In Österreich steht erstmals in der Nachkriegsgeschichte ein extrem rechter Politiker vor dem Einzug ins Kanzleramt: Bundespräsident Alexander Van der Bellen erteilte der rechtspopulistischen FPÖ und ihrem Vorsitzenden Herbert Kickl in Wien am Montag den Auftrag zur Regierungsbildung. Der 56-jährige EU-Skeptiker hat damit Zugriff auf das höchste Regierungsamt im Nachbarland. In Deutschland zogen derweil Politiker Parallelen zum Bundestagswahlkampf. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach in Kloster Seeon von einem Warnsignal.
Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) hatte die Parlamentswahl im September mit knapp 29 Prozent der Stimmen gewonnen. Zunächst wollte niemand mit den Rechtspopulisten regieren. Doch Gespräche über eine Regierung aus den Mitte-Parteien scheiterten. Nun spricht die 1955 gegründete FPÖ mit dem einzigen potenziellen Partner, der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP).
Deutsches Kanzleramt reagiert demonstrativ gelassen
In Österreich mit seinen rund 9,2 Millionen Einwohnern ernennt der direkt gewählte Bundespräsident den Bundeskanzler. Während sich Hunderte Demonstranten versammelten, die vor einem Rechtsruck im Land warnten, sprach Van der Bellen eine Stunde lang mit Kickl. Dieser traue sich zu, „tragfähige Lösungen zu finden. Er will diese Verantwortung. Ich habe ihn explizit gefragt“, erklärte das sichtlich besorgte Staatsoberhaupt anschließend und ergänzte: „Ich habe mir diesen Schritt nicht leicht gemacht“.
Mit Blick auf das zu diesem Zeitpunkt noch laufende Gespräch zwischen Van der Bellen und Kickl sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin, man betrachte die Entwicklung in Österreich natürlich mit großem Interesse. Es gehöre sich aber auch, dass man die Vorgänge nicht kommentiere. Die Regierung in Wien sei voll handlungs- und funktionsfähig. „Und das ist wichtig und gut für uns.“
Söder kritisiert Habecks Grüne
Ähnlich äußerte sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. „Es ist zunächst mal eine Entscheidung von Österreich selbst“, sagte er bei der CSU-Landesgruppenklausur in Kloster Seeon und ergänzte: „Aber die Entwicklung ist natürlich nicht gut.“ Gleichzeitig nutzte der CSU-Chef die Entwicklung im Nachbarland, um erneut Front gegen die Grünen zu machen. „Österreich hat gezeigt, wohin Schwarz-Grün führt: Zum extremen Erstarken von anderen Kräften.“ Dort sei es die FPÖ, in Deutschland wäre es die AfD, machte Söder deutlich.
Dobrindt erklärte, eine ungeklärte Krisensituation nutze lediglich den Populisten. Es habe keine Bereitschaft gegeben, die Warnsignale ernst zu nehmen und die „Migrationsthematik ausreichend aufzuarbeiten“, erklärte er und ergänzte: „Als Lehre aus Österreich gilt es dafür zu sorgen, dass der Politikwechsel in Deutschland schlichtweg jetzt gelingen muss. Ansonsten besteht die Gefahr, dass radikale Parteien weiterwachsen“.
Robert Habeck will Kompromisse
Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck sagte im Deutschlandfunk, Österreich sei „ein Beispiel, wie es nicht laufen darf. Wenn die Parteien der Mitte nicht bündnisfähig sind und Kompromisse als Teufelszeug abtun, hilft das den Radikalen.“ Im Deutschlandfunk warnte er nun vor einer Entwicklung, in der „die Parteien sich immer weiter auseinander bewegen“.
Der CDU-Europapolitiker Dennis Radtke mahnte, Christdemokraten dürften sich „niemals zum Steigbügelhalter von Populisten und Extremisten machen“. Das sei nicht nur selbstzerstörerisch, es sei auch eine weitere Bedrohung der Stabilität in Europa. „Die Christdemokratie in Europa ist das letzte Bollwerk gegen Extremisten und Putin-Freunde. Das müssen jedem klar sein, der diese Mauer einreißen will“, sagte Radtke unserer Redaktion.
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