Es ist früh am Morgen im frisch renovierten Parlamentsgebäude an der Wiener Ringstraße. Das Besucherzentrum im Erdgeschoss ist voll mit Touristen und Gruppen von Schülern, die kopfhörertragend durch die Säle und Gänge des Hohen Hauses geführt werden. Schnellen Schrittes kommt Andreas Babler seinen Mitarbeitern entgegen. Der neue Chef der kriselnden österreichischen Sozialdemokaten ist bester Dinge, zumindest ist er sichtlich bemüht, Optimismus und Gelassenheit auszustrahlen.
"Alles ist gut. St. Pauli hat auch gewonnen“, sagt Babler, der ein begeisterter Fußballfan ist. Dass die Wochen seit dem turbulenten Parteitag in Linz im Sommer, aus dem er nach der Korrektur einer fatalen Auszählungspanne doch noch als Sieger hervorgegangen war, nicht gerade ein Spaziergang waren, sieht man ihm aber an.
Babler weiß an diesem Morgen noch nicht, was in den folgenden Tagen ausbrechen wird: Dass durch ein peinliches Missgeschick ein strategisches Grundsatzpapier eines SPÖ-nahen Beraters und Sozialforschers den Weg in die Öffentlichkeit finden wird. Genauso wie ein Handyvideo, das den konservativen Kanzler Karl Nehammer zeigt, der über Frauen in Teilzeitjobs und Armutsgefährdete lästert. Der Wahlkampf in Österreich ist spätestens jetzt eröffnet – ein Jahr vor dem vorgesehen Wahltermin im Herbst 2024.
Kann Andreas Babler FPÖ-Chef Herbert Kickl als Bundeskanzler verhindern?
Ein Jahr – das ist nicht gerade viel Zeit für den Bürgermeister von Traiskirchen nahe Wien, um das Kunststück zu vollbringen, das von ihm erwartet wird: Die nach Jahren eines internen Lagerkampfes nach wie vor gespaltene Partei zu einen und auf Kurs zu bringen – und gleichzeitig den in Umfragen führenden Chef der rechten FPÖ, Herbert Kickl, als neuen Bundeskanzler zu verhindern.
Das Bild einer nach wie vor zerstrittenen SPÖ, das will der hemdsärmelige, ehemalige Arbeiter und Gastwirt so nicht stehen lassen. „Das sind nur drei oder vier Personen, die hier anderer Meinung sind. Die Tendenz ist gut. Auch Leute, die bei der Kampfabstimmung leidenschaftlich für Doskozil waren, sind jetzt bei mir. Eine Grundloyalität ist wieder da“, sagt der 50-Jährige. Tatsächlich ist es nun nicht mehr Bablers ehemaliger Kontrahent um den Parteivorsitz, der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, der den als dezidierten Linken bekannten Babler öffentlich angreift. Das erledigen Doskozils ehemalige Mitstreiter.
Manche in der SPÖ fremdeln mit dem neuen Linkskurs
Viele von ihnen sitzen an zentralen Stellen in den SPÖ-Landesparteien. Etwa in Oberösterreich, ehemals das Zentrum des linken Parteiflügels. Heute ist dort die FPÖ so stark wie nie zuvor, doch der sozialdemokratische Linzer Bürgermeister Klaus Luger hat damit kaum ein Problem – und sagt das auch. Er ist nicht der einzige, der mit Bablers Linkskurs fremdelt. Doch der Plan des rechten Parteiflügels, die FPÖ einzuholen, indem man sich an diese annähert, habe zu einer Halbierung der Sozialdemokratie geführt, warnt Babler. Dennoch schafft er es bis dato nicht, seine Kritiker zum Schweigen zu bringen.
Das einst eherne Gesetz der Sozialdemokraten, Streitigkeiten intern zu belassen und keinesfalls den Chef öffentlich anzuschießen, ist unwiederbringlich dahin. „Ich rufe meine Parteifreunde an. Ich diskutiere das durch“, sagt Babler.
Im November hält die SPÖ schon wieder einen Parteitag ab, ein „Einigungsparteitag“ soll es dann werden, hofft Babler – um dann geschlossen in den Wahlkampf zu ziehen. In Wirklichkeit weiß der neue Parteichef um das Risiko, dass die Seilschaften um Hans Peter Doskozil ihm auf diesem Parteitag eine Schlappe zufügen könnten. Vor allem deshalb tourt Babler unermüdlich durch Österreich, spricht mit der Basis und mit den Funktionären. Im Prinzip führt er gleichzeitig zwei Wahlkämpfe: einen im Inneren, und einen draußen, gegen Kickls extrem rechte FPÖ und gegen die konservative ÖVP. Das geht an die Substanz.
Babler ist überzeugt, mit dem Thema Gerechtigkeit die FPÖ schlagen zu können. „Wir zeigen auf, wie Ungerechtigkeit in Österreich entsteht, wer sie aufrechterhält – und wie wir sie wirksam bekämpfen“, sagt er. „Wie kommen wir wirklich zu mehr Kassenärzten und zu mehr Pädagoginnen und Pädagogen?“ Gesundheit, das werde eines der zentralen Themen. Es gelte, den Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern – und den Arbeitnehmern Mitbestimmung zurückzugeben.
Als "Linkspopulist" sieht sich Andreas Babler nicht
Von „unseren Leuten“ spricht Babler in seiner Kampagne. Für Österreichs Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen ist so eine Rhetorik „spaltend“. Implizit verglich das Staatsoberhaupt Bablers Slogan mit jenem der FPÖ. Kränkt den SPÖ-Chef dieser Vergleich? „Überhaupt nicht. Es hat ein wenig bemüht und konstruiert gewirkt, was er da gesagt hat. Ich war damals an seiner Kampagne auch beteiligt – er als ‚unser Präsident‘. Ich hoffe, er hat damals auch alle Österreicher gemeint, so wie ich.“
Auch als Linkspopulist, wie er nicht selten in Medien bezeichnet wird, sieht sich Babler nicht. „Nein. Die Leute, die mir das zuschreiben, treffen auch sonst Einschätzungen, die ich nicht teile. Man liest oft Dinge und sieht: Da hat jemand wirklich gar keine Ahnung, was in der Partei passiert. Wo Dinge stehen, die frei erfunden sind. Das sind die, die mich einen Linkspopulisten nennen.“
Und dann beißt Andreas Babler in eine der zwei Wurstsemmeln, die ihm seine Assistentin auf den Tisch gestellt hat. Er muss weiter. Draußen wartet der Wahlkampf.