Es ist die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm, die in Wien eine Woche vor den Nationalratswahlen am 29. September herrscht: Kurz war sie, die „Wahlkampfpause“. Vor einer Woche hatten sie die Parteien wegen der verheerenden Überschwemmungen ausgerufen. Nun ist die Frage, wie die Katastrophe und das Krisenmanagement der konservativ-grünen Regierung die Wahl beeinflussen wird, Diskussionsthema Nummer eins.
Österreichwahl: Die extrem rechte FPÖ führt in den Umfragen
ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer muss sich zwar seit Tagen von Oppositionsparteien, Wissenschaft und dem Koalitionspartner seine Positionen zu den Auswirkungen des Klimawandels vorhalten lassen, seine Kritiker als Verharmlosung anprangern. Doch dass Österreich von der EU eine halbe Milliarde Euro an Hilfsgeldern zugesprochen bekam, feiern seine Unterstützer als Erfolg. Sein grüner Koalitionspartner wirft der ÖVP dagegen eine Blockadehaltung im Kampf gegen eine wachsende Bodenversiegelung vor.
An der Grundstimmung hat sich in den Umfragen nicht viel geändert: Der Wind kommt in der Alpenrepublik, fünf Jahre nach „Ibiza“ und drei Jahre nach dem Rücktritt des ÖVP-Kanzlers Sebastian Kurz, wieder von rechts. Rund 50 Prozent der Befragten in Umfragen wollen entweder für die Kanzlerpartei oder eben der FPÖ von Herbert Kickl die Stimme abgeben, die extrem rechte Schwesterpartei der AFD führt nach wie vor die Befragungen an.
Österreichs Sozialdemokraten kämpfen vor allem gegen sich selbst
Krisen und Krieg, massive Teuerung, Korruptionsskandale in der ÖVP und zuletzt das Hochwasser: Die Sozialdemokraten als größte Oppositionspartei können von der Lage im Land kaum politisch profitieren. Seit Spitzenkandidat Andreas Babler im Juni vergangenen Jahres in einer chaotischen Abstimmung zum neuen SPÖ-Vorsitzenden bestellt wurde, kämpft der Parteilinke vor allem gegen andere Genossen. Mit dem linken Kurs Bablers und ihm als Führungsperson haben zahlreiche Spitzenfunktionäre ein Problem. Angeführt wird der parteiinterne Widerstand von Bablers Hauptkonkurrenten, dem burgenländischen Regierungschef, SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil.
Von Tirol über Oberösterreich bis in die Steiermark hat Doskozil eine Allianz aus meist jungen und karrierebewussten Landesparteichefs gegen den Kanzlerkandidaten geschmiedet. Vor allem in Oberösterreich steht die Landes-SPÖ in offener Feindschaft zu Babler und hinter Doskozil. Persönlich seinen „Erz-Parteifreund“ Babler über die Medien anzugreifen und dessen Rückzug in den Raum zu stellen, hat der Burgenländer aufgegeben. Das erledigt nun Doskozils junge Truppe.
Als vor einigen Wochen der Linzer Bürgermeister Klaus Luger wegen seiner Rolle in einer Korruptionsaffäre seinen Hut nehmen musste, nutzen die Oberösterreicher dies, um Babler, der Luger aufgefordert hatte, die Parteifunktionen zurückzulegen, offen zu brüskieren. Die Retourkutsche: Ein SPÖ-Landespolitiker spielte ein internes Schreiben der SPÖ-Abgeordneten und Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures an die Kronen Zeitung. Sie sei mit Bablers Wahlprogramm unzufrieden, kritisierte die mächtige Wiener SPÖ-Frau, zu viele Forderungen habe Babler, zu wenig „Fokus auf realpolitische Umsetzung“. Das machte offensichtlich, dass die „Wiener Partie“ rund um Bures mit Bablers Führung ebenso unzufrieden ist wie Doskozils Länder-Allianz. Ein erneuter Machtkampf zwischen den verfeindeten SPÖ-Fraktionen aus Wien, Eisenstadt und der Babler-Basis nach der Wahl gilt als wahrscheinlich.
Das Babler-Lager beklagt eine systematische mediale Ungleichbehandlung des SPÖ-Chefs in konservativen und Boulevardblättern. Nahrung erhielten die Kritiker, als die Aufdecker-Plattform „Dossier“ in ihrer jüngsten Ausgabe von niederösterreichischen ÖVP-Spitzenpolitikern berichtete, die mit einflussreichen Journalisten Golf spielen und gemeinsam Urlaub machen - und offensichtlich nichts dabei finden, dass dabei den Redakteuren ausgerichtet wird, was an der Berichterstattung gefällt und was weniger.
Der ORF stellt das „Kanzler-Duell“ um - zu Gunsten von Kickl
Für Kritik von linker Seite sorgt auch die Entscheidung des öffentlich-rechtlichen ORF, das traditionelle letzte TV-Duell, auch „Kanzler-Duell“ genannt, zwischen Kanzler Nehammer und FPÖ-Chef Kickl auszutragen. Bisher war üblich, die Spitzenkandidaten der stärksten und der zweitstärksten Partei im Parlament gegeneinander antreten zu lassen – das wären in dem Fall Nehammer und SPÖ-Chef Babler gewesen. Der ORF rechtfertigt dies unter anderem mit den aktuellen Umfragen und spricht von einer „unabhängigen Entscheidung der Chefredaktion in Abstimmung mit dem für die Information zuständigen Generaldirektor“ - dieser galt bei seiner Bestellung als Wunschkandidat von Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz.
Völlig offen ist eine Woche vor der Wahl, wer Österreich künftig regieren wird. Die ÖVP, die mit der extremen Rechten in Salzburg sowie in Ober- und Niederösterreich regiert, schließt eine Zusammenarbeit mit der FPÖ im Bund nicht aus – will aber Kickl nicht zum Kanzler machen. Der FPÖ-Chef wiederum schließt einen taktischen Rückzug ins zweite Glied kategorisch aus, will im Falle eines Wahlsiegs Kanzler werden.
Schafft es die ÖVP, Kickl auf den letzten Metern zu überholen und doch als Erste durchs Ziel zu gehen, könnte dies die Bedingungen für die Koalitionsverhandlungen entscheidend verändern. Möglich wäre auch eine Dreierkoalition der liberalen NEOS mit ÖVP und SPÖ – die Verhandlungen für eine solche kann die Partei von Kanzler Nehammer aber nur dominieren, wenn sie gleichzeitig eine Koalitionsoption mit der FPÖ hat. Und schließlich werden die Augen auch auf Alexander Van der Bellen gerichtet sein: Der Bundespräsident hat angekündigt, Kickl im Falle eines FPÖ-Siegs nicht zum Kanzler zu ernennen.
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