Die Wahl ist gewonnen, Olaf Scholz zum Bundeskanzler gekürt, entsprechend gut ist die Stimmung bei der SPD, die an diesem Samstag in Berlin ihren Parteitag hält. Doch genau das macht manche in der Führungsspitze, die vor einem grundlegenden Umbau steht, eher nervös. So lautet die unausgesprochene Devise: Jetzt bloß nicht ausruhen auf den Lorbeeren, auf keinen Fall träge und selbstgefällig werden. Die Sozialdemokraten, die in den Abgrund der drohenden Bedeutungslosigkeit geblickt haben, wollen die Macht, die sie entgegen aller Wahrscheinlichkeit dann doch erkämpft haben, nicht gleich wieder verlieren. Sondern sie weiter ausbauen.
Ein Quartett als Machtzentrum
Dafür setzt die älteste Partei Deutschlands auf ein Quartett als neues Machtzentrum. An Olaf Scholz, dem Bundeskanzler, geht in Zukunft natürlich nichts vorbei, auch wenn er selbst auf die Parteiführung verzichtet. Die wird auch künftig ein Doppel bilden. Lars Klingbeil, bisher Generalsekretär, soll in der Berliner Messe zum Nachfolger von Norbert Walter-Borjans in die Spitze gewählt werden. Der 43-Jährige gehört wie Scholz zum eher konservativen Lager, ist aber gut in alle Sphären der Partei hinein vernetzt. Er soll dem Kanzler den Rücken freihalten und ihm ein möglichst geräuschloses Regieren ermöglichen.
Saskia Esken bleibt weiter Teil der Parteispitze, wie der künftige Generalsekretär Kevin Kühnert vertritt sie den starken linken Teil der Parteibasis. Die beiden werden einerseits die Scholz-Politik ihrem Lager schmackhaft machen müssen – sie dürften andererseits aber auch dem Kanzler mitunter auf die Finger klopfen, wenn die Toleranz der Linken überstrapaziert wird. Das kann funktionieren, ohne Reibungen wird es aber kaum gehen.
Norbert Walter-Borjans geht mit gutem Gefühl
Norbert Walter-Borjans, der nun nach zwei Jahren an der Parteispitze für Klingbeil Platz macht, ist jedenfalls optimistisch. „Der Bundesparteitag am Samstag steht unter gänzlich anderen Vorzeichen als der vor zwei Jahren. Aus der SPD im Krisenmodus von 2019 ist wieder eine selbstbewusste, solidarische und erfolgreiche Partei geworden, deren Mitglieder samt Parteiführung zusammenhalten und zugleich mit ungemindertem Engagement über die besten Lösungen für unser Land debattieren.“
Unserer Redaktion sagte der 69-Jährige weiter: „Wir sind nach langer Zeit wieder die Nummer eins im Land und führen eine Regierungskoalition unter dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz. Mit Saskia Esken und Lars Klingbeil stehen zwei Kandidaten für den Vorsitz zur Wahl, die auch in Person für Kontinuität und Wandel stehen.“ Nun gehe er „mit dem guten Gefühl, keine offenen Baustellen zu hinterlassen“. Gleichzeitig mahnte er die Genossen, nicht zu sehr auf Regierungsharmonie zu setzen: „Die Aufgabe, die SPD nicht zum Sprachrohr der Koalition werden zu lassen, sondern sie weiter als Impulsgeber in die Koalition hinein zu profilieren, besteht unvermindert fort.“
Gelingt es, Nordrhein-Westfalen zurückzuerobern?
Zeit zum Ausruhen bleibt für die neu formierte Strategiezentrale im Willy-Brandt-Haus in Berlin-Kreuzberg nicht. Denn dem Sieg bei der Bundestagswahl sollen nun möglichst Erfolge auf Landesebene folgen. Gleich vier Mal besteht im kommenden Jahr Gelegenheit dazu. Im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, wo bereits im ersten Halbjahr 2022 gewählt wird, stellt jeweils die CDU den Ministerpräsidenten, wenn auch in Saarbrücken die SPD als Juniorpartner mitregiert. In allen drei Ländern wollen die Sozialdemokraten künftig vorne sein und die Chancen dafür liegen laut Umfragen gar nicht schlecht. Gerade ein Sieg in NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, wäre für die SPD ein so willkommener wie strategisch wertvoller Triumph. Hendrik Wüst sitzt dort als Nachfolger des glücklosen CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet noch nicht allzu fest im Sattel. Thomas Kutschaty, ehemaliger Justizminister des Landes, wird für die SPD antreten. Thomas Losse-Müller tritt in Schleswig-Holstein gegen Daniel Günther an, Anke Rehlinger im Saarland gegen Tobias Hans.
Im Herbst ist dann noch Niedersachsen dran, wo die SPD mit Stephan Weil den Ministerpräsidenten bereits stellt. Erfolge in den Ländern sind für die Sozialdemokraten keine reine Prestigefrage. Sie können auch das Regieren von Olaf Scholz deutlich erleichtern: Denn derzeit kann die Union im Bundesrat noch wichtige Gesetzesvorhaben blockieren. Färbt sich die politische Landkarte der Republik dagegen zunehmend rot, kann die Ampelregierung mit deutlich mehr Beinfreiheit agieren. Mit einer Personalie, die im Getöse der Machtübernahme etwas untergegangen war, will Olaf Scholz zudem dafür sorgen, dass die SPD auch im Osten der Republik weiter Boden gutmachen kann. Er berief den Thüringer Carsten Schneider, bisher Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, zum neuen Ostbeauftragten der Bundesregierung ins Kanzleramt. Seine Nachfolgerin wird Katja Mast, bisher Fraktionsvize.
Kevin Kühnert muss jetzt schon an Scholz' Wiederwahl denken
Auch die beim Parteitag anstehende Wahl der stellvertretenden Vorsitzenden soll ganz im Zeichen des Strebens stehen, möglichst alle Strömungen der SPD in die "Machtmaschine" mit einzubinden. Das Kanzleramt wollen die Genossinnen und Genossen so schnell jedenfalls nicht mehr hergeben. Die alten parteiinternen Rivalitäten – sie scheinen zumindest für den Moment vergessen.
Wie sehr sich doch die Zeiten geändert haben bei der SPD, zeigt sich letztlich an der Personalie Kevin Kühnert. Als streitbarer linker Juso-Chef setzte der vor zwei Jahren alles daran, Olaf Scholz als Parteichef zu verhindern. Als künftiger Generalsekretär kann Kühnert sich nun schon mal Gedanken machen, wie er in gut drei Jahren die Kampagne für die Wiederwahl von Kanzler Scholz aufziehen will.