Nein, die Vertrauensfrage ist kein Beispiel normalen parlamentarischen Alltags. Im Gegenteil. In der 75-jährigen Geschichte der Bundesrepublik kam dieses Instrument erst fünf Mal zum Einsatz, zum letzten Mal vor knapp 20 Jahren. Das allein zeigt schon, dass Artikel 68 des Grundgesetzes eine Ausnahmesituation regelt, dass jener Artikel 68 also ein dosiert einzusetzender Ausweg ist, den die Verfassung dem Kanzler für den Fall an die Hand gibt, dass es mit der Regierung wirklich nicht mehr weitergeht.
Kein Wunder daher, dass die Vertrauensfrage – sei es in ihrer echten Form, sei es, wie jetzt, in der Hoffnung, sie zu verlieren -, in der Vergangenheit regelmäßig dann zur Anwendung gelangte, wenn die großen Weichenstellungen der Republik verhandelt wurden: Willy Brandts Ostpolitik, der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, die Zukunft von Gerhard Schröders Hartz-IV-Reformen.
Parteien sollten Vertrauensfrage als Chance für neue Stabilität begreifen
An diesem Montag stellt Olaf Scholz die Vertrauensfrage, weil es die Ampel-Regierung nicht vermochte, bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2025 ordentliche Arbeit zu leisten. Es geht nicht um das künftige Verhältnis zu Russland, um die Frage, welche Risiken der Sozialstaat absichern muss oder darum, wie aus der Bundeswehr wieder eine schlagkräftige Armee wird. Es geht darum, das Land von einem weltanschaulich disparaten Regierungsbündnis zu befreien, dessen führende Akteure sich auch wegen verletzter Eitelkeiten spätestens seit vergangenem Sommer gegenseitig bekriegen anstatt gemeinsam zu regieren.
Wenn Bundestag und Bundespräsident nun den Weg für Neuwahlen freimachen, sollten die Parteien dies mit Demut aufnehmen. Die Verfassung gibt ihnen die Chance, früher als geplant für neue Mehrheiten zu werben und so die Stabilität zu schaffen, die das Land angesichts der weltpolitischen Lage (Nahost, Putin, Trump…) dringend braucht.
Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, wenn die demokratischen Kräfte der Mitte im Wahlkampf Alternativen deutlich machen. Das Wahlprogramm von CDU und CSU etwa, das am Dienstag offiziell beschlossen wird, unterscheidet sich wohltuend von den Zeiten, in denen die Union Angela Merkels oftmals kaum noch von der SPD abzugrenzen war. Wer heute den Entwurf des Unions-Programms liest, findet viel „Union pur“ – bei der Migration, bei der Frage der Entlastung der Wirtschaft, bei der Inneren Sicherheit. Unabhängig davon, ob man die Inhalte richtig findet – es ist gut, dass die Wählerinnen und Wähler wieder politische Alternativen in der Mitte des Parteiensystems aufgezeigt bekommen.
Wer die Vertrauensfrage fordert, muss auch liefern
Das Problem liegt woanders. An keiner Stelle benennt die Union (ähnlich wie die SPD bei ihren Vorstößen zu Mehrwertsteuersenkung und Rente), wie sie ihre Versprechen finanzieren will. Allein die Entlastungen bei Unternehmens- und Einkommensteuer sowie die Abschaffung des Rest-Soli könnten sich auf mehr als 50 Milliarden Euro summieren. Das ist in etwa so viel wie Deutschland derzeit jährlich für die Bundeswehr ausgibt. Doch woher soll das Geld kommen? Wer allein auf die (umstrittene) Ökonomen-Doktrin verweist, wonach Steuersenkungen sich am Ende selbst finanzieren, weil sie zu wirtschaftlichem Aufschwung (und damit zu wachsenden Steuereinnahmen) führen, macht es sich zu einfach.
Die Vertrauensfrage ist ein ernstes Instrument für ernste Zeiten. Wer es einsetzt, oder, wie die Opposition, nun davon profitieren will, muss dieser Ernsthaftigkeit dann im Wahlkampf auch gerecht werden.
Und wenn das Vertrauen nicht entzogen werden sollte? Wer was sagt wie er wählt und wie er gewählt hat ist völlig egal - die Wahl ist geheim.
Nein, die Wahl ist nicht geheim - es wird namentlich abgestimmt.
Danke - da habe ich mich geirrt.
<"Wer allein auf die (umstrittene) Ökonomen-Doktrin verweist, wonach Steuersenkungen sich am Ende selbst finanzieren, weil sie zu wirtschaftlichem Aufschwung (und damit zu wachsenden Steuereinnahmen) führen, macht es sich zu einfach."> Das ist für mich der entscheidende Satz mit der die Wählerveräppelung weiter geht.
Und die Groko soll dann wieder besser sein als die Ampel.... wers glaubt wird seelig und wer nicht auch. Und über allem schwebt eine unklare Finanzierung! Die Bundeswehr braucht in den nächsten Jahren massiv mehr Geld. Daher müssen alle anderen Ausgaben runter. Irgendwoher muss das Geld ja kommen. Ich würde quer durch alle Ressorts 10% kürzen und Pistorius für seinen Laden und die Ukraine geben.
"Daher müssen alle anderren Ausgaben runter". Das ist ein wenig einfach gedacht. Vielleicht Bürgergeldempfänger in die Bundeswehr oder total verarmen lassen? Klimaschutz kann weg, auch wenn wir absaufen? Entwicklungshilfe kann uns gestohlen bleiben, sollen sie doch China ins Boot holen? Digitalisierung? Braucht niemand, wenn man ein Fax hat? usw... usw... Sie sehen, so einfach ist es dann doch nicht ...
Mensch, wenn man doch fast 10 Jahre lang zu negativzinsen Geld hätte aufnehmen können, aber das ging ja nicht weil die schwäbische Hausfrau lieber ihr Haus vergammeln lässt als Schulden zu machen. Oder mal konsequent steuern einzutreiben bei denen die es sich leisten könnten und nicht pauschal die Schulen, Infrastruktur, Armen und arbeitende Bevölkerung zu belasten.
Schwer zu sagen, ob die Parteien den Ernst der Lage begriffen haben. Jedenfalls glauben sie sicher nicht, dass sie den Menschen etwas zumuten können, ohne ihre Wahlchancen zu verlieren. Von Mühsal, Tränen und Schweiß, die ggf. nötig wären, ist in den Wahlprogrammen nicht die Rede, z.B. von länger und mehr arbeiten etc.. Stattdessen gibt es Wahlversprechen ohne echte Offenbarung der Finanzierung. Auch bei der Union werden die Streichungen der Subventionen für den Heizungstausch und die üblichen (Stichwort: Ausländermaut) Einsparungen bei Ausländern/Migranten nicht annähernd reichen für eine starke Steuersenkung, die Herstellung der Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr und die notwendigen Investitionen in unsere Infrastruktur. Die Bundestagswahl als Auktion (nach Einschätzung der Parteien): Diejenigen bekommen die Stimme, die das höchste Gebot für das jeweilige Individualinteresse abgeben.
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