorstand im Juni erklärt: "Die Zukunft der Linken ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht." Unter anderem damit begründete Mohamed Ali - eine Vertraute Wagenknechts - am Sonntag ihre Ankündigung, bei der Neuwahl des Bundestags-Fraktionsvorstands Anfang September nicht mehr zu kandidieren.
Beutin appeliert an Parteimitglieder
Parteivize Lorenz Gösta Beutin verteidigte den Bruch der Parteispitze mit Wagenknecht. Die mögliche Parteigründung mit Hilfe von Ressourcen der Linken habe eine rote Linie überschritten, sagte Beutin in Berlin. Doch sagte er auch: "Ich appelliere an alle Mitglieder dieser Partei, an alle Mitglieder der Fraktion, um die Einheit unserer Partei zu kämpfen und um den pluralen Charakter dieser Partei zu kämpfen."
Wagenknecht erneuerte jedoch ihre Kritik an der Parteispitze. "Die Vernachlässigung der Probleme normaler Bürger, die angesichts der desaströsen Politik der Ampel Angst um ihre Zukunft haben, wird zu weiteren Wahlniederlagen führen und macht die Linke perspektivisch zu einer bedeutungslosen Splitterpartei", sagte sie dem ARD-Hauptstadtstudio.
Der Kurs von Schirdewan und Wissler richte sich vor allem an junge Klimaaktivisten. "Ein wählbares Angebot für wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit wäre jedoch gerade in der heutigen Situation dringend notwendig", sagte Wagenknecht. Mehrere Vertraute von Wagenknecht hatten ähnliche Kritik geäußert. Der Bundestagsabgeordnete Alexander Ulrich nannte Mohamed Alis Rückzug einen weiteren Sargnagel für die Partei. "Die Linke verkommt leider zu einer Sekte", sagte er. "Wir hoffen auf Sahra Wagenknecht."
Riskanter Konflikt
Für die mit 39 Abgeordneten sehr kleine Bundestagsfraktion ist der zugespitzte Konflikt ein Risiko. Sie könnte ihren Status als Fraktion und damit finanzielle Mittel und Einfluss verlieren, falls mehr als zwei Abgeordnete mit Wagenknecht in eine neue Partei wechseln und aus der Fraktion ausscheiden würden. Falls auch Bartsch nicht mehr antreten sollte, ist unklar, wer in dieser schwierigen Situation die Führung übernehmen würde.
Bartsch sagte der dpa: "So lange ich kann, werde ich dafür kämpfen, dass wir im Bundestag eine Fraktion bleiben. Andernfalls würden wir an Möglichkeiten und an Bedeutung verlieren, wir könnten zum Beispiel keine kleinen Anfragen mehr stellen oder aktuelle Stunden beantragen. Eine solche Schwächung wäre aus meiner Sicht unverantwortlich."
Weiter sagte Bartsch: "Aus meiner Sicht steht die Gründung einer Partei durch Sahra Wagenknecht nicht unmittelbar bevor. Diese sehe ich zwar inzwischen als möglich an, obwohl es aus meiner Sicht völlig falsch wäre. Aber ich erwarte nicht, dass das vor dem Jahresende passieren würde."
Die Parteivorsitzenden Wissler und Schirdewan hatten nur kurz schriftlich auf Mohamed Alis Ankündigung reagiert: "Wir nehmen die Ankündigung von Amira Mohamed Ali, nicht mehr für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren, mit Respekt zur Kenntnis", teilten sie am Sonntagabend mit. "Wir sind sicher, dass ihr dieser Schritt nicht leicht gefallen ist und danken ihr für ihre jahrelange Arbeit als Vorsitzende der Linksfraktion."
(dpa)