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Olympia in Peking: Einen Monat vor Olympia sind die Probleme nicht zu übersehen

Olympia in Peking

Einen Monat vor Olympia sind die Probleme nicht zu übersehen

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    Die Erwartungen an die Großveranstaltung in China sind groß und werden geschürt von Staatschef Xi Jinping. Dennoch mag Wintersport-Stimmung noch nicht so recht aufkommen.
    Die Erwartungen an die Großveranstaltung in China sind groß und werden geschürt von Staatschef Xi Jinping. Dennoch mag Wintersport-Stimmung noch nicht so recht aufkommen. Foto: Mark Schiefelbein, dpa

    Wer in China die Vorbereitungen auf die Olympischen Winterspiele verfolgt, meint manchmal, einem perfekt funktionierenden Uhrwerk zuzuschauen. Nichts scheint die Pläne der Organisatoren durcheinanderbringen zu können. Alles läuft.

    Dass das so bleibt, darauf hat nicht zuletzt der mächtige Staatschef Xi Jinping großen Einfluss. „Wir werden keine Mühen scheuen, der Welt großartige Spiele zu präsentieren. Die Welt richtet ihre Augen auf China, und China ist bereit“, sagte er in seiner Neujahrsansprache im holzvertäfelten Arbeitszimmer. Es geht um viel für das Land, wenn vom 4. bis 20. Februar in der Hauptstadt Peking die XXIV. Olympischen Winterspiele ausgetragen werden.

    Die Gräben zwischen China und dem Westen vertiefen sich

    Die Welt, da hat Xi Jinping recht, richtet ihre Augen auf China. Sie tut es bereits – kaum ein anderes Sportereignis der jüngeren Geschichte wird wohl kontroverser debattiert. Während die Spiele innerhalb der eigenen Landesgrenzen längst als endgültige Krönung einer aufstrebenden Weltmacht zelebriert werden, geht es im internationalen Diskurs vor allem um Chinas Menschenrechtsverbrechen und einen möglichen Boykott.

    „Beijing 2022“ legt schonungslos die Gräben zwischen China und dem Westen offen. Und diese dürften sich im Verlauf der Mega-Veranstaltung weiter vertiefen.

    Wer sich auf Spurensuche begibt, wird im Pekinger Diplomatenviertel im Chaoyang-Bezirk fündig – eine Gegend, in der die Kontraste der chinesischen Hauptstadt frontal aufeinanderprallen. Prachtvolle Botschaftsvillen grenzen an eine stalinistische Militärkaserne. Vor Edelrestaurants mit mediterraner Küche marschieren Soldaten im Gleichschritt. Und aus praktisch jedem der großgewachsenen Ginkgo-Bäume lugen Überwachungskameras hervor. Alles läuft. Alles läuft?

    Überwachung: Patrouillierende Nachbarn, Gesichtserkennung und Voranmeldung beim Supermarkt

    Nachdem die Smartphones vor dem Botschaftseingang in einen Tresor weggesperrt worden sind, redet ein hochrangiger europäischer Diplomat Klartext: „Die Sommerspiele 2008 waren rückblickend ein Höhepunkt für China, auch weil sie mit vielen Hoffnungen verbunden waren. Die Winterspiele hingegen werden ein absoluter Tiefpunkt sein.“ Denn es habe sich die endgültige Gewissheit durchgesetzt, dass China unter Xi Jinping seinen nationalistischen Konfrontationskurs weiter fortsetzen werde.

    In der Tat hat sich China seit der Pandemie radikal gewandelt. Die geschlossenen Landesgrenzen und strengen Quarantäne-Bestimmungen haben dazu geführt, dass in Peking und Schanghai zusammengenommen weniger Ausländer leben als im kleinen Luxemburg. Gleichzeitig hat die digitale Überwachung ein Ausmaß erreicht, das für Außenstehende kaum mehr zu begreifen ist. Vor Pekings Wohnanlagen wachen Nachbarschaftskomitees mit roten Armbinden, an Hauseingängen sind Kameras mit Gesichtserkennung montiert, und selbst ein Supermarktbesuch ist nicht mehr möglich, ohne sich vorher mit seinem Smartphone zu registrieren.

    Das Vorzeigen des „grünen Gesundheitscodes“ ist derart essenziell für den chinesischen Alltag geworden, dass sich seit der Pandemie etliche Verbrecher, die Jahre zuvor ein Leben auf der Flucht führten, nun sogar freiwillig der Polizei gestellt haben.

    Chinas mächtiger Staatschef Xi Jinping.
    Chinas mächtiger Staatschef Xi Jinping. Foto: Mark Schiefelbein, dpa

    Am Austragungsort selbst ist von politischen Debatten kaum etwas zu spüren. Die Fahrt nach Yanqing führt an einförmigen Apartmentsiedlungen vorbei, die allmählich kargen Feldern und schließlich schroffen Bergen weichen. Die Landschaft ist atemberaubend schön, die Temperaturen sibirisch kalt und der Himmel blau wie aus einem Malkasten. Dennoch mag sich Wintersport-Stimmung nicht so recht einstellen. Denn auch wenn Yanqing in den Berichten des Staatsfernsehens als Winterwunderland porträtiert wird, ist weit und breit kein natürlicher Schnee zu sehen. Ganz im Gegenteil: Die Berghänge sind derart karg und trocken, dass man das Gefühl hat, durch einen bräunlichen Filter zu blicken.

    Steht der Naturschutzpark im Weg, werden die Grenzen mal eben verlegt

    Dass sich das ändert, dafür sorgen die 135 Schneekanonen, die bereits seit November auf Hochtouren laufen. Zehn Liter Wasser pro Sekunde sprühen sie in die Luft, es wird von umliegenden Stauseen hunderte Meter in die Berge hochgeleitet. Allein für die alpine Skipiste werden eine Million Kubikmeter benötigt.

    Einer der Männer, der für eine makellose weiße Kulisse zuständig ist, heißt Li Xin. Vor der internationalen Presse rechtfertigt er den immensen Aufwand, Schnee in die Pekinger Berge zu bringen. „Wir verursachen keine chemische Verschmutzung bei der Schneegewinnung. Sämtliches Wasser kommt aus einem Stausee, nicht von unter der Erde. Und für den Strom benutzen wir nur grüne Quellen“, sagt er.

    Die Organisatoren sprechen gar von den „nachhaltigsten“ Spielen in der olympischen Geschichte. Dass die Skipisten inmitten eines Umweltschutzgebiets gebaut wurden, passt da nicht ins Bild. Die Behörden reagierten auf das Problem mit einer typisch chinesischen Lösung: Die Grenzen des Naturschutzparks wurden um die Pisten herum verschoben.

    Das ganze olympische Dorf hat eine Fußbodenheizung

    Wozu die autoritär gelenkte Volksrepublik China fähig ist – stets die Wünsche und Vorgaben Xi Jinpings im Blick –, zeigen einmal mehr die Olympischen Winterspiele. In atemberaubend kurzer Zeit wurden Autobahnen und Hochgeschwindigkeitszugtrassen in die Landschaft gesetzt. Die Skipisten wirken, als wären sie mit Sprengstoff und Betonguss aus den Berghängen gemeißelt. Das olympische Dorf in Yanqing wurde vollständig mit einer Fußbodenheizung ausgestattet – sodass die Athleten auch beim Gang zwischen Fitnessstudio und Zimmer ihre Jacke zu Hause lassen können.

    Gerade im Kontrast zur eher bescheidenen Bauweise im südkoreanischen Pyeongchang vor vier Jahren wirken die Anlagen in Yanqing hochmodern, monumental – jedoch in der menschenleeren Landschaft auch merkwürdig verloren. Es braucht wenig, um sich vorzustellen, dass die Austragungsstätten schnell zu Geisterstädten werden dürften. Daran werden all die Superlative nichts ändern. Einer dieser Superlative ist der „fliegende Schneedrache“, Chinas erste – und mit einer Strecke von 1,6 Kilometern weltweit längste – Bobbahn. Die kurvenreiche Strecke ist vollständig überdacht und bietet Sitzplätze für 2000 Zuschauerinnen und Zuschauer. Die Olympioniken rasen quasi an deren Nasen vorbei. Alles läuft. Alles läuft?

    Deutscher Rodler nach positiven Corona-Test im Krankenwagen "abgeführt"

    „An sich hatten wir volle Ränge geplant, aber jetzt wird unser Konzept noch ausgearbeitet“, sagt Yang Jinkai, zuständig für den Betrieb und die Infrastruktur. Spätestens mit dem jüngsten Omikron-Ausbruch in Tianjin, nur wenige Autostunden von Peking entfernt, müssen nämlich sämtliche bisherigen Pläne ad acta gelegt werden. Dabei war das Corona-Sicherheitskonzept schon streng. Busse bringen die Athletinnen und Athleten von ihren Hotels zu den Sportstätten; farblich markierte Zäune stellen sicher, dass die Olympia-Teilnehmer keinen Kontakt mit dem Rest der Bevölkerung aufnehmen. Zudem muss ausnahmslos jede und jeder von ihnen täglich einen PCR-Test machen. 1,50 Meter große silbergraue Dienstleistungsroboter helfen dabei, den Kontakt mit Mitmenschen auf ein Minimum zu reduzieren.

    Einen unfreiwilligen Vorgeschmack auf die strenge Null-Covid-Politik hat der deutsche Rodler Tobias Arlt im November bei einem Weltcuprennen in Yanqing bekommen. Ein offenbar fehlerhafter Corona-Test wies den 34-Jährigen fälschlicherweise als positiv aus. „Da ist dann auch schon der Krankenwagen vorgefahren, in den ich abgeführt worden bin“, erzählte Arlt später im ZDF-Sportstudio. Die folgenden 48 Stunden verbrachte der Berchtesgadener in einem Kabuff und mit mehreren Kakerlaken. Erst nach zwei negativen Testergebnissen durfte er sein Quarantäne-Zimmer wieder verlassen. Arlt hatte dabei noch Glück: Gewöhnliche Einreisende berichteten von mehrmonatigen Zwangsaufenthalten in Spital und Quarantäne-Zimmer.

    Der deutsche Rodler Tobias Arlt.
    Der deutsche Rodler Tobias Arlt. Foto: Mark Schiefelbein, dpa

    Die Corona-Bestimmungen sind nur eine von mehreren Herausforderungen für die Spiele. Die größte für die Veranstalter ist die politische und öffentliche Debatte und in welche Richtung sie sich entwickeln könnte. Aufgrund der Gräueltaten gegen die unterdrückte Volksgruppe der Uiguren in Xinjiang, der Repressionen gegen Demokratiebefürworter in Hongkong und der immer aggressiveren Rhetorik der Staatsführung gegenüber Taiwan haben etliche Staaten entschieden, dass sie China auf der olympischen Bühne nicht aufwerten wollen. Litauen hatte Anfang Dezember als erstes Land einen diplomatischen Boykott angekündigt, es folgten die USA, Großbritannien, Australien und Kanada. Auch Japan wird keine hochrangigen politischen Vertreter nach Peking entsenden. Die Europäische Union ringt noch um eine gemeinsame Linie.

    Ein Wandel nicht nach den Vorstellungen des Westens

    Umso naiver wirken die einstigen Aussagen von IOC-Chef Thomas Bach von vor 20 Jahren. Damals kommentierte der deutsche Sportfunktionär vom Internationalen Olympischen Komitee die Wahl Pekings als Gastgeber für die Olympischen Sommerspiele 2008 mit den Worten: „Zumindest ist eins erreicht: Dass sich der Blick der Weltöffentlichkeit noch strikter auf China richtet, als das ohnehin schon der Fall ist. Und diese strenge Beobachtung kann natürlich auch zum Wandel beitragen.“ Tatsächlich hat sich China gewandelt – allerdings anders, als es sich der Westen damals vorgestellt hatte.

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