Zuerst war sie der einzige Ausweg aus der „Spirale von Lockdowns und Öffnungen“, unumgänglich sei sie und die „Ultima Ratio“, um die niedrige Durchimpfungsrate von Vorarlberg bis Wien zu erhöhen. Verfassungsmäßig gerechtfertigt und argumentierbar sei sie jedenfalls, weil gelindere Mittel zur Pandemiebekämpfung ausgeschöpft seien und der Eingriff in die Grundrechte ob der Auswirkungen der Pandemie verhältnismäßig sei, sagten Juristen und Experten.
Seit dem 3. Februar ist die Impfpflicht in Kraft, nun, noch nicht einmal zwei Wochen später, könnte sie zumindest vorerst schon wieder Geschichte sein. Österreich führte nicht nur als erstes EU-Land eine allgemeine Corona-Impfpflicht ein. Es könnte auch das erste EU-Land sein, dass sie sofort wieder abschafft, ohne dass auch nur eine einzige Strafe ausgestellt worden wäre.
Fällt die Impfpflicht in Österreich schon wieder?
In Wien trifft am Mittwoch die Regierung auf jene Riege, die nach dem Abgang von Sebastian Kurz als Kanzler die Fäden in der Hand halten: die Länderchefs. Auf der Tagesordnung: weitere Lockerungen, die Frage, ob Tests künftig kostenpflichtig werden oder weiter gratis bleiben sollen – und die Zukunft der geltenden Impfpflicht. Noch nicht einmal eine Woche, nachdem das Impfpflicht-Gesetz den Nationalrat passiert hatte, begannen die Länder, allen voran Salzburgs ÖVP-Landeshauptmann Wilfried Haslauer, das Vorhaben in Zweifel zu ziehen.
Er sah vergangene Woche die Impfpflicht als Maßnahme, die „Überlastung der medizinischen Versorgung zu verhindern“, und drängte auf eine sofortige „Evaluierung“ der Verhältnismäßigkeit – noch bevor mit 16. März, so, wie gesetzlich vorgesehen, erste Kontrollen erfolgen sollten.
Das Impfpflicht-Gesetz bleibt vage formuliert
Ab dann nämlich soll die Polizei Strafen an jene ausstellen, die kein gültiges Impfzertifikat bei sich tragen – etwa bei Kontrollen im Straßenverkehr. Auch der sozialdemokratische Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser sprach davon, dass sich „weder auf den Intensiv- noch auf den Normalstationen eine Überlastung“ abzeichne – und plädierte dafür, den „Grundrechtseingriff zu überdenken“.
Tatsächlich ist im Impfpflicht-Gesetz eine regelmäßige Evaluierung der Maßnahme vorgesehen. Das betrifft sowohl die Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe als auch die epidemiologische Notwendigkeit. Vage bleibt der genaue Ablauf der Evaluierung: Das Gesetz sieht lediglich vor, dass diese Aufgabe einer beim Bundeskanzleramt angesiedelten Kommission sein soll. Einzig: Besagte Kommission existiert noch nicht.
Der österreichische Gesundheitsminister hält an der Impfpflicht fest
Welche Experten darin sitzen und „evaluieren“ sollen, ist ebenso unklar wie der Zeitpunkt, ab wann das Gremium stehen soll. „Ehestmöglich“, jedenfalls „in einigen Wochen“ soll hier eine Entscheidung getroffen werden, sagte dazu der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, der wie auch ÖVP-Kanzler Karl Nehammer angesichts der Querschüsse aus den Bundesländern zunächst bemüht war zu betonen, man wolle als Regierung am Impfpflicht-Fahrplan festhalten.
Vor allem hinsichtlich möglicher neuer Virusvarianten im kommenden Herbst sei das Instrument Impfpflicht jetzt wichtig, so der Gesundheitsminister. Vergangenes Wochenende scherte aber der Kanzler aus – und schwenkte auf die Linie der Bundesländer ein: Die Impfpflicht sei ein großer Eingriff, und der müsse „verhältnismäßig“ sein. Dabei waren es just die ÖVP-Länderchefs, die die Impfpflicht gefordert hatten.
Impfpflicht-Absprachen im "Raucherkammerl"
Kurzer Rückblick: In einem Hotel am Tiroler Achensee trafen sich Mitte November vergangenen Jahres die Regierungsspitze mit den Landeshauptleuten, die Infektionszahlen waren dramatisch gestiegen, und der sozialdemokratische Wiener Bürgermeister Michael Ludwig orchestrierte in einer nächtlichen Sitzung, dem Vernehmen nach im „Raucherkammerl“ des Hotels, die Zustimmung der ÖVP-Länderchefs zu einem erneuten Lockdown.
Gegenbedingung, geäußert von der mächtigen Landeshauptfrau Niederösterreichs, Johanna Mikl-Leitner: eine allgemeine Impfpflicht, gültig ab Februar. Hintergrund für den überraschenden Wunsch der ÖVP – eine Impfpflicht war nicht nur von der Kanzlerpartei seit Pandemiebeginn stets strikt ausgeschlossen worden – war wohl mehr Planungssicherheit für die in der konservativen Kanzlerpartei einflussreiche Tourismuswirtschaft sowie des Handels und der Gastronomie.
Das Fernsehen sollte eine Impflotterie veranstalten
Außen vor war damals der, der nun die Impfpflicht vor ihren eigentlichen Erfindern in Schutz nehmen muss – Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein. Die Koalitionsparteien bemühten sich in der Folge um Unterstützung des Vorhabens bei den Oppositionsparteien: Vor allem die Chefin der Sozialdemokraten, Pamela Rendi-Wagner, hatte alle Hände voll zu tun, die eigene Fraktion im Parlament auf Linie zu bringen. Vor allem die Arbeiterkammer und die Gewerkschaften standen und stehen bis jetzt der Impfpflicht skeptisch bis ablehnend gegenüber.
Wichtig war den Genossen vor allem ein die Impfpflicht begleitendes Anreizsystem, etwa durch einen finanziellen Impfbonus für alle dreimal Geimpften. Für die ÖVP kam dies nicht infrage, und so einigte man sich als Kompromiss auf Unterstützungen für jene Gemeinden, die ihre Impfquoten maßgeblich anheben, sowie eine „Impflotterie“. Diese sollte vom öffentlich-rechtlichen ORF organisiert werden – dieser aber sah sich dazu außerstande.
Österreicher erhielten einen Brief von der Regierung
Die „Impflotterie“ war vom Tisch. Diese sei ein „Wunsch der SPÖ gewesen“, behauptete Kanzler Nehammer, nur um Tage später und nach der programmierten Empörung der Sozialdemokraten dann doch zuzugeben, dass es sich um einen Kompromiss gehandelt habe. Dennoch verfügt Kanzler Nehammer nun über die eigentlich für das „Anreizsystem“ bereitgestellten Mittel von über einer Milliarde Euro. Das Geld soll nun jenen zugutekommen, die während der Pandemie Herausragendes geleistet hätten: Polizisten, Soldaten und Angehörigen von Gesundheitsberufen.
Bei den Sozialdemokraten zumindest ist die Gesprächsbereitschaft nun enden wollend. Man habe vor, sich aus dem von der Regierung verursachten Chaos nun herauszuhalten. An der Impfpflicht wolle man aber weiter festhalten. Wie auch immer am Mittwoch entschieden werden wird: Am Montag flatterte jedenfalls ein Brief in die Postkästen zahlreicher österreichischer Haushalte. Darin zu lesen: Informationen über die Impfpflicht. Und: „Wer der Impfpflicht nicht nachkommt, muss künftig mit Verwaltungsstrafen rechnen (…) Mit freundlichen Grüßen, Ihre Bundesregierung“.