Wladimir Putin sagte vor ein paar Jahren, wenn er über die Grenze nach Finnland blicke, sehe er einen Finnen, wenn Finnland der Nato beiträte, sähe er auf der anderen Seite einen Feind. Finnlands Staatspräsident Sauli Niinistö erzählte dies aus einer Begegnung mit Putin vor sechs Jahren. Doch nun sprach Finnlands Präsident, der nach vielen Treffen mit Putin zu den besten Kennern des Kreml-Herrschers zählt, sich trotz der harschen Warnung klar für den Nato-Beitritt aus.
Dass Finnland und besonders Schweden ihre jahrzehntelang stolzgelebte Rolle der Neutralität und Blockfreiheit aufgeben wollen, ist ein viel größerer Bruch der Geschichte, als Deutschlands Entscheidung Waffen in ein Konfliktgebiet zu schicken oder 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr zu stecken. Für die Nordeuropäer ist es das Ende der Nachkriegsepoche.
Was bedeutet Finnlands geplanter Beitritt zur Nato für Russland?
Was bedeutet dies für Russland? Nicht die Ukraine wird zum neutralen Staat „finnlandisiert“, wie vor Monaten ein Vorschlag lautete, um den Krieg Russlands abzuwenden. Stattdessen wird Finnland in der Nato „ent-neutralisiert“. Viele sehen dies als Beleg, wie sehr sich Putin mit seinem Krieg verrechnet habe. Es könnte aber genauso gut sein, dass die Nato-Erweiterung im Norden für Putin sogar gut ins Konzept passt. Auch für Russland gilt: Je größer die Bedrohung von Außen wirkt, desto stärker der Zusammenhalt im Inneren.
Putin weiß, dass er von der Nato nie einen Angriff befürchten muss. Seine Angst ist nicht die militärische Bedrohung des Westens, sondern die politische Bedrohung durch Demokratie, Wirtschaftskraft und Ideologieverlust. Putin fürchtet den Machtverlust durch Demokratie und Proteste im eigenen Land. Denn im Vergleich zum Westen und China ist die wirtschaftliche Bilanz seiner Amtszeit kläglich, was den Wohlstand seiner Bevölkerung angeht. Die Rückkehr zum alten Blockdenken könnte Putins Macht aus innenpolitischer Sicht eher stärken als schwächen.
Die Nato-Militärs haben Putin anders als die Politik richtig eingeschätzt
Die Nato würde auf jeden Fall sowohl auf politischer als auch auf militärischer Ebene durch die Beitritte gestärkt. Und es ist wichtig, beides getrennt zu betrachten, denn die Nato hat eine politische und eine militärische Organisationsebene. Die politische Ebene gab in den vergangenen Jahren ein desolates Bild ab – mit Dauerstreit um die Höhe der Verteidigungsaufgaben unter der Überschrift „Zwei-Prozent-Ziel“, Ringen um Europas Eigenschutz bis zur Debatte ob das Bündnis bereits „hirntot“ sei.
Die militärische Ebene sammelte dagegen nach Warnungen aus Polen und dem Baltikum schon vor dem Georgienkrieg von 2008 viele konkrete Belege für eine russische Bedrohung. Sie bereitete den Schutz der „Ostflanke“ vor, was Deutschlands damaliger Außenminister Frank-Walter Steinmeier selbst nach dem Krim-Überfall als „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“ geißelte. Die politische Ebene hat Putin sträflich falsch eingeschätzt, die militärische Ebene richtig eingeordnet. Die Nato-Staaten USA und Kanada bildeten deshalb seit langem die ukrainische Armee aus.
Doch macht die Nato-Ausdehnung die Welt wirklich sicherer? Der geplante Schritt Schwedens hilft für eine realistische Betrachtung. Dass die jahrzehntelange Friedensmacht Russlands Bedrohung größer einschätzt als die der Sowjetunion hat einen Grund. Die UdSSR wollte ihr Machterritorium nach außen schützen. Das heutige Russland will sein Einflussgebiet in Europa über seine Grenzen ausdehnen – mit Gewalt und Destabilisierung.
Wie die Schweden sollte auch die deutsche Gesellschaft ihren oft von großem Misstrauen geprägten Blick auf die Nato überdenken. Nicht alles, was militärisch ist, sollte man als militaristisch wahrnehmen.