Israels Regierung will das Parlament auflösen und damit den Weg zu Neuwahlen ebnen. In der kommenden Woche soll die Knesset über das Vorhaben abstimmen. Bis zur Vereidigung einer neuen Regierung wird der aktuelle Außenminister Jair Lapid interimistisch das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen und bleibt Außenminister.
Nach dem Sturz der Regierung zeigt sich einmal mehr: Israel ist unregierbar. Das jüngste Kabinett hat exakt ein Jahr und eine Woche überlebt. Instabilität wird zur Tradition: Im Herbst werden die fünften Neuwahlen innerhalb von dreieinhalb Jahren stattfinden. Aber auch dann wird es keine klaren Mehrheiten geben, wenn man den jüngsten Umfragen glauben kann.
Außenminister Jair Lapid soll eine Übergangsregierung leiten
Die Likud-Partei von Benjamin Netanjahu schneidet derzeit in Meinungsumfragen zwar am besten ab – aber nicht gut genug, um mit anderen Parteien eine mehrheitsfähige Koalition zu zimmern. Nach den Wahlen werden sich die Koalitionsverhandlungen deshalb über mehrere Wochen, sogar Monate hinziehen. In dieser Zeit amtiert Lapid als Übergangspremier mit einer Übergangsregierung, die kaum in der Lage sein wird, neue Gesetze zu verabschieden.
Mit einer Ausnahme: Das Gesetz, das das Ende der Koalition bedeutet. Oppositionsführer Netanjahu, der während Monaten darauf hingearbeitet hat, sieht jetzt die Stunde seiner
. Auf Netanjahu, der weiterhin vor Gericht steht, wartet ein jahrelanger Prozess, der von einer Neuwahl nicht beeinflusst wird. Er endet wahrscheinlich nur dann, wenn Netanjahu entweder einen Vergleich akzeptiert, für schuldig oder unschuldig befunden wird oder wenn die Staatsanwaltschaft ihre Anklage zurückzieht. Trotz der Versprechen einiger Koalitionsmitglieder ist es der scheidenden Regierung nicht gelungen, ein Gesetz zu verabschieden, das es einem Kandidaten, dem Straftaten vorgeworfen werden, verbietet, Premierminister zu werden. Kritiker befürchten, dass Netanjahu seine Rückkehr ins Amt nutzen wird, um Gesetze zu verabschieden, die die Strafverfolgung behindern könnten – ein Vorwurf, den er zurückgewiesen hat.Acht-Parteien-Koalition von Premierminister Naftali Bennett gescheitert
Um die Regierung zu stürzen, hatte Netanjahu, der sich gerne als Interessenvertreter der Siedler präsentiert, seine Partei angewiesen, gegen ihre ideologische Überzeugung zu stimmen. Konkret ging es um ein Gesetz, das den knapp 500.000 Siedlern in der besetzten Westbank dieselben Rechte einräumt wie den israelischen Bürgern im israelischen Kerngebiet. Dieses Gesetz hatten die Parlamentarier in den vergangenen fünf Jahrzehnten alle fünf Jahre verlängert. Nicht aber dieses Mal: Netanjahus Partei stimmte gegen das Gesetz, zudem auch zwei Abgeordnete der Koalition, ein linker sowie ein arabischer Parlamentarier. Die Ablehnung des Gesetzes könnte zwar in der Westbank eine juristisch unhaltbare Situation schaffen. Was Netanjahu aber nicht daran hinderte, dagegen zu stimmen. Darüber hinaus versuchte er wiederholt, Koalitionsmitglieder mit politischen Versprechen auf seine Seite zu ziehen, um die Regierung in die Minderheit zu versetzen. Zuletzt mit Erfolg.
Die Koalition von Noch-Premier Naftali Bennett stand von Anfang an auf wackligen Füssen. Ihre Mehrheit war äußerst knapp, und die ideologischen Differenzen der acht Bündnispartner hätten größer nicht sein können. Vertreten waren säkulare und religiöse Fraktionen, Falken und Tauben, Siedler und Araber, Marktwirtschaftler und Sozialdemokraten sowie – erstmals – eine islamistische Partei. Die ideologischen Gegensätze wurden zu Beginn unter den Tisch gefegt, um den Bestand der Koalition nicht zu riskieren. Denn eines hielt die so unterschiedlichen Partner zusammen: die Absicht, Netanjahu nicht mehr als Premier zuzulassen.
Trotz ihrer knappen Mehrheit gelang der Koalition in den 13 Monaten allerhand. Die Koalition war geschlossen genug, um einen neuen Haushalt zu verabschieden, den ersten in Israel seit mehr als drei Jahren, und wichtige Verwaltungsposten zu besetzen. Sie festigte die Beziehungen Israels zur Regierung Biden und vertiefte wirtschaftliche und militärische Beziehungen zu wichtigen arabischen Staaten. Jetzt drohen dem Land in den nächsten Monaten wieder chaotische innenpolitische Verhältnisse.