Nein, ein Geburtstagsgeschenk an Wladimir Putin sei das nicht, sagt die Vorsitzende des Friedensnobelpreiskomitees, Berit Reiss-Andersen, an ihrem Pult in Oslo. Sie spricht lieber darüber, wie wichtig sie die Verantwortung als Bürger finde, wie wichtig die Verteidigung von Menschenrechten sei, gerade in Kriegszeiten, und nennt die drei Namen, an die der diesjährige Friedensnobelpreis geht. Namen aus Belarus, Russland und der Ukraine. Drei Staaten, die Kriegsherr Putin als großes starkes Imperium sehen möchte, aber hier bilden sie eine Einheit, die sich dem Kriegsherrn entgegenstellt.
Für Russland ist es der zweite Friedensnobelpreis in Folge
Ales Bjaljazki, der belarussische Menschenrechtler, der die Gefängnismauern des Diktators Alexander Lukaschenko jahrelang ertragen musste, bis heute in Haft ist und dennoch weiterkämpft für die Einhaltung von Menschenrechten in seinem Land. Die ukrainische Organisation Center for Civil Liberties, die sich erst 2007 gegründet hatte und heute den Schwerpunkt auf die Aufklärung der Verbrechen der russischen Armee in der Ukraine legt. Und die in Russland erst im vergangenen Jahr vom Staat zwangsaufgelöste Menschenrechtsorganisation Memorial, die sich mehr als 30 Jahre lang für die Aufarbeitung der stalinistischen Verbrechen einsetzte und für die heutigen politischen Gefangenen in ihrem Land kämpft. Für Russland ist es nach der Ehrung des Journalisten Dmitri Muratow im vergangenen Jahr der zweite Friedensnobelpreis in Folge. Ein Seitenhieb gegen Putin.
Es sind drei Namen, die als „herausragende Vorkämpfer für Menschenrechte, Demokratie und friedliche Koexistenz in Belarus, Russland und der Ukraine“ geehrt werden, sagt Komitee-Chefin Reiss-Andersen. Sie alle setzen sich für einen humanen Staat ein. Für Freiheit, Kritik, auch am Staat, für das Recht, ein Mensch zu sein.
Was macht die Menschenrechtsorganisation Memorial?
Der sowjetische Schlächter Josef Stalin hatte dieses Recht Millionen von sowjetischen Bürgern oft auf brutalste Art nehmen lassen. Millionen Menschen ließ er deportieren, Millionen im Gulag schuften, diesem menschenverachtenden, erbärmlichen Lagersystem, das sich quer über sein rotes Sowjetreich wie ein Raster gelegt hatte. Rot wie Blut. Bis heute wird in Russland nicht gern über die Vergangenheit gesprochen, nicht über die Opfer, nicht über die Täter.
Dass die Enkel- und die Urenkelgeneration dieser Geschundenen, aber auch selbst Töchter und Söhne der Verbannten und Gequälten etwas über ihre Vorfahren herausfinden konnten, manchmal Namen nur, Daten, Geburtsorte, Lagerorte, das haben sie Memorial zu verdanken. Einer Gruppe von Männern und Frauen, die sich 1987, noch zu Sowjetzeiten, zusammentaten, um dieser Vergangenheit eine Stimme zu geben.
An ihre Spitze setzte sich damals Andrej Sacharow, der „Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe“, der später in Verbannung kam und zum sowjetischen Dissidenten wurde. Mehr als 30 Jahre lang sammelten Memorial, was sie finden konnten. Das wurde mit den Jahren immer schwieriger. Die Archive sind kaum mehr zugänglich, Putins repressiver Staat, der in Stalin einen „effektiven Manager“ sieht, wartete mit immer neuen Hindernissen auf. Bis ein Moskauer Gericht Memorial im vergangenen Dezember verbot. Selbst am Tag der Preisverkündung stehen einige Memorial-Leute in Moskau vor Gericht, weil es um Immobilienfragen für ihre Organisation geht.
Warum Ales Bjaljazki aus Belarus den Friedensnobelpreis bekommt
Für Ales Bjaljazki aus Belarus begann die Menschenrechtsarbeit ebenfalls mit Veranstaltungen zum Gedenken an die Opfer des Stalinismus. Heute sitzt der 60-jährige Literaturwissenschaftler in einem der belarussischen Kerker des Diktators Lukaschenko. 1996 hatte er die Organisation Frühling mitgegründet, eine Organisation, die politische Gefangene und ihre Familien unterstützt. Auch er selbst durchsteht politische Prozesse, muss sich 2011 wegen angeblicher Steuerhinterziehung vor Gericht verantworten – ein beliebter Grund in Diktaturen, unliebsame Kritiker loszuwerden. Die Richter verurteilen ihn damals zu viereinhalb Jahren Freiheitsentzug. Während der Proteste nach der offensichtlich gefälschten Wahl Lukaschenkos 2020 wird er Mitglied im Koordinierungsrat der einstigen Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja. Im vergangenen Oktober wird er erneut angeklagt: wieder wegen Steuerhinterziehung.
Nobelpreis für das Kiewer Center for Civil Liberties
Auch in der Ukraine kämpfen Menschenrechtler seit langem für Freiheit und Demokratie. Und sie sind bereit dazu, einen hohen Preis zu zahlen. Wie hoch er ist, sehen die Menschenrechtler vom Center for Civil Liberties (CCL) aus Kiew mittlerweile jeden Tag, weil sie den Spuren der Verbrechen der russischen Armee in ihrem Land folgen und sie dokumentieren. 2014 begannen sie zum ersten Mal damit nach dem sogenannten Euromaidan in Kiew und dem Krieg im Donbass. Olexandra Romanzowa, die Leiterin der Organisation, freut sich über den Nobelpreis, weil dieser die Würde eines Menschen unterstreiche, die Würde vieler Menschen, die sie getötet in den Massengräbern in der Ukraine sah.