Von einer Wahl, die in die Geschichtsbücher eingehen werde, sprachen am Sonntagabend politische Beobachter in Österreich – und das ist wohl keineswegs übertrieben. Für die Kanzlerpartei ÖVP, die ohnehin tief in Korruptionsskandalen steckt und sich noch immer nicht vom schmerzhaften Erbe der Ära Sebastian Kurz befreien konnte, ist die herbe Wahlniederlage in ihrem Kernland Niederösterreich ein Schlag in die Magengrube: Die absolute Mehrheit sowohl im Landtag wie auch in der nach einem Proporz-System besetzen Landesregierung ist weg, Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner wird sich nun einen Partner suchen müssen, eine andere Partei als die ebenfalls abgestrafte SPÖ kommt nicht infrage, denn der Wahlgewinner FPÖ schließt aus, Mikl-Leitner zur Landeschefin zu wählen.
Das Erdbeben vom Sonntag trifft direkt die Führungsspitze der Konservativen: Sowohl Bundeskanzler Karl Nehammer als auch Innenminister Gerhard Karner und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka – übrigens in allen Umfragen deutlich der unbeliebteste Politiker Österreichs – kommen aus der niederösterreichischen ÖVP. Diese hat, mit Mikl-Leiter als mächtige Frau im Hintergrund, seit dem Ausscheiden von Kurz aus der Politik die Bundes-ÖVP quasi übernommen.
Harte Töne von Kanzler Nehammer nutzten eher der FPÖ
Jetzt ist diese niederösterreichische Machtzentrale deutlich geschwächt. Andere Teile der bündisch organisierten ÖVP werden die niederösterreichische Führung infrage stellen – aus Angst davor, dass der Absturz weitergeht. Auch auf programmatisch-ideologischer Ebene könnte das niederösterreichische Wahldesaster nicht einschneidender sein, für Nehammer und seine Mitstreiter: Der rechtspopulistische Kurs mit starker Betonung auf das Flucht- und Migrationsthema, seinerzeit eingeführt von Sebastian Kurz, hat nicht den gewünschten Effekt gebracht.
Im Gegenteil: Die harten Töne des Kanzlers und des Innenministers nutzten eher der FPÖ – man geht „zum Schmied und nicht zum Schmiedl“, wie man in Österreich sagt. Dass laut ÖVP-Spitze jetzt die „Krisen“ schuld sein sollen am Wahldesaster, dass eine „Protestwelle“ über Niederösterreich hinweggerollt sei, wie Mikl-Leiter sagte, zeigt deutlich die Orientierungslosigkeit der Partei. Die Niederösterreicher hatten nach dem Ende von Kurz einen Mittelweg eingeschlagen: Das „türkise“ Personal von Kurz wurde – zumindest auf den vordersten Plätzen – durch niederösterreichisches Personal ersetzt, der Kurz’sche Rechtspopulismus wurde beibehalten. Dieser Weg ist nun am Ende. Die Abwärtsspirale aufzuhalten, wird ob der Großwetterlage schwierig.
Für Österreich bedeutet die politische Krise auch Stillstand
Und für die ohnehin von gegenseitiger Lähmung gekennzeichnete Koalition mit den Grünen auf Bundesebene bedeutet die konservative Krise noch mehr Stillstand: Die ÖVP ist noch stärker mit sich selbst beschäftigt, sie muss nun versuchen, ihre Machtbasis in den Ländern nicht zu verlieren. Im SPÖ-regierten Kärnten steht schon am 5. März die nächste Landtagswahl an, am 23. April geht es in Salzburg zu den Urnen, hier steht für die ÖVP wieder viel am Spiel. Die ÖVP weiß jetzt: Ihre Macht in den Ländern ist keine Selbstverständlichkeit mehr, auf die man sich verlassen kann.
Gänzlich mit sich selbst beschäftigt sind auch die Sozialdemokraten. Der Verlust von Platz zwei in Niederösterreich an die FPÖ wird wohl nicht nur dort personelle Konsequenzen nach sich ziehen: Der seit vielen Monaten schwelende Führungsstreit um die Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner wird seit Sonntag auf offener Bühne ausgetragen, immer mehr SPÖ-Funktionäre fordern laut den Rückzug der Parteispitze, was diese freilich ablehnt.
Dass mit dem Migrationsthema nur der FPÖ geholfen ist, wird auch bei den Roten für Diskussionen sorgen: Die wachsende Zahl jener in der Partei, die sich in den scharf von rechts kommenden Wind drehen will, muss sich die Frage stellen, ob damit bei den spätestens im Herbst 2024 anstehenden Nationalratswahlen noch Staat zu machen ist. Davon abgesehen schafft die SPÖ es nicht, mit Konzepten und Forderungen gegen die Teuerung den eigenen Markenkern in den Vordergrund zu stellen.
Ausgerechnet die FPÖ geht gestärkt aus den Wahlen hervor
Lachen kann darüber Herbert Kickl. Der Chef der FPÖ freut sich nach dem Triumph vom Sonntag über einen eindeutigen Trend und massiven Rückenwind. Nicht nur in den Wahlumfragen, auch in der Kanzlerfrage ist Kickl auf Platz eins. Für gemäßigte politische Kräfte links und rechts der Mitte ist das Grund zu großer Besorgnis: Unter Kickl hat sich die FPÖ nach dem Ende ihres Langzeit-Chefs Heinz-Christian Strache noch weiter radikalisiert.
Heute vertreten Kickl und seine Getreuen offen verschwörungsideologische Positionen, man hat es geschafft, das Potenzial von Coronaleugnern und Impfgegnern, von Demokratiefeinden und -skeptikern gänzlich aufzusaugen. Die FPÖ ist offen Putin-freundlich, schafft sie es bei Wahlen auf Platz eins, bedeutet dies auch für Alexander van der Bellen eine echte Nagelprobe. In einem Interview im ORF-TV ließ das Staatsoberhaupt durchklingen, dass er Kickl im Falle eines Wahlsiegs den Auftrag zur Regierungsbildung verweigern würde. Fest steht: Extrem rechts ist wieder oben auf, in Österreich. Die kommenden Monate werden zeigen, wohin sich die Alpenrepublik bewegen wird.