Das gab es noch nie in der Geschichte der CDU und entsprechend groß ist die Spannung: Über den neuen Vorsitzenden der Partei befindet erstmals ein Mitgliederentscheid. Knapp zwei Wochen waren für die Stimmabgabe Zeit, am frühen Freitagnachmittag wird das Ergebnis bekannt gegeben. Spannend ist nicht nur das Prozedere an sich, sondern auch der Ausgang der Wahl. Niemand traut sich bisher eine Prognose zu, wer als Sieger über die Ziellinie gehen könnte.
Mit Friedrich Merz (66) und Norbert Röttgen (56) stellen sich zwei CDU-Politiker zur Wahl, die schon vorher versucht hatten, den CDU-Thron zu erklimmen. Helge Braun (49) steht als dritter Kandidat auf dem Wahlzettel. Es wird ein enges Rennen erwartet, bei dem sich keiner der drei Männer bereits im ersten Wahlgang durchsetzt. Die Kandidaten liegen inhaltlich eng beieinander, wer auch immer es wird, löst keinen Ruck in eine bestimmte Richtung aus.
Eine geringe Wahlbeteiligung wäre eine Hypothek
Eine Links-Rechts-Entscheidung steht nicht an, entsprechend breit dürften sich die Stimmen zunächst verteilen. Die beiden Bestplatzierten würden in den zweiten Wahlgang gehen, der bis zum 12. Januar angesetzt ist. Ob in dieser Stichwahl dann einer der verbliebenen Kandidaten die Stimmen des Unterlegenen auf sich ziehen kann, oder ob es hier zu einer gleichmäßigen Verteilung – und damit zu einem wenig eindeutigen Ergebnis – kommt, weiß heute keiner. Die Wahlbeteiligung unter den knapp 400.000 Mitgliedern lag dem Vernehmen nach zuletzt bei etwa 60 Prozent. Das wäre dann zumindest besser als bei der Konkurrenz – an der letzten direkten Befragung zum neuen SPD-Parteivorsitz beteiligten sich nur knapp 55 Prozent der Mitglieder.
Als die Junge Union im Herbst 2020 ihre Mitglieder befragte, nahmen nur 20 Prozent ihr Wahlrecht wahr. Die Verantwortlichen bei der CDU wissen, dass jeder Prozentpunkt bei der Wahlbeteiligung zählt. Stünde das Ergebnis auf so dünnen Füßen wie zuletzt bei der SPD, würde es sofort wieder zerredet. Der neue Vorsitzende wäre vom Start weg beschädigt. Es würde wohl auch Diskussionen beim Parteitag am 21. und 22. Januar in Berlin geben. Das CDU-Statut sieht nur Mitgliederbefragungen vor, der Parteitag muss das Ergebnis noch absegnen. Es wird erwartet, dass sich die 1001 Delegierten an das Votum der Mitglieder halten. Was aber, wenn das nur schwache Ergebnisse hervorbringt?
Jetzt soll der Neuanfang beginnen
Rein formal könnte sich der Parteitag über die Mitglieder stellen, auch die Nachmeldung von Kandidatinnen oder Kandidaten ist möglich. Und selbst wenn der Parteitag dem Mitgliedervotum folgt, kehrt damit nicht automatisch Ruhe in die nach der Wahlniederlage nach Orientierung suchende Partei ein. Im Januar steht die gesamte CDU-Spitze zur Wahl. Bereits jetzt wird erwartet, dass es für Vorstand und Präsidium mehr Kandidatinnen und Kandidaten gibt, als Posten zur Verfügung stehen. Das geht schon bei den Vizevorsitzenden los. Silvia Breher, Andreas Jung, Carsten Linnemann und Karin Prien stehen für die Bewerbungsliste bereits fest, weitere werden folgen.
Mit der Wahl des neuen CDU-Vorsitzenden als Nachfolger von Armin Laschet soll der Neuanfang in der Partei eingeläutet werden. Der gelänge wohl am besten mit einem eindeutigen Ergebnis im ersten Wahlgang. Doch erfahrene Parteimitglieder blicken darüber hinaus bereits auf den April. Sollte Friedrich Merz gewinnen und neuer CDU-Vorsitzender werden, wird er wohl – anders als Röttgen und Braun – auch nach dem Fraktionsvorsitz greifen. Amtsinhaber Ralph Brinkhaus ist nur bis April gewählt, würde aber sicherlich nicht kampflos seinen Stuhl räumen. Seine Absichten unterstrich er am Mittwoch nach der Regierungserklärung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit einer kämpferischen Rede, die selbst vom politischen Gegner gelobt wurde.
Auch Markus Söder redet bei der Wahl des Fraktionsvorsitzenden mit
Der Streit wäre vorprogrammiert, zumal auch CSU-Chef Markus Söder bei der Nominierung des Fraktionsvorsitzenden ein Wort mitzureden hat. Unmittelbar vor den wichtigen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wäre das pures Gift für die Partei. Denn viele Wähler stößt Zank und mangelnde Geschlossenheit ab, wie die Bundestagswahl zeigte, als Söder dem „lieben Armin“ einen Kleinkrieg aufzwang.
Eine Wiederholung unter anderen Vorzeichen zu verhindern, wird der ein oder andere Delegierte ebenfalls ins Kalkül ziehen. Die Kanzlerkandidaten-Frage jedoch, sie dürfte keine so große Rolle spielen, wie vielfach angenommen wird. Der neue CDU-Spitzenkandidat, so denn die CSU bei der nächsten Bundestagswahl nicht auf einen der ihren besteht, wird kaum der nächste Parteivorsitzende sein. Der neue Star am Parteihimmel, da sind sich viele Christdemokraten einig, ist vielmehr derjenige, der die Wahl in seinem Land erfolgreich gestaltet. Ministerpräsident Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen zum Beispiel oder sein schleswig-holsteinischer Amtskollege Daniel Günther. So oder so – die Spannung bei der CDU wird noch lange anhalten.