Nach der 180-Grad-Wende der ÖVP und ihrem neuen „Ja“ zu Herbert Kickl als möglichem Kanzler könnte es nun schnell gehen, mit einer FPÖ-geführten Bundesregierung in Österreich. Seit Freitag wird offiziell verhandelt, wo man sich trifft, darüber lassen die beiden Parteien die Öffentlichkeit im Unklaren. Man hat sich zur Verschwiegenheit verpflichtet, ganz so, wie FPÖ-Chef Kickl das in seinem ersten Statement nach dem politischen Erdbeben vom Dreikönigs-Wochenende gefordert hatte. Bekannt ist nur: Es ist vorerst nur ein sehr kleiner Kreis an Verhandlern, der am Freitagvormittag zu ersten Gesprächen zusammentraf. Offenbar will man auch aus dem Scheitern der Dreier-Verhandlungen von ÖVP, SPÖ und liberalen NEOS lernen. Kleinstgruppen statt den rund 300 Verhandlern und den dutzenden Untergruppen in den Dreier-Gesprächen sollen nun, bevor es an den eigentlichen Koalitionspakt geht, das größte Problem für die kommende Regierung lösen: den milliardenschweren Schuldenberg.
Zur Erinnerung: Dass im Budget ein Loch von rund 18 Milliarden Euro klafft, hatte der ehemalige ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner, nun EU-Migrationskommissar, vor den vergangenen Nationalratswahlen Ende September geflissentlich unter den Tisch fallen lassen, erst nach der Wahl wurde das massive Schuldenproblem, vor dem Österreich steht, nach und nach bekannt. Ein EU-Defizitverfahren wollen sowohl Kickls FPÖ als auch die ÖVP vermeiden. Welche Einsparungen Kickl bereit ist, den Österreichern zuzumuten, ist eine der großen Fragen, die politische Beobachter in den kommenden Wochen beschäftigen werden.
Wieviel Spielraum hat die FPÖ in der Außenpolitik?
Bekannt ist soweit: In einigen Punkten decken sich die Maßnahmen, die die ÖVP in den gescheiterten Dreier-Verhandlungen gefordert hatten, mit dem, was die FPÖ will. Kurz nach der Wahl im September hatte Kickls Partei ein Positionspapier für etwaige Verhandlungen präsentiert. In puncto Budget und Einsparungen macht die FPÖ darin klar: Es soll keine neuen Steuern geben, und auch keine Bankenabgabe, die die ÖVP ebenfalls ablehnt. Stattdessen soll es einen „besseren Zugang zu fairen und leistbaren Krediten“ geben, wie Kickl im Oktober verkündet hatte: „Da kann man dann die Banken in die Pflicht nehmen. Und wenn das Eigentum einmal da ist, dann schützen wir es, das heißt: keine Erbschaftssteuern, keine Vermögenssteuern.“
Mehr als fraglich bleibt, ob die FPÖ einer Erhöhung der Mehrwertsteuer, wie sie die ÖVP dem Vernehmen nach will, zustimmen würde. In Summe blieb die FPÖ im besagten Positionspapier vage, woher nun das Geld kommen soll. Eine „Taskforce Förderdschungel“ soll eingerichtet werden, ist dort etwa zu lesen, man will die „öffentlichen Ausgaben auf Konjunkturwirkung überprüfen“ – und, erwartbar für die FPÖ, „kostensenkende Maßnahmen gegen Zuwanderung ins Sozialsystem“. Dass jene Ausgaben für Klimaschutz-Maßnahmen, die ÖVP und Grüne in der vergangenen Regierung umgesetzt hatten, von FPÖ und ÖVP gestrichen werden, gilt unter Beobachtern als sicher. Betreffen würde das etwa den Klima-Bonus (Rückzahlung der CO2-Steuern an die Bürger), Förderungen für den Heizungstausch oder das Prestige-Projekt der Grünen, das österreichweite Klima-Ticket.
Die FPÖ will das Veto-Recht auf europäischer Ebene künftig stärker nutzen
Wirklich kritisch für die ÖVP wird die Frage, wie viel Spielraum den FPÖ-Positionen im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik eingeräumt werden soll. Österreich solle weiter ein „verlässlicher Partner in der EU“ sein, sagt dazu die ÖVP – das sieht die extrem rechte FPÖ freilich anders. Kickl fordert ein Ende der österreichischen Beteiligung des EU-Raketenabwehrschirms „Skyshield“, das Veto-Recht Österreichs in der EU soll künftig stärker genutzt werden, die FPÖ stellt zudem die völkerrechtlichen Verträge generell infrage. Besonders die pro-russische Haltung von Kickls Partei dürfte der ÖVP auf EU-Ebene Probleme bereiten: „Die Zahlungen an die EU-Friedensfazilität sind zu stoppen“ – keine EU-Hilfen mehr für die Ukraine, sagt das FPÖ-Programm.
Ebenso will die FPÖ eine „Befreiung vom wohlstandszersetzenden Green Deal der EU“. Christian Stocker, der neue interimistische Mann an der Spitze der ÖVP, blieb in diesen Fragen bisher vage. „Wir wollen die volle Souveränität gegenüber jeglicher Einflussnahme aus dem Ausland“, spielte Stocker in einem Statement auf die Russlandnähe der FPÖ an. Und: „Es braucht eine starke, wenn auch bessere Europäische Union.“ – Aussagen wie diese können sowohl als Widerstand gegen Kickls Ambitionen, als auch als offene Tür für Kompromisse gedeutet werden.
Greift die FPÖ die Medien an?
Und dann ist da noch der demokratiepolitisch bedeutsame Punkt der Medien- und Pressefreiheit: Es brauche eine „vielfältige und tatsächlich unabhängige Medienlandschaft“, sagt die ÖVP. Einer solchen aber, daraus macht Kickl keinen Hehl, will die FPÖ an den Kragen. Die Haushaltsabgabe, aus der sich der öffentlich-rechtliche ORF seit Kurzem finanziert, nennt Kickl eine „Zwangssteuer“ – und will sie abschaffen. Stattdessen will die FPÖ eine „neue Förderstruktur“ aufbauen, an der „sämtliche Medien unabhängig von ideologischen Festlegungen teilhaben können“.
Im Klartext sind damit wohl jene verschwörungsideologischen und extrem rechten Medien und Plattformen gemeint, die die FPÖ zum Teil bereits in der Vergangenheit über Parteimittel und öffentliche Inserate unterstützt hatte. Zu ihnen gehört unter anderem der auch in Deutschland reichweitenstarke Internet-Sender „Auf1“. Ihn listet der österreichische Verfassungsschutz in seinem jüngsten Bericht – neben anderen FPÖ-nahen Plattformen – als rechtsextrem. Während dem ORF personeller Umbau, finanzielle Einbußen und die Streichung von Programmangeboten drohen, könnten die FPÖ-Pläne, so die ÖVP sich diesen nicht entgegenstellt, bald zu einer Medienlandschaft führen, die jener von Viktor Orbáns Ungarn um nichts nachsteht.
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