„Die Menschen hat er immer im Herzen“, lobte das Staatsblatt Rodong Shinmun am Montag seinen Regenten. Ein Leitartikler schwärmte, dass er „die unverrückbare Wahrheit des Patriotismus lehren“ würde. Kritik an ihrer Regierung ist in den Medien des Ein-Parteien-Staats Nordkorea nie zu vernehmen. Derzeit liest sich die Propaganda im nordostasiatischen Land aber besonders harmonisch.
Schließlich ist es diese Tage zehn Jahre her, dass der damals erst 27-jährige Kim Jong-Un Staatschef von Nordkorea wurde, nachdem dessen Vater und Amtsvorgänger Kim Jong-Il gestorben war. Und Lob hat der Sohn bitter nötig. Kim Jong-Un hat sein Land durch ein Auf und Ab der Entwicklungen geführt: Wirtschaftswachstum, Nahrungsmittelengpässe, mutmaßliche Morde politischer Konkurrenten und immer wieder: Raketentests, Drohgebärden. Würde es sich beim Land, das er regiert, um ein anderes handeln, wären die Tage des oft unberechenbar agierenden Kim wohl gezählt. Ist das in Nordkorea anders?
Für die Stabilität eines Regimes, sagt Vladimir Tikhonov, ein russisch-südkoreanischer Koreanistikprofessor der Universität Oslo, brauche es drei Dinge. Demokratie und Menschenrechte gehören demnach nicht dazu, ansonsten müssten weltweit noch diverse Regierungen wackeln, die keine unabhängigen Wahlen, Meinungsfreiheit und Ähnliches zulassen, was auf Freiheit deutet. Laut Tikhonov geht es bei der Stabilität eines Regimes vielmehr um nationalistische Legitimität, die begründete Hoffnung des Wachstums und zumindest ein kleines bisschen Meritokratie. Legt man diesen Maßstab an Kim Jong-Un an - wie fest sitzt der Mann im Sattel?
Nationale Autarkie ist eine Art Staatsreligion in Nordkorea
Die nationalistische Legitimität ist jedenfalls nicht das Problem. In einem Land, wo familiäre Abstammung viel zählt, ist Kim der Enkel des Mannes, der nach der nationalen Erzählung Nordkorea vor dem Kapitalismus gerettet und in den Kommunismus eingeführt hat. Die Juche-Ideologie, die großen Wert auf nationale Autarkie in diversen Dimensionen legt und die Zuständigkeiten im Staatsoberhaupt vereint, ist eine nordkoreanische Erfindung und quasi die Staatsreligion.
Auch Meritokratie – dass sich also eigene Arbeit lohnt, um im Leben voranzukommen – ist in Nordkoreas Staat vorhanden. „Jeder weiß, dass man den zehnjährigen Militärdienst machen sollte, damit man dann bessere Chancen auf eine Parteikarriere hat“, so Tikhonov. Nordkoreaner können unter bestimmten strengen Bedingungen auch eine Ausreisegenehmigung erhalten – unter der Annahme, dass man im Ausland den Staat vertritt oder Geschäfte macht und dann zurückkommt.
Selbst, was den Glauben an Wachstum im Land angeht, hat es unter Kim Jong-Uns Regentschaft teils deutliche Fortschritte gegeben. Schwarzmärkte und unternehmerische Aktivitäten wurden praktisch erlaubt. Millionen Menschen haben Mobiltelefone. Das staatliche Intranet, das zwar vom weltweiten Internet abgeschottet ist, erlaubt auch digitale Kommunikation. Schon seit Jahrzehnten hat die Hauptstadt Pjöngjang Infrastruktur wie ein U-Bahnsystem.
Nordkorea ist eines der ärmsten Länder der Welt
Dennoch bleibt Nordkorea eines der ärmsten Länder des Planeten – und durch die Pandemie ist die Lage deutlich schlimmer geworden. Noch vor der Pandemie kam eine Untersuchung der Vereinten Nationen zum Schluss, dass die Hälfte der Bevölkerung mangel- oder unterernährt ist. Anfang dieses Jahres gestand sich Kim Jong-Un persönlich ein, nicht die Entwicklungsziele für das Land erreicht zu haben. Als Nordkorea mit Beginn der Pandemie seine Außengrenzen auch zu China und Russland schloss, gelangten praktisch keine Güter mehr ins Land. Auch hierdurch ist die Versorgung mit Nahrungsmitteln schwieriger geworden.
Im Oktober 2020, als Nordkoreas Kommunistische Partei ihr 75-jähriges Jubiläum feierte, sagte Kim Jong-Un in einer Rede unter Tränen: „Unser Volk hat Vertrauen auf mich gesetzt, so hoch wie der Himmel und so tief wie die See, aber ich bin dabei gescheitert, die Erwartungen zu erfüllen.“ Anfang dieses Jahres erklärte er dann, die Gründe für das Scheitern seien „sowohl außerhalb als auch innerhalb“ des Landes zu finden. Diese teilweise Selbstkritik war für Kim, der sich ansonsten gern als starker Kerl inszenieren ließ, neu und führte zu Spekulationen, dass seine Macht nicht so gesichert sei, wie es die offiziellen Medien vermuten ließen.
Das Land lebt in einem ständigen Ausnahmezustand
Dabei kann Kim Jong-Un für die zuletzt wieder ärger gewordene Mangelwirtschaft zwei Erklärungen bieten: Die Pandemie sowie die USA, unter deren globalem Einfluss dem nordkoreanischen Staat schmerzhafte UN-Sanktionen auferlegt wurden. Überhaupt gilt das Feindbild USA, das mit seiner Militärpräsenz im benachbarten Südkorea eine nahe Drohkulisse bietet, als eine Erklärung für einen ständigen Ausnahmezustand, in dem Ausgaben für Militär jene für das Bildungssystem oder Sozialprogramme übertrumpfen. Diese Erzählung erklärt nicht nur die momentane Armut, sondern schürt auch den Nationalismus.
Und sie macht einen möglichen Friedensvertrag mit dem verfeindeten Bruderstaat Südkorea, mit dem seit Ende des dreijährigen Koreakrieges 1953 nur ein Waffenstillstand besteht, zu einem zweischneidigen Schwert. Würde der Kriegszustand enden, fielen zwar vermutlich die UN-Sanktionen weg und Nordkorea könnte am internationalen Handel teilhaben. Allerdings verschwände damit auch die Bedrohung durch Südkorea und die USA, sodass Nordkoreas Regierung ihren Menschen allmählich eine Verbesserung ihrer Lebensumstände bieten müsste.
Der kurzfristig vielversprechendere Weg, um an der Macht zu bleiben, scheint da eher der fortgeführte Kriegsmodus zu sein. Solange Kim diesen durch als Verteidigungsmaßnahmen erklärte Raketentests befeuert, lässt sich das Versprechen auf mehr Wachstum und Fortschritt weiter in . Und dann könnte für die Ägide von Kim Jong-Un, der schwer übergewichtig ist und viel raucht, wohl eher der eigene Lebensstil gefährlich werden als die Leben der Menschen in Nordkorea.