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Nigeria: Wie Entführungen in Nigeria zur Seuche wurden

Nigeria

Wie Entführungen in Nigeria zur Seuche wurden

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    Nigerianische Soldaten patrouillieren vor einer Schule in Kuriga, von wo Kinder entführt wurden.
    Nigerianische Soldaten patrouillieren vor einer Schule in Kuriga, von wo Kinder entführt wurden. Foto: Sunday Alamba, dpa

    In Nigeria sind die Menschen tägliche Nachrichten zu Entführungen eigentlich gewohnt. Im Laufe der vergangenen zehn Monate gab es 4700 Fälle, hat die Risikoberatungsfirma „SBM Intelligence“ vorgerechnet – eine enorme Zahl. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es etwa 80 Entführungsfälle im Jahr, in Österreich zuletzt ganze vier.

    Nigeria ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas mit mehr als 220 Millionen Einwohnern. Die Kriminalitätsrate ist hoch. Doch selbst vor diesem Hintergrund schockieren die aktuellen Meldungen. Am 12. März wurden im Nordwesten des Landes zunächst 61 Männer und Frauen sowie später eine weitere unbekannte Zahl Menschen aus zwei Dörfern entführt. Am 6. März wurden 280 Kinder aus einer Schule ebenfalls im Bundesstaat Kaduna gekidnappt, die jüngsten sind gerade einmal acht Jahre alt. Unter den Vermissten sind auch einige Lehrer. Die bewaffneten Täter, die überwiegend auf Motorrädern unterwegs waren, brachten ihre Opfer offenbar in einen nahegelegenen Wald. Wenige Tage zuvor waren schon 200 Binnenflüchtlinge aus dem Borno-Bundesstaat im Nordosten entführt worden. Es sind die umfangreichsten Verbrechen dieser Art seit drei Jahren.

    Wer steckt hinter den Entführungen in Nigeria?

    Noch hat sich niemand bekannt. Während in Borno derartige Taten Finanzierungsinstrument der Terrororganisationen Boko Haram und Iswap sind, gibt es bei der Entführung der Kinder keine logischen Hauptverdächtigen. Lokale Medien spekulierten, es könne sich um Milizen der Al-Qaida-nahen Ansaru-Gruppe handeln. Doch es ist auch gut möglich, dass es schlicht finanziell motivierte Verbrecher waren. In Nigeria nennen sie diese Gangs schlicht „Bandits“. 

    Denn sie sind inzwischen weit öfter verantwortlich als Islamisten, die vor zehn Jahren mit der Entführung von über 250 Schülerinnen aus dem Dorf Chibok weltweite Schlagzeilen gemacht hatten. Selbst die damalige First Lady der USA, Michelle Obama, setzte sich damals für ihre Freilassung ein. Noch immer sind knapp hundert in der Gewalt von Boko Haram. Damals schaute der Süden Nigerias entsetzt, aber doch aus sicherer Entfernung, in den von der Gewalt erschütterten Norden. Inzwischen gibt es aber nur noch wenige Ecken im Land, in der die Freiheit nicht zum kostbaren Produkt geworden wäre. 

    Chinesen werden besonders häufig gekidnappt

    Im Dezember ließ die Entführung zweier Südkoreaner aufhorchen, bei dem Angriff auf einen von der Armee geschützten Armeekonvoi kamen vier Soldaten und zwei Zivilisten ums Leben. Anfang März fiel auch ein Chinese in kriminelle Hände. Während Nigeria politisch dem Westen nähersteht, ist China wie fast überall auf dem Kontinent zum größten Handelspartner aufgestiegen. Seine gut 8000 Bürger in Nigeria zählen zu den profitabelsten Zielen, die chinesische Botschaft warnt regelmäßig vor derartigen Verbrechen. Ein Risiko aber bleibt oft. Der gekidnappte Chinese war offenbar als Straßenbauingenieur tätig – derartige Tätigkeiten finden oft in strukturschwachen Gegenden statt, in der Sicherheit kaum zu garantieren ist. 

    Doch die überwältigende Mehrheit der Opfer sind Nigerianer. Inzwischen findet man kaum jemanden, der nicht irgendwen im Bekanntenkreis mit entsprechend traumatischen Erfahrungen hat. Gefordert werden mal wenige Hundert Euro Lösegeld, mal viele Tausend, mal auch Gegenstände, wie ein Motorrad. 

    Korruption und Armut sind die größten Probleme in Nigeria

    „Nigerias schlechte Wirtschaft schafft die Voraussetzungen für Entführungen“, sagte William Linder, von der Risikoberatung „14 North“, der BBC. „Die Lebensmittelpreise sind insbesondere in den vergangenen sechs Monaten in die Höhe geschossen.“ Auch Korruption sei weiterhin ein großes Problem. Hinzu kommen Ernteausfälle in Folge von Klimawandel und Terrorgefahr – und eine Armee, die dem Problem ebenso wenig wie Polizei und Justiz gewachsen ist. 

    „Das ist eine Seuche“, sagt Bishop Ameh, Angestellter einer Bergbaufirma. Seine Mutter war auf dem Weg zu einer Familienfeier, als die Entführer am helllichten Tag zuschlugen. Die Männer verbanden ihr die Augen, sperrten sie im Wald mit anderen Opfern in eine Hütte. Vier Tage dauerte das Martyrium. Von dem Handy der Mutter aus kontaktierten die Täter die Familie, forderten zuerst umgerechnet 26.000 Euro, ließen sich auf 9000 Euro runterhandeln. 

    Die Familie legte ihre Ersparnisse zusammen. Nachdem Ameh das Geld zum vereinbarten Ort gebracht hatte, bekam er eine WhatsApp mit einer Ortsmarkierung. Mitten im Wald fand er seine Mutter. Die alte Frau wirkte unversehrt, wurde schnell aus dem Krankenhaus entlassen. „Sie behauptet, dass alles okay ist“, sagt Ameh, „wir fragen nicht nach Details. Sie will nicht darüber reden.“ 

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