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Pakt mit Ruanda: Großbritannien lagert sein Migrationsproblem nach Ruanda aus

Pakt mit Ruanda

Großbritannien lagert sein Migrationsproblem nach Ruanda aus

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    Demonstranten protestieren vor einem Abschiebezentrum im britischen Gatwick mit Schildern gegen Pläne, Migranten nach Ruanda zu schicken.
    Demonstranten protestieren vor einem Abschiebezentrum im britischen Gatwick mit Schildern gegen Pläne, Migranten nach Ruanda zu schicken. Foto: Victoria Jones, dpa

     Viele hielten es für unvorstellbar, jetzt könnte es passieren. Die britische Regierung will an diesem Dienstag erstmals Geflüchtete von London aus in das 6500 Kilometer entfernte ostafrikanische Land Ruanda ausfliegen. Unter den Betroffenen machte sich in den letzten Tagen Verzweiflung breit, manche drohten gar mit Selbstmord. Aktivisten gehen auf die Straße. Was droht, schockiert Politiker der Opposition, Menschenrechtler und offenbar sogar das Königshaus. Angeblich soll Prinz Charles im privaten Kreis die neue Asylstrategie als „entsetzlich“ bezeichnet haben.

    Mehrere Flüchtlingsorganisationen und eine Gewerkschaft der Grenzbeamten haben im Namen der Betroffenen gegen den Plan der Regierung geklagt. Es gebe keinerlei Belege dafür, dass die Betroffenen in Ruanda ein sicheres Asylverfahren zu erwarten hätten, sagte Raza Husain, Anwalt der Kläger, am Freitag bei einer Anhörung in London. In erster Instanz erhielt die Regierung am Freitagabend grünes Licht für den Flug. Ein Berufungsgericht bestätigte am Montag dieses Urteil. Die Zahl der vorgesehenen Passagiere schrumpfte kurz vorher Berichten zufolge allerdings immer weiter zusammen. Der BBC zufolge sollten nur noch gut zehn Asylsuchende ausgeflogen werden, bei vielen anderen sollen Einsprüche erfolgreich gewesen sein.

    Keine Rückkehr nach Großbritannien: Flüchtlinge sollen in Ruanda bleiben

    Bekannt gegeben hatte die Regierung unter Boris Johnson die umstrittenen Pläne, die von Innenministerin Priti Patel vorangetrieben wurden, im April. Demnach können Menschen, die nach dem 1. Januar dieses Jahres illegal nach Großbritannien eingereist sind, in das ostafrikanische Land ausgeflogen werden, um dann von dort aus Asyl zu beantragen. Laut Premierminister

    Konkret heißt das, dass sie vor Ort in Camps untergebracht werden, bis über ihr Verfahren entschieden ist. Wird ihrem Antrag stattgegeben, können sie in Ruanda bleiben, ansonsten werden sie in ihre Heimat abgeschoben. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist laut Medienberichten nicht vorgesehen. Im Gegenzug investiert das Königreich im Rahmen eines Abkommens 120 Millionen Pfund in die "wirtschaftliche Entwicklung und das Wachstum Ruandas".

    Betroffen sind alleinstehende junge Migranten, die ihren Weg mithilfe von Schleppern auf die Insel gefunden haben, auf kleinen Booten oder versteckt in Lastwagen. London erhoffe sich davon, andere von der Überfahrt ins Vereinigte Königreich abzuhalten, hieß es.

    Man setzt also auf Abschreckung. Der konservative Parlamentsabgeordnete Brandon Lewis sagte, dass damit das "Geschäft von Schmugglern und Menschenhändlern zerstört" werde. Gleichzeitig gibt es im Grunde jedoch keine legalen Wege für Asylsuchende nach Großbritannien zu kommen, wie Experten immer wieder betonen.

    UNHCR: Londons Pläne widersprechen der Genfer Flüchtlingskonvention

    Im vergangenen Jahr erreichten Schätzungen zufolge mehr als 28.000 Geflüchtete die englische Küste, rund 10.000 mehr als noch im Jahr 2020, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern also recht wenige. Im Kreis der Einwanderungsgegner der Tories sorgt das Thema jedoch regelmäßig für einen Sturm der Entrüstung, angetrieben durch die rechtskonservative Presse. Dementsprechend groß ist der Druck auf die konservative Innenministerin Patel, die "Kontrolle über die Grenzen Großbritanniens zurückzugewinnen" – oder zumindest die Initiative zu ergreifen.

    Die Regierung beruft sich bei ihrem Vorhaben auf ein Gesetz, das es erleichtert, Migranten für ein Asylverfahren außer Landes zu schicken. Bedingung ist, dass das Land "sicher" ist. Daran bestehen jedoch Zweifel. Kritik an dem Vorhaben übten unter anderem das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR. Die Pläne "widersprechen dem Geist und Text der Genfer Flüchtlingskonvention", hieß es dort. Demnach dürfen Geflüchtete nicht in ein Land geschickt werden, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit ernsthaft bedroht sind. Innenministerin Patel insistierte, dass keine Gefahr drohe, obwohl das britische Auswärtige Amt darauf hinweist, dass es häufiger zu Angriffen mit Handgranaten auf Märkten und öffentlichen Plätzen komme. Außerdem wird vor Reisen in den Süden, Westen oder Südwesten Ruandas gewarnt wegen "bewaffneter Überfälle".

    Ehemaliger ruandischer Präsidentschaftskandidat kritisiert das Vorhaben

    Ähnlich sieht es der ruandische Oppositionspolitiker und ehemalige Präsidentschaftskandidat Frank Habineza. "Die reichen Länder sollten ihre Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen nicht auf Drittländer abschieben, nur weil sie das Geld haben, Einfluss auszuüben und ihren Willen durchzusetzen", kritisierte er. Der kleine Staat an den Großen Seen gehöre bereits zu den besonders dicht bevölkerten Ländern Afrikas – mit Konflikten um Landbesitz und Rohstoffe. Die Aufnahme von Migranten aus Großbritannien werde die Probleme verstärken, befürchtet Habineza.

    Doch wie bereitet sich Ruanda auf die Neuankömmlinge vor? Im Mai präsentierte die Regierung bereits die künftigen Unterkünfte der Asylsuchenden: Ein frisch renoviertes Hotel mit Pool etwa und eine Reihenhaussiedlung, in der zuvor Überlebende des Völkermords von 1994 untergebracht waren. Die bisherigen Bewohner der schmucken Häuschen mit roten Ziegeldächern mussten sich eine neue Bleibe suchen.

    Prinz Charles soll Pläne der Johnson-Regierung "entsetzlich" genannt haben

    Unmut in der Downing Street 10 regte sich vor allem gegen die Äußerungen von Prinz Charles, denn eigentlich sind Royals zur politischen Neutralität verpflichtet. Johnson hielt entgegen, dass es die Aufgabe der Regierung sei, „Menschen davon abzuhalten, gegen das Gesetz zu verstoßen“. Prinz Charles und Premierminister Boris Johnson haben demnächst Zeit, sich über das Thema zu unterhalten. Sie treffen kommende Woche bei einem Commonwealth-Gipfel aufeinander – in Kigali, der Hauptstadt Ruandas.

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