Sag, wie hältst du es mit der AfD? Auf regionaler Ebene müsse man durchaus mit der AfD zusammenarbeiten – die Aussage von CDU-Chef Friedrich Merz löste nicht nur in Deutschland eine intensive Debatte über den Umgang der Konservativen mit der extrem rechten und immer erfolgreicheren Partei aus. Schon bald jeder vierte Deutsche gibt in Umfragen an, sich vorstellen zu können, das Kreuz bei jener Partei zu machen, die vom deutschen Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt wird. Auch in Österreich macht diese Entwicklung von sich reden.
Doch anders als in Deutschland, wo Merz' Aussagen auch von dessen Parteifreunden derart kritisiert wurden, dass der CDU-Chef schließlich zurückrudern musste, sind die österreichischen Konservativen der ÖVP nicht nur längst offen für eine Zusammenarbeit mit den rechten Freiheitlichen. Sie haben, wohl auch aufgrund immer geringer werdende Sympathie unter den Wählern, längst in weiten Teilen die Programmatik – vor allem aber die Rhetorik – der Rechten übernommen. Jüngstes Beispiel: der Versuch der ÖVP, allen voran von Kanzler Karl Nehammer, zu definieren, was denn „normal“ sei.
Jörg Haider gilt als der „Erfinder“ des modernen Rechtspopulismus
Angestoßen hatte die von außen absurd anmutende Diskussion Nehammers Parteifreundin, Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Seit kurzem koaliert sie mit der in Niederösterreich besonders weit rechts stehenden FPÖ – und ließ unlängst über die Medien ausrichten, wen sie für „Normaldenkende“ halte: Alle, die sich gegen das Gendern aussprechen, die nichts anfangen können mit „Klimaklebern, Marxisten und Verschwörungsfanatikern“. Nehammer ergänzte daraufhin in einem Internetvideo: Die „Normalen“, das seien alle, die Auto fahren und zur Arbeit gehen würden. Eine solche Unterteilung in „Normale“ und „Radikale“ würde die Spaltung der Gesellschaft noch weiter vorantreiben, kritisierte daraufhin Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
Eine „Brandmauer“ Konservativen gegenüber dem Pendant der AfD, der aktuell von Herbert Kickl geführten FPÖ, gibt es in Österreich in dieser Form ohnehin nicht: Vor gut 20 Jahren koalierte der damalige Chef der Volkspartei, Wolfgang Schüssel, mit der FPÖ des verstorbenen „Erfinders“ des modernen Rechtspopulismus, Jörg Haider. Nach dem kurzen, aber intensiven Widerstand der Zivilgesellschaft gegen die Regierungsbeteiligung der extremen Rechten – und beträchtlichem Gegenwind aus dem internationalen Ausland – flachte in den Nullerjahren der Protest gegen rechts in Österreich merklich ab. Wie konnte die FPÖ, die aktuell die Umfragen anführt, wieder zu derartiger Stärke gelangen?
Flüchtlingskrise und Corona heizten Erfolg der FPÖ an
Der Unterschied zwischen Deutschland und Österreich, was extrem rechte Parteien angeht, ist vor allem historisch zu betrachten. Während in Deutschland in der Nachkriegszeit rechte Parteien kaum Aufstiegschancen hatten und teilweise als verfassungsfeindlich verboten wurden, war die FPÖ als Nachfolgepartei der österreichischen Nationalsozialisten und Sammelbecken für alle, die sich weder Konservativen noch Sozialdemokraten zugehörig fühlten, praktisch seit ihrer Gründung Teil des Parteienspektrums. Der legendäre SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky ließ 1970 seine Minderheitsregierung von der FPÖ stützen. Ex-ÖVP-Kanzler Schüssel war also nicht der erste Kanzler, der mit der FPÖ regierte.
Nach dem politischen Ende von Jörg Haider, der bis heute mitunter als großes „politisches Talent“ gilt, begann der Aufstieg Heinz-Christian Straches an der FPÖ-Spitze. Die FPÖ unter seiner Führung schaffte es sukzessive, ehemalige SPÖ-Wähler, unter anderem aus den städtischen Arbeiterschichten, an sich zu binden. Das Unvermögen der Sozialdemokraten in jenen langen Jahren, den zunehmend aggressiver agierenden Rechtspopulisten wirksam entgegenzutreten, stellt ebenso einen wichtigen Normalisierungsfaktor der extremen Rechten dar, wie die Tatsache, dass die FPÖ in ihrer Anti-Ausländer-Rhetorik jahrelang tatkräftig vom reichweitenstarken Boulevardblatt Krone unterstützt wurde.
Der Architekt von Straches Aufstieg schrieb schon zu Haiders Zeiten dessen Reden und steht heute selbst der Partei vor: Herbert Kickl. Die letzten Bausteine des FPÖ-Erfolgs bilden Reaktionen auf die Fluchtbewegungen des Sommers 2015 und die Corona-Pandemie: Die Corona-Maßnahmen und die Unfähigkeit der ÖVP, die hohe Teuerung erfolgreich zu bekämpfen – sie bilden die Basis für Kickls aktuelles Umfragehoch. Mittlerweile regiert die ÖVP Ober- und Niederösterreich wie auch in Salzburg mit Kickls Partei. Ganz offensichtlich sehen Österreichs Konservative keine Chance mehr in einer eindeutigen Abgrenzung zur FPÖ.