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Omikron: Das einst gelobte Land: Wie Israel seine Corona-Pläne ändert

Omikron

Das einst gelobte Land: Wie Israel seine Corona-Pläne ändert

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    Dieser ultra-orthodoxe Jude lebt in Tel Aviv. Lange galt sein Land als Impf-Weltmeister.
    Dieser ultra-orthodoxe Jude lebt in Tel Aviv. Lange galt sein Land als Impf-Weltmeister. Foto: Win Schumacher

    Zwei Jahre hat er auf diese Reise gewartet. Uri Yahav sucht auf dem Smartphone nach Fotos seiner letzten Bergtouren. „Das bin ich mit 70 auf dem Kilimandscharo, hier mit 73 auf dem Kala Patthar in Nepal und mit 77 beim Aufstieg zum Elbrus“, erzählt der Rentner aus dem Kibbuz Yotvata im Süden Israels und zeigt die passenden Bilder. Der Traum des 78-jährigen, der einwandfrei Deutsch spricht: einmal im Leben jeden der höchsten Berge aller Kontinente in Angriff zu nehmen. Wenn es, wie zuletzt am

    Noch vor kurzem wusste der ehemalige Sportlehrer und Bademeister nicht, ob er aufgrund staatlich verhängter Reisebeschränkungen überhaupt fliegen kann. „Erst in den letzten zwei Wochen war abzusehen, dass die Regierung wohl doch nicht noch weitere Länder auf die Rote Liste setzen wird.“ Obwohl er in den letzten Wochen nur wenige Menschen in seinem Kibbuz traf, ist keineswegs ausgeschlossen, dass das Ergebnis seines Tests positiv ausfällt.

    Bergsteiger Uri Yahav wartet am Flughafen auf sein Testergebnis.
    Bergsteiger Uri Yahav wartet am Flughafen auf sein Testergebnis. Foto: Win Schumacher

    In Israel hat die Zahl der Neuinfektionen seit Pandemiebeginn einen Rekordwert erreicht – und das, obwohl das Land in den einzelnen Phasen der Pandemie so lange als Vorbild gegolten hatte. Das Gesundheitsministerium meldete am Montag 21.501 neue Fälle für den Vortag – so viele wie nie zuvor. Und die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein. Etwa zwölf Prozent aller Tests waren zuletzt positiv, die höchste Rate seit September 2020. Die Reproduktionszahl wird aktuell mit 1,97 angegeben. Die Anzahl der Schwererkrankten stieg am Sonntag auf 225, Ende Dezember waren es noch weniger als 100 gleichzeitig gewesen. Immerhin die Zahl der täglich mit einer Virusinfektion Verstorbenen bleibt im Unterschied zu den vorigen Wellen bisher im einstelligen Bereich. Die meisten von ihnen waren ungeimpft.

    „Israel hat viel Zeit gewonnen, weil wir hier bereits früh mit der Booster-Impfung begonnen haben“, sagt Yahav. Deutsch ist seine Muttersprache. Hebräisch kam erst als Zweitsprache hinzu. Yahav wurde als Sohn von Betti und Ernst Wilhelm geboren, die 1938 vor den Nationalsozialisten aus Breslau ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina geflohen waren. „In letzter Minute“, sagt Yahav. Wie viele Israelis seines Alters ist Yahav seit August geboostert. Zufrieden ist er trotzdem nicht. Denn es ist erst seine dritte Impfung. Was in Deutschland das Maximum wäre, ist in Israel wohl bald überholt. „Diese Woche wird mit der vierten

    Studien zur vierten Impfung laufen in Israel

    Einer aktuellen israelischen Studie zufolge verfünffacht sich der Antikörperspiegel nach einer vierten Impfdosis. Die Studienleiterin, Epidemiologin Gili Regev, bezeichnete diese vorläufigen Erkenntnisse als „gut, aber nicht ausreichend“. Am Mittwoch vergangener Woche erhielten in einer weiteren Studie im Sheba-Krankenhaus von Tel Aviv über 60-Jährige nach drei Dosen des Biontech/Pfizer-Vakzins eine vierte Impfung mit Moderna. Es ist weltweit der erste Versuch dieser Art mit kombinierten Impfstoffen. Wie erfolgreich dieser Mix vor einer Infektion schützt und ob die Form der Impfung für alle Altersgruppen sinnvoll ist, darüber gibt es bisher nur wenig Information.

    Israel war im Lauf der Corona-Krise bei vielen Schritten vorne dabei: Das Land war im Frühjahr 2020 zunächst glimpflich durch die Pandemie gekommen, die zweite Welle im Herbst und vor allem die dritte im Dezember und Januar trafen den Staat an der vorderasiatischen Ostküste des Mittelmeers jedoch besonders hart. Dem setzte Israel eine entschlossene Impfstrategie entgegen. Lange weltweit führend bei den Erst- und Zweitimpfungen, galt das Land als vielbewunderte Pioniernation.

    Als die vierte Corona-Welle im Frühsommer über Israel hereinbrach, setzte Premier Naftali Bennett nicht auf einen Lockdown, sondern auf die dritte Impfung. Damals noch gab es kaum Erkenntnisse zur medizinischen Wirkung dieses Boosters, die Arzneimittelbehörden waren weit davon entfernt, den dritten Schuss zu empfehlen. Doch Bennett und seine Berater behielten am Ende recht. Die Pandemie schien schnell nahezu beendet. Selbst Masken waren bereits weitgehend aus dem Leben verschwunden, bis Delta sie im Herbst 2021 wieder zum allgegenwärtigen Teil des Alltags machte.

    Denn Omikron erreichte auch Israel. Ende November etwa versuchte das Land als eines der ersten weltweit, durch eine frühzeitige Grenzschließung für ausländische Reisende aus fast allen afrikanischen Ländern eine schnelle Ausbreitung der

    Wenig später wurden auch zahlreiche europäische Nationen, die USA und Kanada auf eine Rote Liste gesetzt. Eine Ausreise in als „rot“ geltende Staaten war für Israelis verboten. Für Reiserückkehrer galten strikte Quarantäneregelungen. Seit Mitte Dezember wurde täglich aktualisiert, welche Staaten auf der Liste landen. Damit konnte über jedes Land der Erde ein Reisebann verhängt werden, der innerhalb von 72 Stunden umgesetzt wurde.

    Corona-Pandemie: Die Regierung in Israel denkt jetzt um

    Inzwischen hat die Regierung jedoch angesichts der augenscheinlich unaufhaltbaren Ausbreitung von Omikron einen Strategiewechsel vollzogen. Der Premierminister hat sich entschlossen, das Leben seines Volkes so normal wie möglich zu gestalten. Die Rote Liste wurde am vergangenen Freitag sogar ganz aufgehoben. Israelis können nun wieder weltweit reisen. Die Regierung setzt wieder auf die schützende Spritze: Ungeimpfte von der Injektion überzeugen, so schnell wie möglich boostern.

    Geimpfte Reisende müssen vor der Rückkehr in ihre Heimat einen PCR-Test durchführen und nach Abnahme eines weiteren Tests bei Ankunft in Israel zu Hause oder im Hotel auf das Ergebnis warten, das in der Regel in weniger als 24 Stunden vorliegt. Damit ist ihre Quarantäne beendet. Offensichtlich scheint die Regierung darauf zu hoffen, dass das Land sich langsam in Richtung Herdenimmunität bewegt. Ob diese jemals erreicht werden kann, ist umstritten. Innerhalb von wenigen Wochen, so schätzen aber Expertinnen und Experten, könnte sich jeder dritte Israeli mit dem Virus infizieren. „Wer weiß, wie es in einer Woche aussieht“, sagt der Hobby-Bergsteiger Uri Yahav in Tel Aviv. „Für die Regierung gibt es nur schwarz oder weiß. Entweder sie machen alles wieder zu oder alles auf.“

    Eine Frau erhält im israelischen Ramat Gan die vierte Dosis des Corona-Impfstoffs.
    Eine Frau erhält im israelischen Ramat Gan die vierte Dosis des Corona-Impfstoffs. Foto: Gideon Markowicz, JINI, XinHua, dpa

    Seit Sonntag ist eine Einreise selbst für Touristen und Urlauberinnen aus fast allen Staaten wieder möglich. Sie müssen jedoch eine vollständige Immunisierung mit einem von der Weltgesundheitsorganisation zugelassenen Impfstoff nachweisen. Bei der Einreise gelten dieselben Quarantäneregelungen wie für Israelis. Wie Uri Yahav planten viele seiner Landsleute schon bald nach ihrer dritten Booster-Impfung Auslandsreisen für den Herbst und Winter. Viele Israelis fühlen sich wie auf einem Eiland, das zu verlassen nur mit dem Flugzeug möglich ist. Vom Inselkoller gezeichnet, schwärmten Geimpfte wie Ungeimpfte, sobald es irgendwie ging, aus in die Welt. Sie brachten schließlich auch Omikron ins Heilige Land.

    Daran hat der Premierminister möglicherweise unabsichtlich Anteil: Denn noch während er im November seine Landsleute aufrief, nicht ins Ausland zu reisen, wurde bekannt, dass seine Frau Gilat da bereits mit den vier Kindern ihren Urlaub auf Mauritius geplant hatte. Gemeinsam mit 48 weiteren afrikanischen Staaten war das Tropenparadies mit Bekanntwerden der Omikron-Variante aber als „rot“ eingestuft worden. Frau Bennett musste die Reise stornieren, sah aber nicht ein, den Familienurlaub stattdessen im Inland zu verbringen. Statt nach Mauritius ging es schließlich ohne den Gatten auf die Malediven.

    Mit einem Schnelltest daheim von der Quarantäne befreien

    Ähnlich verhält es sich mittlerweile mit dem individuellen Freiheitsverständnis vieler Israelis. Man nimmt die sich bisweilen täglich ändernden Corona-Regelungen lethargisch bis gereizt zur Kenntnis und passt sie mehr oder minder dem persönlichen Alltag an. Schulklassen und Kindergärten schließen und öffnen in nie da gewesener Geschwindigkeit. Mehr als 120.000 Menschen befinden sich aktuell in Quarantäne, weil sie entweder positiv getestet wurden oder Kontakt zu Infizierten hatten.

    Nachdem sich zu Jahresanfang vor den Testzentren teils stundenlang die PCR-Pflichtigen die Beine in den Bauch gestanden hatten, können sich nun auch Geimpfte und Genesene unter 60 Jahren einfach mit einem Schnelltest daheim von der Quarantäne befreien. Apotheken und Drogeriemärkte melden bereits, dass Antigentests knapp oder ausverkauft sind.

    Israel ist in Sachen Corona gespalten.
    Israel ist in Sachen Corona gespalten. Foto: Jonas Güttler/dpa

    Maskenverweigerer neben erbosten Befürwortern, vor allem aber eine Menge ermüdeter bis gleichgültiger Corona-Gemarterter bestimmen derweil das Stadtbild in Jerusalem, Haifa und Tel Aviv. Die Synagogen und Moscheen sind wieder voll. Die Kirchen waren es zu Weihnachten auch. In den Cafés, Restaurants und Klubs wird trotz allem geflirtet, gezecht und getanzt. Und natürlich über die nächste Auslandsreise beraten. Im Februar nach New York? Im Frühjahr in den Griechenland-Urlaub? Oder nach Paris?

    Uri Yahav träumt schon jetzt davon, nach dem Trip nach Südamerika bei der nächsten Reise das Camp 3 am Mount Everest in Nepal zu erreichen. Die größte Hürde für seine jetzige Reise soll in diesem Moment fallen. Yahav bekommt eine E-Mail: Sein PCR-Test ist negativ. „Jetzt ist alles in Ordnung. Müssen nur noch die Bergführer gesund sein“, sagt er. Das Gipfelabenteuer kann beginnen. Israels wechselvolle Corona-Strategie hingegen ist schon in vollem Gange.

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