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Österreich: Die rätselhafte Reise des österreichischen Kanzlers zu Putin

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Die rätselhafte Reise des österreichischen Kanzlers zu Putin

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    Karl Nehammer in der österreichischen Botschaft in Moskau vor einem Treffen mit Putin.
    Karl Nehammer in der österreichischen Botschaft in Moskau vor einem Treffen mit Putin. Foto: Dragan Tatic/BKA, dpa

    Gerade einmal eine gute Stunde nahm sich Wladimir Putin am Montag Zeit – dann entließ der russische Kriegsherr seinen Gast. Einen Handschlag vor Kameras gab es im Anschluss nicht, das hatte sich der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer ausbedungen: Gemeinsame Bilder von ihm mit Putin, das wollte die Kanzlerpartei ÖVP unbedingt vermeiden.

    Wenige Stunden später berichtete Nehammer dann in der österreichischen Botschaft in Moskau vor den anwesenden Journalisten, wie das Gespräch mit dem russischen Präsidenten aus seiner Sicht abgelaufen war: „Sehr direkt, offen und hart“ sei der Austausch gewesen, er habe die Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Orten angesprochen. Er habe zudem betont, dass Österreich „zur Verfügung stehen würde“ für die internationale Strafgerichtsbarkeit, wenn Russland an der Aufklärung der Verbrechen interessiert sei, so Nehammer.

    Vor seiner Reise nach Moskau war Karl Nehammer in der ukrainischen Stadt Butscha, wo mehrere Hundert Zivilisten bei einem Massaker getötet wurden.
    Vor seiner Reise nach Moskau war Karl Nehammer in der ukrainischen Stadt Butscha, wo mehrere Hundert Zivilisten bei einem Massaker getötet wurden. Foto: Bundeskanzleramt/Dragan Tatic, dpa

    Und weiter: Er habe Putin nicht nur klar gesagt, dass die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht nur aufrecht erhalten bleiben würden, sondern er habe auch „angedeutet“, dass diese noch verschärft würden. Es habe „generell keine positiven Eindrücke“ bei dem Gespräch gegeben, fasste Nehammer die Reaktion Wladimir Putins zusammen. Weitere Details erwähnte er nicht, nur bezüglich der Forderung nach stabilen humanitären Korridoren für Flüchtlinge habe es „Schuldzuweisungen“ Putins an die Ukrainer gegeben. Auf das von ihm überbrachte Angebot des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi, persönlich mit Putin sprechen zu wollen, sei dieser gar nicht eingegangen.

    Worin genau liegt also der Effekt von Nehammers im Alleingang orchestrierten Besuch in Moskau? Die Initiative des österreichischen Kanzlers wirft zahlreiche Fragen auf und sorgt im In- und Ausland für Skepsis, Kritik und Besorgnis, aber auch für Unterstützung. Während etwa Vertreter der baltischen Staaten Nehammers Aktion kritisch sehen, geben sich Brüsseler Spitzenvertreter zurückhaltend. Deutschlands Kanzler Olaf Scholz hingegen sagte am Montag, er unterstütze „jegliche diplomatischen Bemühungen“.

    Der Besuch in Moskau dürfte bereits mit einiger Vorlaufzeit eingefädelt worden sein

    Am Sonntagabend berichtete zuerst die Bild-Zeitung über Nehammers Reisepläne, unter Berufung auf ukrainische Quellen und Diplomatenkreise, die laut dem Boulevardblatt keineswegs erfreut über den Alleingang des Kanzlers seien. Erst danach wurde öffentlich, dass ausgewählte österreichische Journalisten am Wochenende zu einem „Hintergrundgespräch mit Sperrfrist“ ins Kanzleramt geladen worden waren und Stillschweigen geloben mussten. Gleichzeitig betonte das Wiener Kanzleramt, dass sowohl der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz als auch die besagte EU-Spitze ebenso wie der türkische Präsident Erdogan vorab „informiert“ worden seien. Auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi habe Nehammer eingebunden. Ein echtes Mandat aus Brüssel, das wurde am Montag schon vor dem Treffen klar, hatte Karl Nehammer aber nicht. Es ist also ein fragwürdiger Alleingang des Wieners, der sich – wie schon sein Vorgänger Sebastian Kurz – als „Brückenbauer“ zu inszenieren sucht.

    Fakt ist: Der Plan, Putin zu treffen, ist keineswegs erst am vergangenen Wochenende während Nehammers Besuch in der Ukraine und angesichts der Stätten der russischen Kriegsverbrechen in Butscha entstanden. Der Besuch in Moskau – das Treffen fand am Montag in Putins Amtssitz Nowo-Ogarjowo statt – dürfte bereits mit einiger Vorlaufzeit eingefädelt worden sein. Telefondiplomatie reiche eben nicht, ließ Nehammer am Wochenende die Journalisten wissen. Man wolle „jeden Versuch nutzen“, auf Putin einzuwirken, schließlich sei man zwar militärisch, aber nicht „moralisch neutral“.

    Blick auf die Residenz Nowo-Ogarjowo des russischen Präsidenten Putin bei Moskau. In Nowo-Ogarjowo ist das Gespräch zwischen dem russischen Präsidenten Putin mit dem österreichischen Bundeskanzler Nehammer zum Krieg in der Ukraine beendet.
    Blick auf die Residenz Nowo-Ogarjowo des russischen Präsidenten Putin bei Moskau. In Nowo-Ogarjowo ist das Gespräch zwischen dem russischen Präsidenten Putin mit dem österreichischen Bundeskanzler Nehammer zum Krieg in der Ukraine beendet. Foto: Dragan Tatic, dpa

    Dass Nehammers Versuch etwas bewirkt haben könnte, glaubt in Österreich kaum jemand. Es habe wenig Sinn, über Kriegsverbrechen zu sprechen, deren Existenz Russland bekanntermaßen leugne, sagt etwa der Politologe und Russlandexperte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck. Stattdessen werde Putin den Besuch propagandistisch ausnützen: „’Der Westen kommt nach Moskau, um mit uns zu sprechen, das heißt: Putin ist nicht isoliert, Russland ist nicht isoliert’, das wird in den kommenden Tagen der Tenor in den russischen Staatsmedien sein“, sagt Mangott im Gespräch mit unserer Redaktion.

    Mit besonderer außenpolitischer Neigung ist Karl Nehammer in seiner bisherigen Karriere nie sonderlich aufgefallen

    Schon vor Beginn des Treffens ließ das Putin-Regime via Agentur Interfax wissen, dass man auch das Thema Gas als Gesprächsthema „nicht ausschließen“ könne. Erfahrene österreichische Spitzendiplomaten wie der ehemalige EU-Chefverhandler und Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, Wolfgang Petritsch, sehen Österreich aufgrund seiner Abhängigkeit von russischem Gas gerade nicht als „idealen Akteur“ für derartige Friedensmissionen. Zwar solle man „nichts unversucht lassen“, sagt er, aber: „Putin kann im österreichischen Regierungschef nur einen vom russischen Gas abhängigen Gesprächspartner sehen.“ Es wäre zumindest ratsam gewesen, EU-Experten auf die Reise mitzunehmen, schon allein, um Putin das Signal von europäischer Solidarität und Geschlossenheit zu übermitteln, so Petritsch. Und: „Ein Erfolg wäre gewesen, wenn es dem Kanzler gelungen wäre, Folgetermine für persönliche Gespräche mit Putin zu vereinbaren.“

    Mit besonderer außenpolitischer Neigung ist Karl Nehammer in seiner bisherigen Karriere nie sonderlich aufgefallen. Die Reise des österreichischen Kanzlers kann als Versuch gewertet werden, Außenpolitik als Bühne stärker zu nutzen – schließlich weiß Nehammer um die hohen Zustimmungswerte der Österreicher zur Neutralität. Diese will er offenkundig in seinem Sinne interpretieren und zur eigenen Profilschärfung nutzen.

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