Es ist Tag 79 nach den Nationalratswahlen, aber wann – und ob überhaupt – Österreich bald eine neue Regierung haben wird, ist nach wie vor unklar. Am Dienstagnachmittag traten die Chefverhandler von ÖVP, SPÖ und den liberalen Neos vor die Presse, um über den Zwischenstand der Verhandlungen zu informieren. Danach war klar: Bewegen dürfte sich kaum etwas. Sowohl Noch-Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) als auch Andreas Babler (SPÖ) und Beate Meinl-Reisinger (Neos) betonten das gute Einvernehmen und den aufwendigen Prozess und die große Anstrengung der Verhandlungen, bedankten sich wechselseitig – und vertrösteten die Öffentlichkeit damit, dass auch über die Weihnachtsfeiertage weiter verhandelt werden würde. Der Aufwand ist tatsächlich gigantisch: Mehr als 300 Verhandler der drei Parteien treffen sich in 33 Untergruppen, in einigen gebe es bereits „grünes Licht“ – doch selbst über diese angeblich bereits erreichten Ergebnisse schwiegen sich die drei Chefverhandler aus.
Und während man live vor den Kameras Harmonie demonstrierte, richteten sich die Verhandler in den vergangenen Tagen über die Zeitungen ihre jeweiligen Befindlichkeiten aus: Dass es natürlich auch neue Einnahmen brauche, ließ die SPÖ wissen, und dass man die ÖVP eher nicht „ans Geld“ lassen solle. Unzufrieden sei man mit dem Verlauf der Verhandlungen, ließen die liberalen Neos wissen, man habe es bei ÖVP und SPÖ mit den altbekannten Kräften – bei den Konservativen die Landeshauptleute, bei den Roten die Gewerkschaften – zu tun.
Österreich droht EU-Defizitverfahren
Die koalitionswilligen Parteien streiten ums Geld. Österreich droht mit seinem Milliarden-Defizit, das die scheidende ÖVP-Grünen-Koalition hinterlassen hat, ein EU-Defizitverfahren. Die SPÖ möchte ein solches gar nicht vermeiden und schlägt vor, sich bewusst für ein EU-Verfahren zu entscheiden, dann nämlich müsse in den ersten Jahren deutlich weniger gespart werden. Zudem will die SPÖ nach wie vor höhere Einnahmen erzielen, etwa durch neue Steuern. Für die ÖVP kommt dies aber nicht infrage. Stattdessen möchten Nehammer und seine Mitstreiter vor allem ausgabenseitig sparen. Gut möglich also, dass vieles, was die ÖVP in den vergangenen Jahren zusammen mit den Grünen zuwege gebracht hatte, bald Geschichte sein könnte: Der Klima-Bonus, der höhere CO₂-Steuern an die Österreicher zurückbezahlt etwa, oder das bundesweite Öffi-Klima-Ticket, das wohl wichtigste Projekt der Grünen in der scheidenden Regierung.
Auf Kanzler Nehammer lastet weiter enormer Druck: Vor allem die ÖVP-nahe Wirtschaft möchte lieber mit der extrem rechten FPÖ von Wahlsieger Herbert Kick regieren, anstatt weiter mühsam mit SPÖ und Liberalen einen Kompromiss zu verhandeln.
Es muss befürchtet werden, dass in der geplanten 3er Koalition der Stillstand verwaltet wird, wie die Erfahrung der letzten großen Koalition in Wien gezeigt hat. Es gibt auch interne ÖVP Kritik dass man eine Koalition mit der FPÖ seitens Nehammer grundsätzlich ablehnt. Auf Bundesländerebene funktionieren ÖVP/FPÖ Koalitionen doch auch weitestgehend reibungslos.
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