Zu welcher Gießkanne Cem Özdemir wohl greifen wird? Bereit stehen jedenfalls eine rote, eine grüne und eine gelbe. Am Oberstufenzentrum für Natur und Umwelt der Peter-Lenné-Schule in Berlin-Zehlendorf hat sich am Dienstagmorgen der Bundeslandwirtschaftsminister angesagt, doch er lässt die angehenden Forstwirtinnen und Landschaftsgärtner gerade noch etwas auf sich warten. Es ist kalt und es nieselt, da machen sich die Schüler eben so ihre Gedanken. Über das Bäumchen etwa, das der Grünen-Politiker gleich in ihren Schulgarten pflanzen soll. Es steht schon bereit, ebenso wie drei Spaten. Doch ist es nun eine junge Eiche, eine Buche oder Linde? Laub trägt es ja noch nicht, darum können Schüler und Gäste auch darüber zunächst nur rätseln.
Cem Özdemir: Nur noch jeder fünfte Baum gesund
Als Özdemir dann schließlich kommt, hat er erst einmal schlechte Nachrichten: Der Wald in Deutschland gibt weiter Anlass zur Sorge, ein relativ feuchter Winter konnte die Folgen der trockenen Jahre seit 2018 nicht ausgleichen. "Die Klimakrise bedroht auch unsere grüne Lunge, den Wald", sagt Özdemir. Die Schäden durch Dürre und in der Folge Borkenkäfer-Befall seien bereits groß und sie würden noch lange spürbar sein. Im aktuellen Waldschadensbericht, den Özdemir vorstellte, heißt es, dass bei allen Baumarten ein Großteil der Kronen geschädigt sei. Nur noch jeder fünfte Baum gilt demnach als gesund.
Seit 1984 betrachtet das bundeseigene Thünen-Institut jährlich den Zustand der Baumkronen, an denen sich ablesen lässt, wie krank ein Baum ist. Inzwischen, so der Befund, haben die Probleme bei fast allen Baumarten zugenommen. Deutliche Schäden, also Verluste an Blättern oder Nadeln von mehr als einem Viertel, wiesen 2022 über alle Arten hinweg 35 Prozent der Bäume auf. In die "Warnstufe" mit einer deutlichen Kronenschädigung fielen 44 Prozent der Bäume. Lediglich 21 Prozent wiesen volle Kronen auf.
Etwa ein Drittel der Fläche Deutschlands, rund 11,4 Millionen Hektar, ist mit Wald bedeckt. Bei den Baumarten dominiert zu rund einem Viertel die Fichte, es folgen die Kiefer mit 23 Prozent vor Eiche mit 19 und Buche mit 16 Prozent. Doch gerade diesen Arten geht es schlecht. Die in Süddeutschland besonders häufige Fichte litt besonders unter den Dürreperioden der vergangenen Jahre, selbst an Standorten mit guter Wasserversorgung und in höheren Lagen. Rund 40 Prozent der Fichten haben viele oder gar alle Nadeln verloren. Nur noch 13 Prozent der Kiefern, die einmal als Hoffnungsträger beim Klima-angepassten Waldumbau galten, sind gesund. 45 Prozent der Buchen und 40 Prozent der Eichen haben ausgeprägte Kronenschäden.
Zustand der Wälder: Gerade ältere Bäume sterben
Die Ergebnisse bestätigen im Wesentlichen die Befunde aus den Vorjahren. Im Vergleich zu 2021 gibt es in einzelnen Bereichen leichte Schwankungen. Erst im Langzeitvergleich offenbart sich die ganze Dramatik, etwa bei den Eichen. Waren vor vier Jahrzehnten noch mehr als die Hälfte der Bäume gesund, sind es heute nur noch 19 Prozent. Zugenommen hat auch die Zahl komplett abgestorbener Bäume, gerade bei den Exemplaren, die mehr als 60 Jahre alt sind.
Im Bundesdurchschnitt hat sich der Zustand der Wälder dem Bericht zufolge leicht verschlechtert. Der Flächenanteil von Bäumen mit deutlich sichtbaren Schäden stieg um einen Punkt auf 35 Prozent. Baden-Württemberg, die Heimat des Schwarzwalds, legte sogar um vier Punkte auf 46 Prozent zu. Kränker ist nur der Wald in Thüringen, wo die Hälfte der Bäume leidet. In Bayern sank der Wert dagegen von 40 auf 26 Prozent. Noch ist nicht klar, woran das liegt, möglich ist, dass es sich um eine einmalige Schwankung aufgrund vergleichsweise feuchter Witterung handelt.
Einen "Patienten, der unsere Hilfe braucht", nennt Cem Özdemir den deutschen Wald. Der Baumbestand müsse an die Klimaveränderungen angepasst werden, artenreiche Mischwälder sollten die Monokulturen ersetzen, die vielerorts vorherrschten. "Mit einem Wald-Klima-Paket in Höhe von insgesamt 900 Millionen Euro unterstützen wir Waldbesitzende dabei, Wälder gesundzupflegen und klimaresilient zu machen", sagt er. Mehrere tausend Förderanträge seien bereits eingegangen und teils schon beschieden worden. Wichtig sei der Wald nicht nur zur Erholung der Menschen und als Lieferant des nachwachsenden Rohstoffs Holz. "Jeder stabile Hektar Wald schützt das Klima und stärkt die Biodiversität", sagt der Minister.
Diese Art liefert hartes Holz – und Schnaps
Özdemir pflanzt dann schließlich nicht irgendeinen Baum. Sondern eine Elsbeere, eine Verwandte der Eberesche, die mit besonders wenig Wasser auskommt. Ihre Früchte lassen sich zu Marmelade, Saft oder Schnaps verarbeiten. Das Holz wächst zwar langsam, wird aber wegen seiner Härte im Möbel- und Musikinstrumentenbau geschätzt. Bis zu 300 Jahre kann ein solcher Baum werden. "Auf trockenheitstolerante Arten wie diese müssen wir beim Umbau unserer Wälder setzen", sagt er. Mit dem Spaten kippt er ein paar Schaufeln Erde auf die Elsbeeren-Wurzeln, dann wird gegossen. Özdemir nimmt, natürlich, die grüne Kanne.
Das Recht auf Reparatur - oder Umtausch - kann bislang nur während der Garantie eingefordert werden. Das möchte die EU-Kommission ändern.