Das Vertrauen der Deutschen hatte Olaf Scholz längst verloren. Selten zuvor stand ein Kanzler in Umfragen so desaströs da wie er. Doch erst als die Exit-Strategie seines renitenten Partners FDP immer offensichtlicher geworden war, zog der Regierungschef die Reißleine. Umso befremdlicher wirkt es, dass er das Ampel-Aus am Montag im Bundestag ernsthaft zum Zeichen eigener Führungsstärke umetikettieren wollte.
Scholz stellte die Vertrauensfrage im Bundestag und verband das mit allerlei politischen Forderungen – ganz so, als habe nicht er selbst in den vergangenen drei Jahren die Verantwortung für dieses Land getragen. Es mutete beinahe kurios an, dass ein amtierender Kanzler, der immer wieder beklagt, andere würden Deutschland schlechtreden und Untergangsszenarien verbreiten, nun plötzlich derart dringenden Handlungsbedarf sieht.
Wie will er den Menschen bis zur Bundestagswahl am 23. Februar klarmachen, dass ausgerechnet er der Richtige sein soll, um all das aufzuarbeiten, was unter seiner Führung liegen geblieben war?
Ein bisschen Selbstreflexion hätte Olaf Scholz gutgetan
Eine seiner Strategien: Er schiebt den bisherigen Partnern die Verantwortung für das Scheitern der Ampel zu. Es stimmt ja, die FDP hat diese Regierung immer wieder aus Partikularinteressen blockiert. Und es stimmt auch, dass die Grünen versucht haben, ihre Themen mit der Brechstange umzusetzen. Aus dem Miteinander war ganz schnell ein Gegeneinander geworden. Erfolge, die es durchaus gab, wurden von ständigem Zoff und Missgunst überlagert. Aber: Der Chef hieß nun mal Olaf Scholz und er hatte den Laden ganz offensichtlich nicht im Griff. Ein bisschen Selbstreflexion hätte ihm an diesem Tag, da ihm nach dem Volk auch das Parlament das Vertrauen entzogen hat, gutgetan.
Eine zweite Strategie des entmachteten Kanzlers zeichnet sich schon seit Wochen ab: Er versucht sich selbst als Anwalt der einfachen Leute zu profilieren und attestiert seinem Herausforderer Friedrich Merz, genauso wie der von der Fahne gegangenen FDP, soziale Kälte.
Geht die Strategie des „Friedenskanzlers“ auf?
Der dritte strategische Ansatz: Scholz inszeniert sich als besonnener Staatsmann in einer Zeit, in der die Frage von Krieg und Frieden für viele Menschen weit oben auf der Liste ihrer Sorgen und Ängste steht. „Wir tun nichts, was unsere eigene Sicherheit aufs Spiel setzt“, verspricht er mit Blick auf Waffenlieferungen an die Ukraine. Immerhin, dieses Mal lässt er sich nicht dazu hinreißen, seinen Rivalen Merz als außenpolitisches Sicherheitsrisiko darzustellen, wie er es in den vergangenen Tagen immer wieder getan hatte. Und doch wird auch an diesem Tag deutlich, dass er unterschwellig genau diesen Gegensatz herausstellen möchte. Das mag man unfair finden, vielleicht sogar perfide, aber Scholz spürt, dass er damit durchaus einen Ton trifft.
Unter dem Strich muss man sagen: Mit seiner Rede an diesem Montag im Bundestag hat der Kanzler, ohne es zu wollen, gezeigt, warum er das Vertrauen vieler Menschen in Deutschland verloren hat.
Warum haben CDU und CSU in 16 Jahren nicht das gemacht, was sie heute der Regierung anlasten. Ich verstehe den Kommentar nicht so ganz.
Doch, der Kommentar ist leicht zu verstehen, denn AZ und ihren Berichterstattern fehlt es deutlich an Selbstreflexion. Die Ampelregierung war von Anfang an im Fokus der konservativen Presse, es war noch gar nichts auf den Weg gebracht, da hat man schon gegen die Ampel geätzt, jeden Durchstecher genüsslich zerredet und jede Idee sofort als nicht machbar abgetan. Mit Beginn der Ampelregierung waren die Versäumnisse und Fehlentwicklungen der Vorgänger vergessen und man hatte endlich einen Schuldigen, auf den man sich stürzen konnte. Lindner war von Anfang an das U-Boot und der Bremsklotz dieser Konstellation und hat konsequent für seine Klientel und nicht für Deutschland gearbeitet. Merz muss erst zeigen, was er kann. Im Moment ist es eher die Genugtuung und Gier, endlich Kanzler zu werden, die ihn treibt, ob er es auch kann oder ob er mit seiner Unbeherrschtheit viel Porzellan zerschlägt – man wird sehen. Der bayerische Schattenkanzler wird ihm keine Ruhe lassen – wird interessant.
Wieder einmal eine treffliche Analyse von Ihnen, Frau Reichenauer.
Sehr aufschlussreiche Kommentare. Wo war dann die SPD die 16 Jahre in der Regierung? Ob nun Merz ein geeigneter Kanzler sein kann oder wird, kann man erst beurteilen falls es soweit kommt. Was mir aber von Anfang an klar war, ist dass es mit 3 Parteien, die dazu noch gegensätzliche Ansichten vertreten, enorm schwierig sein wird auf Dauer eine Regierung zu bilden.
Die SPD war nicht 16 Jahre in der Regierung zwischendurch war es auch die FDP mit der Union. Was man als der kleinerer Partner in eine Zweierkoalition durchsetzen oder verhindern, ohne sie zu sprengen, kann sollte im Zweifel klar sein. In Dreierkonstellationen sieht das schon wieder ganz anders aus, da spielt man anfänglich etwas mit und dann wedelt der Schwanz mit dem Hund.
Die SPD ist seit 1998 mit Unterbrechung 2009-2013 mitregierend. Also 22 Jahre. Auch die Grünen waren in dieser Zeit 7 Jahre dabei. Was soll also das Gejammere. Jeder hätte Gelegenheit gehabt sein Themen zumindest teilweise umzusetzen. Wir können froh sein, dass es 2021 nicht für RRG gereicht hat was ja auch eine Zeit lang im Raume stand.
Die FDP war in den Merkel-Jahren gerade einmal mit in der Regierung! Davor und danach war immer die SPD als gleichgroßer Teilhaber dabei. Die SPD, die SPDler haben es in ihrer Geschichte schon immer sehr gut verstanden, sich bei den kleinen und großen Fehlern hinterher rein- und weiszuwaschen! Das ist eine der Hauptfähigkeiten, die die SPDler immer schon "ausgezeichnet" hat!!!
Die FDP war und ist in Ihren Augen wie auch offenbar in den Augen des schlechtesten Kanzlers ! (die Putin-Versteherin und Ukraine-Feindin Merkel war "Kanzlerin" !) den die Deutschen je hatten also lediglich als Mehrheitsbeschafferin da? Also darf die "Mehrheitsbeschafferin" keine Bedingungen stellen - die SPD-Sozialisten, die Putin-Freunde in der SPD ( wie etwa Mützenich) und die linken Träumer bei den Grünen aber sehr wohl?! Warum haben denn dann die SPD und die Grünen die FDP vor 3 Jahren dringend ums Mitmachen gebeten? Ankreiden muß man der FDP ( und ich bin wahrlich kein FDP-Wähler), daß sie seit 30 Jahren nicht begreift, daß sie immer wieder ums "Mitmachen" (also Mehrheitsbeschaffer) aber nicht ums Mitregieren gebeten und aufgefordert wird!
Na gut fangen wir eben bei Kein und Abel an. Welche Krisen gab es denn vor 20 Jahren im Vergleich zu heute?
Sehe ich ähnlich, Frau Gutmeyr. Scholz war zu 80% kein schlechter Bundeskanzler. Was ihm fehlte, und dam mache ich ihm persönlöich gar keinen Vorwurf, war eine überdurchschnittlich erforderliche Moderatorenfunktion (eine der wichtigsten Funktionen eines BKs). Da hätte er einen ECHTEN Profi an seiner Seite benötigt. Unmöglich war es nicht, diese Koalition zu einem halbwegs guten Ende zu führen.
wer oder was da regiert oder regiert hat - ist doch eigentlich egal. Ergebnis ist: Deutschland ist GANZ UNTEN innenpolitisch, aussenpolitisch, energiepolitisch, CO2-mässig, geldpolitisch, demokratisch, gesundheitspolitisch, verantwortlich, rechtlich, NGO mässig Da rauszukommen, ist die Aufgabe einer zukünftigen Regierung, wer auch immer - vielleicht macht es sogar ein Scholz II besser
Wenn es so ist, wie Sie sagen, dann haben wir den freien Fall ja schon hinter uns, haben nichts mehr zu verliereun und keiner kann uns mehr helfen. Was tun? Vielleicht einmal sich eingestehen, dass es den Deutschen mehrheitlich gar nicht so schlecht geht? Vielleicht einmal die Realität sehen, dass Deutschland auf Höchstniveau jammert, während viele Menschen Hunger, Naturkatastrophen und Kriegen ausgesetzt sind? Während hier in den Einkaufszentren die Kassen klingeln, fallen woanders Bomben oder Naturkatastrophen schwemmen den Menschen die Existenz weg – ohne dass sie auf Staatshilfen hoffen können. Also nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass OBEN und UNTEN eine Sache des Betrachters ist, und vor allem die Extremparteien sorgen dafür, dass die Sichtweise manchmal Kopf steht, auch wenn dies nicht der Realität entspricht.
Man sollte Olaf Scholz danken, das er vor 3 Jahren den Job übernommen hat, auch, wenn er kein gelernter Häuptling ist, aber seine Indianer waren allesamt müde Krieger.
Gott bewahre uns: vor einem zweitenmal Olaf Scholz, dem Zögerer, Zauderer und Unwahrheitssager!
Dieser Kommentar ist journalistisch einfach richtig schlecht gemacht, aber darauf kommt es wohl nicht mehr an. Allein das Ziel zählt und da ist jedes Mittel recht.
Hätte Scholz sich in den letzten drei Jahren derart energisch und klar an Ansagen gegenüber Grünen gewagt, wäre vielleicht vieles anders - besser - gelaufen und es nie zu vorgezogenen Wahlen gekommen. Aus der Defensive in gekränkter Eitelkeit jetzt aus dem Graben nach allen Richtungen die Falschen, die unser Land nicht geschädigt haben, zu verbellen, sollte unter Scholz Würde sein; jedenfalls ist es gut, daß diese Regierung bald Geschichte ist und sich nicht wiederholt, z.B. durch Merz und Schwarz-Grün.
Wer sagt Ihnen, dass Lindner das Land NICHT geschädigt hat? Er hat die Schuldenbremse zum Fetisch gemacht, diese Verweigerung hat der Wirtschaft geschadet, um vor allem energetisch auf bessere Beine zu kommen. Die Union wird ganz schnell etwas an dieser Bremse ändern, sonst kann sie ihre Steuergeschenke nicht finanzieren. Aber sie wird damit leider nur Wählerstimmen kaufen, das Land besser und sicher manchen – das wird sie nicht. Wer glaubt, nur durch soziale Einsparungen den tollen Aufschwung hinzubekommen, ist naiv.
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