Die Einführung des Bürgergelds war für die SPD eines der wichtigsten Projekte dieser Koalition. Galt es doch aus Sicht vieler Sozialdemokraten die Hartz-IV-Reformen vergessen zu machen, die bis heute Narben auf der Seele der Partei hinterließen. Um zwölf Prozent stieg die Arbeitslosenunterstützung dieses Jahr – so stark wie noch nie: Alleinstehende bekommen seit Januar 563 Euro, das sind 61 Euro mehr als zuletzt. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist mit über 45 Milliarden Euro samt Ausgaben für Unterkunft und Heizung für den Bund einer der teuersten Posten im Haushalt nach der Rente.
Reichen Bürgergeld plus Miete und Heizzuschuss an normalen Nettolohn?
Unionspolitiker wie CSU-Chef Markus Söder warfen der Koalition bei der Einführung des Bürgergelds vor, die Ampel würde den Grundsatz umkehren, dass, wer arbeitet, immer mehr haben müsse, als wer nicht arbeitet. Seitdem kursieren allerlei Berechnungen, wem am Ende mehr oder gleich viel übrig bleibt: Bürgergeld-Empfängern, die vom Jobcenter auch Miete und Geld fürs Heizen erhalten? Oder Beschäftigte, die ihre Familie mit weniger gut bezahlten Vollzeitjobs ernähren müssen? Die Berechnungen sind oft kompliziert, denn es kommt nicht nur auf die reinen Einkünfte an, sondern auch, ob die Mieten in bestimmten Städten hoch sind und die jeweiligen Betroffenen noch andere Sozialleistungen beziehen.
Warum viele Menschen auf Sozialleistungen verzichten
Da gibt es zum Beispiel den Kinderzuschlag, den die Ampel gerne durch eine Kindergrundsicherung ersetzen möchte. Denn der Kinderzuschlag ist für viele Betroffene nicht einfach zu beantragen und soll von den Behörden in der Regel alle halbe Jahre neu überprüft werden. Selbst die Bundesregierung geht davon aus, dass nur ein Drittel der Familien, die Anspruch hätten, die Leistung tatsächlich beantragen und beziehen. Auch beim Wohngeld lag der Kreis der Leistungsempfänger im vergangenen Jahr deutlich unter der Zahl, welche die Ampel bei der Erweiterung der Anspruchsberechtigten angekündigt hatte. Angesichts solcher Unterschiede sind alle Berechnungen, ob jeder, der Vollzeit arbeitet, tatsächlich mehr Geld verdient als Bürgergeld-Empfänger, nur bedingt aussagekräftig.
Doch wer seine Ansprüche beim Sozialamt geltend macht, hat am Ende immer mehr in der Tasche als Bürgergeld-Empfänger, wie eeine aktuelle Studie des Ifo-Instituts belegt. „Arbeit führt in Deutschland immer zu höheren Einkommen als nichts tun“, erklärt das Wirtschaftsforschungsinstitut. Nach den Berechnungen der Wissenschaftler ist die Voraussetzung aber oft, dass die Beschäftigten mit niedrigerem Einkommen zusätzliche Sozialleistungen beantragen. Ohne Geld vom Staat kann demnach unter Umständen das reine Arbeitseinkommen tatsächlich niedriger sein als das Bürgergeld.
ifo-Studie: Ohne Gang zum Sozialamt können Durchschnittsverdiener unter Bürgergeld liegen
„Die von manchen Politikern aufgestellte Behauptung, wer nur Sozialleistungen beziehe, bekomme netto mehr als ein Geringverdiener, ist schlicht falsch“, betont der Ifo-Forscher Andreas Peichl. Sein Team verglich verschiedene Einkommen in Regionen mit hohen und mit niedrigeren Mieten.
Ein Alleinstehender in einer Stadt mit mittlerem Mietniveau wie Dresden kann demnach bei nur 1000 Euro Bruttoverdienst mithilfe zusätzlicher Sozialleistungen im Monat auf 891 Euro netto nach Abzug von Miet- und Heizkosten kommen – deutlich mehr als 563 Euro Bürgergeld. Ohne Gang zum Sozialamt sieht es jedoch selbst für Durchschnittsgehälter von 3000 Euro brutto schlecht aus, wenn ein Paar mit einem Alleinverdiener in Städten mit teuren Mieten auf Wohngeld oder Kinderzuschläge verzichtet: Mit 1337 Euro netto hätte das Paar weniger übrig als eine Bürgergeld-Famile mit 1799 Euro. Mit Sozialleistungen käme das Paar jedoch auf 2611 Euro. Das heißt: Arbeiten lohnt sich mit Sozialleistungen immer.