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Neue Regierung: Machtwechsel in Berlin: Olaf Scholz ist jetzt "Herr Bundeskanzler"

Neue Regierung

Machtwechsel in Berlin: Olaf Scholz ist jetzt "Herr Bundeskanzler"

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    Kanzler Olaf Scholz legt den Amtseid ab. Er verzichtete auf die Formel "So wahr mir Gott helfe".
    Kanzler Olaf Scholz legt den Amtseid ab. Er verzichtete auf die Formel "So wahr mir Gott helfe". Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Wenn früher dem neuen König die Krone auf das Haupt gesetzt wurde, verwandelte sich ein Mensch aus Fleisch und Blut in ein höheres Wesen. In einer Demokratie geschieht die Übernahme der Macht mit weniger Gloria, doch im Grunde ist es das gleiche Ritual. Olaf Scholz ist jetzt der "Herr Bundeskanzler“ und damit die herausgehobene Gestalt der deutschen Politik. Er ist mehr als der Herr Scholz aus Hamburg. Die Macht haben ihm die Wählerinnen und Wähler gegeben, aber verliehen wird sie vom Bundespräsidenten.

    Kanzler Scholz: Staatsschauspiel im Schloss Bellevue

    Es hat immer etwas Seltsames, wenn zwei Menschen so tun müssen, als kennten sie sich nicht. Da stehen Frank-Walter und Olaf im großen weiß getünchten Saal von Schloss Bellevue und müssen so tun, als machten sie nicht seit Jahrzehnten gemeinsam Politik und duzten sich nicht. Jetzt sind sie aber Bundespräsident und Kanzler, zwei Männer in dunklen Anzügen. Das einzig sie Schmückende sind die Krawatten. Sie führen ein Staatsschauspiel auf. Der eine überreicht dem anderen eine Urkunde – sozusagen die papierne Krone –, spricht eine kleine Formel und ernennt ihm zum Bundeskanzler. "So, jetzt halten wir die noch einmal aufgeklappt in die Kamera. Wir sehen uns gleich wieder", sagt Steinmeier. Scholz geht wieder. Mit der Urkunde in den Händen kehrt der neue Kanzler in der Staatskarosse in den Reichstag zurück, woher er zuvor hergekommen war.

    Scholz schwört auf ein besonderes Dokument

    Dort leistet Scholz den Amtseid vor dem Parlament, schwört auf die Ur-Ausgabe des Grundgesetzes und verzichtet dabei darauf, sich auf den helfenden Gott zu beziehen. Im Reichstag hatte am Morgen die feierliche Übergabe der Macht begonnen. Angela Merkel sitzt auf der Ehrentribüne, als die Sitzung um Punkt 9 Uhr beginnt - in ihrer Nähe Alt-Präsident Joachim Gauck und Alt-Kanzler Gerhard Schröder. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) begrüßt die zu diesem Zeitpunkt noch geschäftsführende Bundeskanzlerin von der CDU, die eine dunkelblaue Blusenjacke trägt. Dann brandet lang anhaltender Applaus auf. Es ist die Anerkennung für 16 Jahre, in denen Merkel das Land durch eine Abfolge von Krisen führte.

    Als das Klatschen verstummt, schlägt Bas vor, "Herrn Olaf Scholz zum Bundeskanzler zu wählen". Der 63-jährige Hamburger sitzt im Abgeordnetengestühl ganz vorne in den Reihen seiner SPD-Fraktion, sein Mienenspiel verborgen unter der schwarzen Corona-Maske. Nur seine Augen deuten ein zufriedenes Lächeln an.

    Schnell kommt Bewegung in die Reihen der Abgeordneten. 736 sind es, so viele wie nie. Noch ist nicht klar, wie viele Abgeordnete sich zur Kanzlerwahl tatsächlich im Bundestag befinden, einige fehlen wegen Krankheit. Für die mindestens 369 Stimmen, die Scholz benötigt, um Kanzler zu werden, wird es ziemlich sicher reichen, haben SPD, Grüne und FDP doch zusammen 416 Mandate.

    Nach der Wahl zum Kanzler herrscht Jubel im Parlament

    Am Schluss sind es 395 Stimmen für Scholz. Jubel brandet auf. Weil die Wahl geheim ist und einige Abgeordnete fehlen, wird man nicht herausfinden können, ob ein Teil der Ampel-Abgeordneten dem neuen Chef einen frühen Denkzettel verpassen wollte. "Nehmen Sie die Wahl an?", fragt Bas. Scholz nimmt erst einmal die Maske ab, sagt laut ein einziges Wort: "Ja". Der neue Bundeskanzler strahlt übers ganze Gesicht. Es beginnt ein kurzer Gratulationsreigen, doch ohne Händeschütteln: Der merkwürdige Corona-Faustgruß dominiert.

    Drücken dürfen Scholz nur Malu Dreyer und Manuela Schwesig, die SPD-Ministerpräsidentinnen von Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern. Scholz wird überhäuft mit Sträußen, nur die AfD spart sich die Blumen. Der Vertreter der dänischen Minderheit schenkt Scholz einen Korb mit Äpfeln. Alt-Kanzler Schröder gibt fleißig Interviews und kommentiert das Geschenk mit dem englischen Sprichwort "An apple a day keeps the doctor away“. Für Schröder gab es zu seiner Ernennung noch Zigarren. Das Leben, das sich in Schröders Gesicht eingemeißelt hat, scheint nicht ausschließlich mit gesunder Rohkost geführt zu werden. Früher war mehr Rock 'n' Roll.

    Ein Hauch von Feierlichkeit weht durch den Reichstag

    Es geht also anders zu an diesem Tage im Hohen Hause. Es weht ein Hauch von Feierlichkeit unter der gläsernen Kuppel des Reichstagsgebäudes. Claudia Roth von den Grünen aus Augsburg, künftige Kulturstaatsministerin, trägt einen mit Glitzerfäden durchwirkten dunkelgrünen Mantel. Selbst ihr Parteichef Robert Habeck, als Freund legerer Garderobe bekannt, hat sich zur Feier des Tages eine Krawatte umgebunden, Annalena Baerbock trägt ein schlichtes blaues Kleid.

    In den Mittagsstunden begibt sich Scholz ein zweites Mal zum Bundespräsidenten – dieses Mal mit seiner neuen Mannschaft. Der Kanzler, acht Männer und acht Frauen. Es sind nur gut zwei Kilometer bis zum Schloss. Der Kanzler nimmt seine neue Limousine. Der Mercedes 680 Guard ist eine 4000 Kilo schwere rollende Festung aus Spezialstahl, mit armdicken Fensterscheiben und autonomer Luftversorgung. Nach dem Volkswagen von Gerhard Schröder und dem Audi von Angela Merkel kommt die schwarze Kanzlerlimousine nun aus Stuttgart. Kosten laut Medienberichten: 550.000 Euro. Der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir reist bescheidener und nimmt sein Fahrrad.

    Vor dem cremeweiß getünchten Schloss steht ein spärlich geschmückter Weihnachtsbaum, nur eine gute Handvoll Zaungäste steht bei trübem Winterwetter an der gesicherten Zufahrt. Der Konvoi fährt vor, Özdemir sitzt auf dem Sattel.

    Der Bundespräsident überreicht jedem der Ministerinnen und Minister die Ernennungsurkunde. Und weil ihm das Grundgesetz zum wandelnden Gewissen der Nation macht, gibt er der frisch ernannten Regierung noch etwas mit auf den Weg. "In der akuten Notlage kommt es darauf an, nicht auf die Lautesten zu hören, sondern dafür zu sorgen, dass uns die Pandemie nicht ein weiteres Jahr fest im Griff hält“, sagt der Bundespräsident. Doch danach sei Versöhnung angesagt, mahnt er mit tiefem Präsidenten-Bass. "Lassen wir nicht zu, dass die Pandemie uns dauerhaft auseinandertreibt“.

    Nach der Stippvisite müssen die Kabinettsmitglieder zurück ins Parlament. Die schwarze Kolonne setzt sich langsam in Marsch, nur Özdemir radelt wieder vorbei. Natürlich trägt er Helm und hat eine blaue Jacke über den Anzug gezogen. Die wartenden Bürger wundern sich. Vielleicht ist das der neue Rock 'n‘ Roll?

    Angela Merkel übergibt das Haus an Olaf Scholz

    Die Pendelei zur Macht ist noch nicht zu Ende. Am Nachmittag nehmen die Minister die Schlüssel zu ihren Häusern aus den Händen ihrer Vorgänger entgegen. Der Kanzler bekommt den von Angela Merkel. So wechselt der Kanzleramtsschüssel also nach exakt 5860 Tagen wieder den Besitzer. Zehn Tage fehlten Merkel am Ende zum Ewigkeitsrekord von Helmut Kohl. Ihr ist das egal, sie ist gelöst. Als sie von Schröder damals die Regierungsgeschäfte übernahm, erwartete sie einen Berg an geheimen Akten. Doch Schröder hatte nicht viele Papiere im Tresor, dafür aber teure Uhren, die er auf Staatsbesuchen als Gastgeschenk erhalten hatte und weitergab. Was Merkel Scholz überreicht, bleibt an diesem Tage verborgen. Sie wünscht ihm eine glückliche Hand für die große Aufgabe: "Wenn man sie mit Freude angeht, dann ist es vielleicht eine der schönsten Aufgaben, die es gibt“, sagt Merkel. "Nehmen Sie dieses Haus in Besitz.“

    Der Glanz der Macht fällt jetzt ab von der Frau, deren Eroberung der Macht so unwahrscheinlich war. Frau und ostdeutsch. Die gewesene Kanzlerin wird nicht einfach wieder Frau Angela Merkel, aber ihr Leben riecht wieder mehr nach Kartoffelsuppe, die sie gerne kocht. Der neue Hausherr überreicht seiner Vorgängerin Blumen zum Abschied und versichert, dass es vom Stil her norddeutsch-nüchtern weitergehen wird. "So viel wird sich da nicht ändern“, sagt der Kanzler. "Ich freue mich auf die neue Aufgabe.“ Wenn sein Vater Gerhard recht hat, und daran gibt es keinen Zweifel, tut er das schon lange. Schon mit zwölf Jahren hat der kleine Olaf gesagt, dass er Kanzler werden will.

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