Empfehlung trotz Bedenken: Die Ständige Impfkommission (Stiko) rät zu Booster-Impfungen mit den neuen, an die Omikron-Variante des Coronavirus angepassten Impfstoffen.
Das Gremium kritisiert allerdings, dass eines der Präparate bislang nicht an Menschen, sondern nur an Mäusen getestet worden ist. Stiko-Mitglied Christian Bogdan spricht von einem "Schwachpunkt". Die von der EU-Kommission bereits zugelassenen Impfstoffe sind entweder an die Omikron-Subtypen BA.1 oder BA.4/5 angepasst. Am Dienstag teilte die Stiko mit, dass Menschen ab zwölf Jahren, die bereits eine Grundimmunisierung haben, für die dritte und vierte Impfung "vorzugsweise" die angepassten Vakzine erhalten sollen.
Reichen die Tierversuche für den Corona-Impfstoff?
Während es für den Impfstoff, der an die BA.1-Subvariante angepasst ist, klinische Daten gebe, sei das laut Stiko beim BA.4/BA.5-Vakzin nicht der Fall. "Wir haben keine Humandaten, sondern Daten aus Maus-Experimenten", sagte Christian Bogdan, Direktor des Mikrobiologischen Instituts am Universitätsklinikum Erlangen.
Im Tierversuch sei untersucht worden, ob der BA.4/5-Impfstoff wie die bisherigen Vakzine wirkt. "Und das war der Fall", sagt Bogdan. Es gebe keinen Grund zur Annahme, dass das beim Menschen nicht auch so sein sollte. Aber natürlich, fährt Bogdan fort, sei das ein Schwachpunkt. "Da sind wir vonseiten der Stiko nicht besonders glücklich, dass keine Humandaten vorliegen, und für uns ist es auch ein bisschen schwer nachzuvollziehen, warum die noch nicht da sind." Auch Jörg Meerpohl, Direktor des Instituts für Evidenz in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg, kritisierte: "Das ist nicht das, was wir uns wünschen würden. Wenn das eine neue Impfung, ein neues Virus wäre, dann würden wir auf dieser Basis sicher keine Empfehlung aussprechen."
Lauterbach rät Älteren zum Corona-Booster
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wertete den Stiko-Rat als wichtigen Beitrag zur Überwindung der Pandemie. Denn gerade viele ältere Menschen seien gegen Omikron-Varianten bislang nicht genug geschützt. "Für sie kann die Impfung schwere Verläufe und Long Covid vermeiden", so Lauterbach.
Der Mediziner und FDP-Politiker Andrew Ullmann begrüßte gegenüber unserer Redaktion “die unabhängige Empfehlung der Stiko". Sie sei "sehr wichtig für das Vertrauen in die angepassten Impfstoffe". Mit Blick auf den kommenden Winter empfahl er: "Neben dem Corona-Booster wird die Grippeschutzimpfung dieses Jahr besonders wichtig sein. Die Grippewelle ist in den letzten zwei Jahren ausgefallen und wird dieses Jahr vermutlich zurückkommen."
Der Arzt und CSU-Gesundheitsexperte Stephan Pilsinger mahnte im Gespräch mit unserer Redaktion generelle Änderungen der Impfempfehlungen an. Aus der bisher ehrenamtlich arbeitenden Stiko müsse "eine hochprofessionelle Institution werden, die finanziell gut ausgestattet ist und schneller profunde Impfempfehlungen vorlegen kann."
Doppelt geimpft, Status bald "ungeimpft"
Zum 1. Oktober ändert die Bundesregierung den Impfstatus von Millionen Menschen. Auch viele, die bereits zweimal geimpft sind, gelten dann unter Umständen als ungeimpft. Um wieder den Status "geimpft" zu erlangen, brauchen sie dann zusätzlich entweder einen positiven PCR-Test, der älter als 28 Tage ist, oder eine Drittimpfung. Im öffentlichen Leben spielt der Impfstatus derzeit allerdings praktisch keine Rolle mehr.