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Parteien: Den Grünen bricht die Mitte weg

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Den Grünen bricht die Mitte weg

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    Wer bekommt den Chefsessel? Oder brauchen die Grünen sich gar nicht zwischen Robert Habeck und Annalena Baerbock zu entscheiden, weil die Frage nach der Kanzlerkandidatur überflüssig ist?
    Wer bekommt den Chefsessel? Oder brauchen die Grünen sich gar nicht zwischen Robert Habeck und Annalena Baerbock zu entscheiden, weil die Frage nach der Kanzlerkandidatur überflüssig ist? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Im Auswärtigen Amt ist die Stimmung angespannt in diesen Tagen. Im Nahen Osten drehen Israel und der Iran waghalsig an der Eskalationsspirale. In der Ukraine wird die Lage an der Front immer brenzliger, doch die Rufe nach mehr Munition und mehr Flugabwehr verhallen inzwischen im Getöse der allgemeinen Aufregung. Annalena Baerbock mahnt und warnt und reist von einem Konflikt zum nächsten. Gerade war sie wieder in Tel Aviv, nun trifft sie ihre G7-Außenminister-Kollegen auf Capri. Atemlos und mitunter auch hilflos wirkt ihr Einsatz. Gerade erst hat ihr der israelische Regierungschef eine Abfuhr erteilt. Baerbock habe „alle möglichen Vorschläge und Ratschläge“, sagte er. „Ich schätze das, aber ich möchte klarstellen, dass wir unsere Entscheidungen selbst treffen werden.“ Es gab schon einfachere Zeiten für eine deutsche Außenministerin. Wie schnell der eigene Einfluss schrumpfen kann, wird ihr aber nicht nur an den Krisenherden in aller Welt vorgeführt. Auch in Deutschland wird schwer Verdauliches serviert: Die Grünen fallen in einer aktuellen Forsa-Umfrage auf den niedrigsten Wert seit Juni 2018. 

    Vor allem für Baerbock ist das ein echter Tiefschlag. Drei Jahre ist es her, dass sie am 19. April 2021 zur ersten grünen Kanzlerkandidatin bestimmt worden war. Als neue Volkspartei sahen viele die Grünen, als Partei, in der die vermeintlichen Gegensätze Ökologie und Ökonomie vielleicht doch noch verschmelzen könnten. Inzwischen schwirren Spekulationen durch das politische Berlin, die von einem Wettstreit um die Kandidatur zwischen Baerbock und Robert Habeck vor der nächsten Bundestagswahl munkeln. Die neusten Umfragezahlen lassen durchaus auch die Frage zu: Lohnt sich dieser parteiinterne Machtkampf überhaupt? Können sich die Grünen eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten nicht sparen, da die Erfüllung dieses Traums in unerreichbare Ferne gerückt ist? 

    Grüne kommen in Umfrage auf nur noch 12 Prozent

    Zwar wiegelt Wirtschafts- und Klimaminister Habeck ab. „Wir werden alles zur rechten Zeit entscheiden, jetzt steht diese Debatte nicht an“, sagt er in einem Interview mit der Funke Mediengruppe. Doch dass es für das gewachsene Selbstbewusstsein der Grünen nicht einfach ist, dass ein grüner Spitzenkandidat fortan nicht zwingend zum politischen Standardprogramm gehört, dürfte kaum jemand in der Partei bestreiten. Auf gerade einmal 12 Prozent bringen es die Grünen laut Meinungsforschungsinstitut Forsa aktuell. Die Union käme auf 31, die SPD auf 16, die FDP auf 5 und die AfD auf 17 Prozent. Noch alarmierender für die Grünen als die reine Zahl, ist die Analyse, die Forsa-Chef Manfred Güllner dazu liefert: Vor allem die politische Mitte kommt den Grünen abhanden. Aus der Vielleicht-Volkspartei würde damit wieder eine klare Klientelpartei. 

    Jung, westdeutsch, weiblich, gebildet und links, so lassen sich typische Grünen-Wähler wieder grob skizzieren. „Die Grünen würden – fände jetzt eine Bundestagswahl statt – im Westen der Republik doppelt so viele Stimmen erhalten wie im Osten“, schreibt Güllner in seiner Analyse. „Von den jungen, 18 bis 29 Jahre alten Wählern würden die Grünen fast dreimal so viele Stimmen erhalten wie von den älteren, über 60 Jahre alten Wählern.“ Deutlich mehr Gut- als Geringverdiener unterstützen die Partei. Zu den Faktoren, die diese weitgehende Reduzierung auf die Kernklientel bewirkt hätten, gehörten die „kontroversen Diskussionen über die Energiepolitik der Bundesregierung“, heißt es in der Analyse. 

    Habeck und Baerbock galten einst als Erfolgsduo

    Für Habeck und Baerbock ist die Entwicklung besonders bitter: Sie waren es, die im Jahr 2018 als gemeinsames Führungsduo den Weg der Partei aus der Nische ebneten. Mit ihnen hatten zwei „Realos“ die Parteispitze übernommen. Immer wieder hatte sich die Öko-Partei in den Jahren zuvor heftige Flügelkämpfe geliefert. Der Erfolg versöhnte die Lager: In Umfragen erlebten sie regelrechte Höhenflüge, auf bis zu 26 Prozent kamen sie mitunter. Bei der Bundestagswahl 2021 erzielten sie 14,7 Prozent – das war zwar deutlich weniger als erhofft, aber eben immer noch ein historischer Rekord. „Der nach der Übernahme der Parteiführung von Annalena Baerbock und Robert Habeck praktizierte pragmatisch-rationale Politikstil führte dazu, dass die Grünen zum ersten Mal auch von einem größeren Teil der Wahlberechtigten in der politischen Mitte akzeptiert wurden“, analysiert Güllner. „So kamen 40 Prozent der in der ersten Jahreshälfte 2021 neu gewonnenen Anhänger der Grünen aus der politischen Mitte, während es bei den Stammwählern nur 26 Prozent waren.“ 

    An Stimmungsschwankungen innerhalb der Wählerschaft ist die Partei gewohnt. „Generell gab es bei den Grünen seit ihrer Parteigründung 1980 beziehungsweise ihrer Beteiligung als Liste bei der Europawahl 1979 keine einheitliche Entwicklungstendenz, sondern starke Schwankungen in der Wählergunst“, so Forsa-Chef Manfred Güllner. 

    Bestimmen die Grünen in einer Urwahl den Kanzlerkandidaten?

    Baerbock und Habeck besitzen aktuell, so Forsa-Chef Güllner, nur noch in der grünen Kernklientel hohe Akzeptanz. Die Frage, ob die Grünen einen Kanzlerkandidaten ins Rennen schicken, soll wohl nach der Europawahl geklärt werden – ausgerechnet also der Wahl, bei der die Grünen bestenfalls auf ein durchwachsenes Ergebnis hoffen können. Parteiintern den größten Rückhalt genießen dürfte Habeck. Dass er Interesse hat, hat er selbst nie verheimlicht. Dass er beim letzten Mal zurückstecken musste, nagte schwer an ihm. Lange wirkte das Verhältnis des einstigen Duos angespannt. In Medienberichten wird immer wieder gemunkelt, die Entscheidung sei schon längst zu seinen Gunsten gefallen und auch Baerbock trage sie mit. Falls dem nicht so ist, könne es zu einem sogenannten Urwahl-Verfahren kommen, in dem die Basis entscheidet. Doch ganz gleich, wie es am Ende ausgeht, eines können sich die Grünen kaum leisten: einen auf offener Bühne ausgetragenen Machtkampf. Wie das endet, hat die Union 2021 eindrucksvoll bewiesen.

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