Das Bundeskanzleramt muss man sich als einen geheimnisvollen Ort vorstellen. Hermetisch abgeriegelt, dient das von den Berlinern wegen seiner Würfel-Optik samt Rundfenster liebevoll "Waschmaschine" genannte Gebäude nicht nur dem Regierungschef als repräsentative Bürofläche in bester Lage in der siebten Etage. Es ist auch beliebte Kulisse für Touristen-Selfies, Interviews mit Politikern oder bedeutungsschwere Anmoderationen in den Fernsehnachrichten. Das Innenleben des Kanzleramts hingegen kennen nur wenige. Doch nun hat uns ausgerechnet einer der sonst so diskrete Regierungssprecher einen kleinen Einblick gewährt.
Rund 1000 Sendungen pro Monat gehen durch die Rohrpost
Das ausgeklügelte Rohrpost-Netz, mit dem pro Monat rund 1000 eilige Sendungen kreuz und quer durch die "Waschmaschine" geschleudert werden, werde weiterhin in Betrieb bleiben, teilte er lapidar mit, als wäre es das Normalste der Welt. Uns Otto Normalbürger stellt das freilich erst einmal vor die Frage, warum um alles in der Welt in einer Zeit, in der alles nach Strich und Faden durchdigitalisiert wird und Faxe verboten werden sollen, noch Papier in Kapseln via Druckluft durch die Gegend geschossen wird.
Zur Erinnerung: Die Rohrpost ist eine Erfindung des vorletzten Jahrhunderts, also nicht gerade der letzte Schrei. Und doch wurde beim Bau des Kanzleramts, dessen Erstmieter im Mai 2001 ein gewisser Gerhard Schröder war, ein Zweiliniensystem mit 36 Stationen und einer Länge von insgesamt rund 1300 Metern installiert.
Rohrpost, das klingt nach Schwarzwaldklinik und 2er Golf
Seither saust zwischen Büros und Stockwerken, zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern also Brisantes und manchmal auch Banales hin und her. Klingt herrlich nostalgisch, nach Schwarzwaldklinik, nach Fräulein, Käse-Igel und 2er Golf, hat aber offenbar tatsächlich einen tieferen Sinn.
Zum einen ist die Rohrpost, die übrigens 1853 in London erstmals zum Einsatz kam, günstiger, als wenn man den ganzen Tag zusätzliche Hausboten durchs Amt an der Willy-Brandt-Straße 1 schicken müsste. Mit überschaubaren 15.000 Euro ist der laufende Betrieb pro Jahr veranschlagt. Damit kommt man der Schuldenbremse jedenfalls nicht in die Quere. Und schneller geht es auch noch, angesichts der andernfalls zu erlaufenden Nutzungsfläche von rund 25.000 Quadratmetern auf den acht Stockwerken des Kanzleramts.
Olaf Scholz hängt am Charme der Kapsel im Kanzleramt
Doch das Retro-System hat noch einen weiteren handfesten Vorteil: Hacker und Spione schauen im wahrsten Sinne des Wortes in die Röhre. Verschickt werden laut offizieller Auskunft deshalb nicht nur Vorgänge, bei denen es besonders pressiert, wie der Bayer sagt. Rohrpost-relevant sind auch Nachrichten oder Dokumente, "die nicht elektronisch oder per Hausbotendienst weitergeleitet werden können, zum Beispiel, weil sie der Geheimhaltung unterliegen oder im Original unterschrieben werden müssen", teilt der Regierungssprecher auf eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung mit. Und spricht der Rohrpost auch für die Zukunft sein vollstes Vertrauen aus: "Eine Ablösung des Systems ist wegen der beschriebenen Vorteile derzeit nicht vorgesehen."
Eigentlich sollten die Fans der Röhre spätestens im kommenden Jahr in der Gegenwart ankommen. Für 2025 war das Ablaufdatum angesetzt. Doch angeblich ist es der Mann mit der Rohrposthaltestelle Nummer 1, also der Bundeskanzler höchstselbst, der dem Charme der Kapsel verfallen ist und am bewährten System hängt. Klingt plausibel, Olaf Scholz trägt ja auch schon seit Jahrzehnten dieselbe abgewetzte Ledertasche mit sich herum. Und wer weiß, vielleicht träumt er ja angesichts von Haushaltskrise und Koalitionskrach insgeheim manchmal davon, sich selbst in einer Kapsel durch Raum und Zeit zu katapultieren.