Es ist Woche sieben nach der Nationalratswahl und nach wie vor ist unklar, wann Österreich eine neue Regierung haben wird – der Druck auf die Parteien steigt indes von Tag zu Tag. Seit Wochen treffen sich die Verhandlungsteams von noch-Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Andreas Babler (SPÖ) regelmäßig, zuerst zum informellen Austausch, nur zu „Sondierungsgesprächen“ und was genau hinter verschlossenen Türen besprochen wird, ob es Fortschritte gibt oder nicht – darüber lassen die Parteichefs die Österreicher im Unklaren. „Gute Gespräche“ seien es gewesen, mehr ist auf Nachfrage, was denn Thema gewesen sei – diese Woche fand bereits das vierte Sondierungsgespräch statt – von den Verhandlern nicht zu hören. Dass Nehammers ÖVP und die Sozialdemokraten, die nach dem Wahlsieg der extrem rechten FPÖ im Parlament nur über eine hauchdünne Mehrheit verfügen, wohl einen dritten Koalitionspartner brauchen würden, ist seit Wochen klar – ebenso, dass es sich dabei um die liberalen Neos handeln würde. Doch Nehammer und Babler ließen sich Zeit. Erst an diesem Mittwoch nahm erstmals auch das Team von Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger an den Gesprächen teil.
Auch das krachende Scheitern der Ampel in Deutschland hängt wie ein böses Omen über dem Experiment, das Nehammers ÖVP wagen will: Eine Koalition aus drei Parteien ist eine Premiere in Österreich, und allzu deutlich wurde durch den Streit zwischen SPD-Kanzler Olaf Scholz und FDP-Finanzminister Christian Lindner, wie stark die Fliehkräfte in einer Dreier-Variante sind. Der Weg dorthin könnte auch in Österreich steiniger nicht sein, die Vorstellungen der drei Parteien liegen meilenweit auseinander: Der dezidiert linke SPÖ-Chefs Andreas Babler will steuerliche Umverteilung und vor allem eine umfassende Sanierung des in Österreich einst hervorragenden, nun maroden Gesundheitssystems, die Liberalen wollen echte Reformen und lehnen neue Steuern ebenso ab wie die Konservativen, die vor allem den Wirtschaftsstandort stärken und illegale Migration bekämpfen wollen. Mit großer Skepsis warten die Österreicher daher ab, wie das alles unter einen Hut zu bringen sein soll. Umso mehr bemüht sich der alte und möglicherweise neue Kanzler, Optimismus zu verbreiten: Es werde kein „weiter wie bisher“ geben und auch keine reine Anti-Kickl-Koalition, wiederholt Nehammer mantrahaft, rascher soll es nun gehen und schon kommende Woche, verspricht Nehammer, sollen dann echte, „ernsthafte“ Verhandlungen starten.
Österreich steckt in finanziellen Schwierigkeiten
Die Zeit drängt. Gleich nach der Wahl gestand ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner ein, dass das Haushalts-Defizit weit höher ausfallen werde, als er noch vor der Wahl prognostiziert hatte: 3,3 Prozent werde das Defizit für das laufende Jahr betragen, Wirtschaftsforscher rechnen noch mit weit mehr – damit droht Österreich ein EU-Verfahren wegen der Maastricht-Regeln. Den Vorwurf einer wahltaktischen Täuschung wies Brunner am Donnerstag von sich, er lasse sich „nichts umhängen“, so der scheidende Finanzminister, der ab sofort als neuer EU-Migrationskommissar fungiert und mit dem Budget-Problem nichts mehr zu tun hat. Budget-Sanierung, keine neuen Steuern, tiefgreifende Reformen und gleichzeitig soziale Umverteilung – was auf die mögliche neue Dreier-Koalition zukommt, klingt wie die Quadratur des Kreises. Die Ansage eines führenden Neos-Verhandlers, wonach die Liberalen künftig das Finanzressort bekommen sollten, dürfte die verfahrene Situation wohl kaum verbessert haben.
Dass die Verhandlungen in Wien sich ziehen, hat allerdings einen weiteren, weitaus banaleren Grund: Am 24. November finden im ÖVP-regierten Bundesland Steiermark Landtagswahlen statt – und Umfragen sehen dort, analog zum Bundes-Wahlergebnis, die extrem rechte FPÖ in Führung. Im Bund zum Zusehen verurteilt, wirft sich FPÖ-Chef Herbert Kickl, Gewinner der Nationalratswahl, dieser Tage voll in den Landeswahlkampf. Sollte die FPÖ nach der Wahl erstmals stärkste Fraktion im Landtag in Graz werden, könnte in der Steiermark genau das, was im Bund wohl noch Wochen dauern wird, vorweggenommen werden: Eine Koalition gegen die FPÖ als Wahlsieger, die der ÖVP den Landeshauptmann-Posten sichert.
Nichts könnte Kickl gelegener kommen. „Alle gegen uns“, trommelt Kickl seit seinem Wahlerfolg Ende September, gleichzeitig wird der FPÖ-Chef nicht müde, der ÖVP Angebote zu machen. In diese „Opfer-Erzählung“ passt auch ein Ersuchen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, das am Donnerstagabend bekannt wurde: Das Parlament möge die juristische Immunität des FPÖ-Chefs aufheben, so die Staatsanwälte: Man wolle gegen Kickl wegen des Verdachts einer Falschaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss ermitteln. Noch dominieren in Nehammers Partei jene Stimmen, die eine Koalition mit Kickl kategorisch ausschließen. Kickl weiß jedoch: Nicht alle in der ÖVP sehen das so. Eine klare Niederlage der ÖVP in der Steiermark könnten die Karten auch auf Bundesebene nochmals neu mischen. Und so heißt es für die Österreicher weiter: Bitte warten.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden