Beinahe einen Monat hat es gedauert, bis es nun endlich Bewegung gibt: Wochenlang haben sich nach den Nationalratswahlen in Österreich Ende September die Parteichefs und Bundespräsident Alexander van der Bellen bei Gesprächen die Klinke in die Hand gedrückt, wochenlang blieb die Öffentlichkeit im Unklaren, wie es nun weitergehen sollte, nach dem deutlichen Wahlsieg der extrem rechten FPÖ. Seit Dienstag ist endlich klar: Einen Regierungsauftrag an FPÖ-Chef Herbert Kickl als Kandidaten der stimmenstärksten Partei, wie dies jahrzehntelang üblich war, wird es nicht geben. Kickl habe ihm gegenüber deutlich festgehalten, dass es eine FPÖ-Regierungsbeteiligung ausschließlich mit ihm als Bundeskanzler geben werde, sagte Van der Bellen am Dienstag in einem knappen, aber deutlichen Statement. Und: „Die anderen Parteichefs haben versichert, dass sie genau das nicht wollen.“ Und weiter: „Herbert Kickl findet keinen Koalitionspartner, der ihn zum Bundeskanzler macht.“
Es sei eine besondere Situation, die nun besonderes Handeln erfordere, sagte Van der Bellen. Der Präsident sparte nicht mit Seitenhieben auf die extreme Rechte: Niemand könne „alleine für sich beanspruchen, das Volk zu vertreten“. Dann zählte der Bundespräsident auf, was er von den übrigen Parteichefs in den diskreten Gesprächen über die FPÖ unter Herbert Kickl zu hören bekommen habe: „Sorge um die liberale Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung, mangelnde proeuopäische Haltung und daher Beschädigung des Wirtschaftsstandortes Österreich, Russlandpolitik, Putin-Nähe, massive Sicherheitsbedenken der ausländischen Geheimdienste, die ihre Zusammenarbeit im Falle einer FPÖ-Regierungsbeteiligung massiv einschränken würden, spaltende und herabwürdigende Sprache, mangelnder Respekt, ein rückwärtsgewandtes Frauenbild und eine fehlende Abgrenzung zum Rechtsextremismus.“ Er habe deshalb Karl Nehammer, den amtierenden Kanzler und Chef der nun zweitstärksten ÖVP, gebeten, mit den Sozialdemokraten, die bei der Wahl auf dem dritten Platz gelandet waren, Regierungsverhandlungen aufzunehmen.
Auch die Liberalen könnten an einer Regierung in Österreich beteiligt sein
Für Nehammer und die ÖVP, die zwar eine Regierung mit Herbert Kickl als Person, keineswegs aber eine Zusammenarbeit mit der FPÖ insgesamt ausgeschlossen hatten, steigt nun der Druck. Noch am Dienstagnachmittag kündigte Nehammer Verhandlungen mit der SPÖ wie auch mit einer dritten Kraft an. Eine Dreierkoalition gilt als wahrscheinlich – gerechnet wird mit den liberalen NEOS, die so erstmals in ihrer Geschichte Teil einer Bundesregierung werden könnten. Ob die nun beginnenden Verhandlungen auch zur Regierungsbildung führen werden, könne er aber nicht versprechen, betonte der ÖVP-Chef.
Es ist ein Szenario mit enormen Fliehkräften, das in Deutschland wohl nur allzu bekannt ist: Vor allem die Liberalen haben aber klargestellt, dass sie keinesfalls nur als Mehrheitsbeschaffer für die Dreier-Koalition zur Verfügung stehen werden – ihnen würde es um eine echte Reformregierung gehen, wird NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger nicht müde zu betonen. Eine solche oder auch nur ein halbwegs tragfähiger Kompromiss könnte sehr schwierig werden: Während ÖVP und NEOS neue Steuern kategorisch ausschließen, sind Umverteilung, Vermögens- und Erbschaftssteuern eine zentrale Forderung von SPÖ-Chef Andreas Babler. Für den dezidiert linken Babler, der seit seiner Übernahme des Parteivorsitzes mit massiven Anfeindungen aus den eigenen Reihen zu kämpfen hat, könnte die Situation nicht schwieriger sein. Bringt er in Verhandlungen keine seiner Wahlkampfforderungen durch, bliebe ihm nur der Rückzug, etwa als Fraktionsführer im Parlament: Schon am Donnerstag, bei der konstituierenden Sitzung des Nationalrats, soll sich Babler von den SPÖ-Abgeordneten zum Klubchef wählen lassen. Auch wenn Babler Teil des SPÖ-Verhandlungsteams ist – den Ton bei den Koalitionsgesprächen mit ÖVP und NEOS würden wohl andere angeben.
In der Steiermark wird Ende November gewählt
Wirklich klar ist der Fahrplan für die ÖVP aber dennoch nicht, und das Taktieren der Konservativen könnte sich fortsetzen. Immerhin wollen Teile der Partei – vor allem die finanzstarke Industriellenvereinigung – lieber mit der FPÖ regieren. Schon Ende November stehen Landtagswahlen in der Steiermark an, dort könnte sich der Erfolgstrend für die FPÖ fortsetzen. Verliert die ÖVP den ersten Platz an die extreme Rechte, wie es die Umfragen andeuten, dürfte dies den Befürwortern einer Zusammenarbeit mit der FPÖ den Rücken stärken - Kickl hin oder her.
Mit der Ansage Van der Bellens, der ÖVP den Ball zuzuspielen, hat der FPÖ-Chef jedenfalls das, was er braucht: Die Möglichkeit, das Staatsoberhaupt, wie schon in der Vergangenheit, als Feindbild und sich selbst als Opfer zu inszenieren. „Alle gegen mich und damit gegen euch“, mit diesem Motto wird Kickl nun die verbleibenden Wochen des Steiermark-Wahlkampfs bespielen. Und bezogen auf die Koalition in Wien ließ der FPÖ-Chef wissen: „Ich verspreche euch: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.“
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