Als Reaktion auf fortwährende Raketenangriffe militanter Palästinenser hat Israels Armee laut eigenen Angaben bei einem komplexen Angriff im Gazastreifen ein Tunnelsystem der islamistischen Hamas beschossen. Daran beteiligt seien 160 "Luftfahrzeuge" gewesen, sagte Armeesprecher Jonathan Conricus am Freitagmorgen. Unterstützung hätten sie von israelischer Seite unter anderem von Panzern erhalten. Ihr Einsatz dauerte demnach rund 40 Minuten.
Ziel sei ein Tunnelsystem der Hamas in dem Küstengebiet gewesen. Es werde "Metro" genannt, sagte Conricus. Dabei handele es sich um eine Art "Stadt unter der Stadt". Die Hamas habe Jahre in den Bau des Tunnelsystems investiert. Der Grad der Zerstörung sei noch unklar. Zur Unterstützung feuerten unter anderem Panzer von israelischer Seite auf Ziele im Gazastreifen. Conricus betonte, kein israelischer Soldat habe den Gazastreifen betreten.
Israelische Armee beschädigt nach eigenen Angaben Tunnelsystem der Hamas
Wie das Militär bei Twitter schrieb, wurden "viele Kilometer" des Tunnelsystems beschädigt. Insgesamt seien 150 Ziele beschossen worden. Die Armee teilte weiter mit, Kampfflugzeuge hätten zudem Beobachtungsposten und unterirdische Raketen-Abschussvorrichtungen der Hamas angegriffen.
Das israelische Fernsehen hatte zuvor von massiven Angriffen der Luftwaffe sowie der Artillerie und Panzertruppen auf den Küstenstreifen berichtet. Die Armee erklärte in der Nacht: "Luft- und Bodentruppen greifen gegenwärtig im Gazastreifen an." Anschließend gab es Berichte, wonach Bodentruppen in den Gazastreifen vorgedrungen seien. Der Armeesprecher entschuldigte sich für Fehlkommunikation.
Gaza-Konflikt: Benjamin Netanjahu kündigt Fortsetzung der Angriffe an
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte in der Nacht zu den Angriffen: "Ich habe gesagt, dass Hamas einen sehr hohen Preis zahlen wird." Man werde die Angriffe "mit großer Intensität fortsetzen", sagte er in einer Videobotschaft. "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen und diese Operation wird so lange wie nötig weitergehen." Verteidigungsminister Benny Gantz hatte zuvor die Mobilisierung von weiteren 9000 Reservisten genehmigt.
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden in Gaza seit Beginn der Eskalation des Konflikts 120 Menschen getötet und 830 weitere verletzt. Wie die Armee mitteilte, wurden in Israel durch Beschuss bisher acht Menschen getötet.
Israelische Soldaten haben außerdem nach Angaben der Armee im Westjordanland eine Messerattacke vereitelt. Ein Angreifer sei an einem Militärposten an der Gemeinde Ofra im Norden von Ramallah aus einen Wagen gestiegen und habe versucht, auf einen Soldaten einzustechen, teilte das Militär am Freitag mit. Der Soldat habe auf den Mann geschossen und ihn "neutralisiert". Das palästinensische Gesundheitsministerium gab an, dass ein Palästinser, auf den von Soldaten nahe Ramallah geschossen worden sei, an seinen Verletzungen gestorben sei. Weitere Details wurden nicht genannt.
UN-Helfer warnen vor Versorgungs-Engpass im Gazastreifen
Die Vereinten Nationen fordern die Öffnung der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen für Treibstoff- und Hilfslieferungen. Sonst drohten den Palästinensern in den kommenden Tagen noch drastischere Einschränkungen im Gesundheitswesen und bei der Wasserversorgung, sagte Jens Laerke, Sprecher des UN-Büros für die Koordinierung Humanitärer Angelegenheiten (OCHA), am Freitag in Genf. "Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit", sagte Laerke der Deutschen Presse-Agentur.
Seit 10. Mai seien die zwei wichtigsten Grenzübergänge zu dem Palästinensergebiet am Mittelmeer von israelischer Seite geschlossen, so das UN-Büro. Bereits jetzt hätten die etwa zwei Millionen Menschen im Gazastreifen acht bis zwölf Stunden am Tag keinen Strom, weil zu wenig Diesel vorhanden sei. Humanitäre Hilfsgüter seien noch vorhanden, sie könnten aber zur Neige gehen. Nach Angaben von OCHA wurden zudem mehr als 200 palästinensische Wohneinheiten und 31 Bildungseinrichtungen beschädigt oder zerstört.
Die Hamas hat sich zum Verteidiger Jerusalems erklärt
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern war zuletzt wieder aufgeflammt. Er spitzte sich während des muslimischen Fastenmonats Ramadan und nach der Absage der palästinensischen Parlamentswahl immer weiter zu. Als Auslöser gelten etwa Polizei-Absperrungen in der Jerusalemer Altstadt, die viele junge Palästinenser als Demütigung empfanden.
Hinzu kamen Auseinandersetzungen von Palästinensern und israelischen Siedlern im Jerusalemer Viertel Scheich Dscharrah wegen Zwangsräumungen sowie heftige Zusammenstöße auf dem Tempelberg (Al-Haram al-Scharif). Die Anlage mit Felsendom und Al-Aksa-Moschee ist die drittheiligste Stätte im Islam. Sie ist aber auch Juden heilig, weil dort früher zwei jüdische Tempel standen.
Nach der Eskalation des Gaza-Konflikts kam es auch in Städten im israelischen Kernland, wo ein hoher Anteil arabischer Israelis lebt, wieder zu Ausschreitungen. Die Polizei nahm eigenen Angaben nach erneut mehrere Verdächtige fest. In Lod bei Tel Aviv schleuderten Menschen Steine und Molotowcocktails, wie ein Sprecher mitteilte.
Die Hamas hat sich zum Verteidiger Jerusalems erklärt. Von Israel verlangte sie zu Wochenbeginn per Ultimatum unter anderem, dass alle israelischen Polizisten und Siedler den Tempelberg und Scheich Dscharrah verlassen - Israel folgte dem nicht. Die Hamas hat ihren Raketenbeschuss unter das Motto "Schwert von Jerusalem" gestellt. Israel nennt seinen Einsatz "Wächter der Mauern".
Israel macht die Hamas für alle Angriffe aus dem Gazastreifen verantwortlich
Militante Palästinenser setzten am Donnerstag ihre heftigen Raketenangriffe auf israelische Bevölkerungszentren fort. Auch am Abend wurden erneut zahlreiche Städte beschossen, darunter Aschkelon, Aschdod und Modiin. Auch in die Richtung des internationalen Flughafens bei Tel Aviv wurden Raketen abgefeuert. In einer Ortschaft im Süden des Landes wurde nach Angaben von Rettungskräfte eine 87-Jährige auf der Flucht in einen Schutzraum tödlich verletzt.
Israel will Aufrufe zur Gewalt über soziale Netzwerke verhindern. Justizminister Benny Gantz forderte Facebook und Tiktok am Freitag dazu auf, proaktiv Inhalte zu löschen, die zu Gewalt aufstachelten oder Terror unterstützten. Extremisten würden versuchen, über soziale Medien dem Land zu schaden, sagte Gantz laut Mitteilung seines Ministeriums nach Gesprächen mit Vertretern der beiden Unternehmen.
Wie der Armeesprecher sagte, feuerten militante Palästinenser im Gazastreifen seit Montagabend bislang 1800 Raketen auf Israel ab. Rund 430 davon seien noch in dem Küstengebiet niedergegangen. Die Erfolgsquote des Abfangsystems Eisenkuppel ("Iron Dome") hat das Militär zuletzt im Schnitt mit rund 90 Prozent angegeben. Nach Angaben von Israels Ministerpräsidenten Netanjahu wurden bislang schon fast 1000 Ziele der militanten Palästinenser beschossen.
Vor allem im Umkreis des Gazastreifens ertönten am Morgen immer wieder Raketen-Warnsirenen. Nach Polizeiangaben wurde ein Haus in der Stadt Aschkelon von einer Rakete getroffen. Israel macht die im Gazastreifen herrschende Hamas für alle Angriffe aus dem Gazastreifen verantwortlich. Die zweitgrößte Palästinensergruppe wird von Israel und der EU als Terrororganisation eingestuft.
Kreise: Israel lehnt ägyptische Vermittlung für Feuerpause ab
Israel hat indes ein Angebot Ägyptens zur Vermittlung einer Feuerpause im Gaza-Konflikt abgelehnt. Vertreter Israels hätten alle Vorschläge zur Vermittlung einer Waffenruhe zurückgewiesen, erfuhr die Deutsche Presse-Agenturam Freitag in Kairo aus ägyptischen Sicherheitskreisen - auch eine vorübergehende Feuerpause. Eine Delegation aus Kairo, die am Donnerstag nach Tel Aviv gereist sei, habe keinen Erfolg gehabt.
Am Mittwoch hatte eine ägyptische Delegation im Gazastreifen bereits Gespräche mit der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas und der militanten Gruppe Islamischer Dschihad geführt. Israel wolle dort die militärischen Mittel der Hamas und anderer Gruppen zerstören und gesuchte Hamas-Anführer ins Visier nehmen, hieß es in Kairo. Vorher habe die israelische Seite kein Interesse an Verhandlungen.
Ägypten trat im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern schon mehrfach als arabischer Vermittler auf. Auch im Gaza-Krieg 2014 hatte das Land mit auf eine Waffenruhe hingewirkt.
Seit Ende 2008 haben sich Israel und die Hamas drei Kriege geliefert
Ein Sprecher des militärischen Hamas-Arms sagte, eine israelische Bodenoffensive wäre "eine Gelegenheit, weitere tote Soldaten und Gefangene des Feindes in unseren Besitz zu bringen". Man sei bereit, "dem Feind mit Gottes Hilfe eine harte Lektion zu erteilen".
Chronologie: Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern
Seit Gründung des Staates Israel kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Nachbarn. Der erste Nahostkrieg war für Israel ein Unabhängigkeitskrieg - für die Palästinenser hingegen der Beginn der "Nakba", ihrer Flucht und Vertreibung.
29. November 1947: Die Vollversammlung der Vereinten Nationen ruft zur Teilung des britischen Mandatsgebiets Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat auf (Resolution 181). Die Juden stimmen zu, die Araber in Palästina und die arabischen Staaten lehnen den Plan ab.
14. Mai 1948: David Ben Gurion verliest Israels Unabhängigkeitserklärung. Am Tag darauf erklären die arabischen Nachbarn Ägypten, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien den Krieg. Im Kampf kann der neue Staat sein Territorium vergrößern und den Westteil Jerusalems erobern. Rund 700.000 Palästinenser fliehen.
Oktober 1956: In der Suez-Krise kämpfen israelische Truppen an der Seite Frankreichs und Großbritanniens um die Kontrolle des Suez-Kanals, den Ägypten zuvor verstaatlicht hatte.
Juni 1967: Im Sechstagekrieg erobert Israel den Gazastreifen, die Sinai-Halbinsel, das Westjordanland, Ostjerusalem und die Golanhöhen.
Oktober 1973: Eine Allianz arabischer Staaten unter Führung von Ägypten und Syrien überfällt Israel an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag. Nur unter schweren Verlusten gelingt es Israel, den Angriff abzuwehren.
März 1979: Israels Regierungschef Menachem Begin und Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat schließen einen von den USA vermittelten Friedensvertrag.
Juni 1982: Beginn der Operation "Frieden für Galiläa". Israel greift Stellungen der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO im Libanon an und marschiert ins Nachbarland ein.
Dezember 1987: Ausbruch des ersten Palästinenseraufstands ("Intifada").
September 1993: Israels Ministerpräsident Izchak Rabin und PLO-Chef Jassir Arafat unterzeichnen die Oslo-Friedensverträge.
4. November 1995: Rabin wird nach einer Friedenskundgebung in Tel Aviv von einem jüdischen Fanatiker erschossen.
September 2000: Nach einem Besuch von Israels damaligem Oppositionsführer Ariel Scharon auf dem Tempelberg in Jerusalem bricht die zweite Intifada aus.
2003: Israel beginnt mit dem Bau einer 750 Kilometer langen Sperranlage rund ums Westjordanland. Zäune und Mauern verlaufen zum Teil auf palästinensischem Gebiet.
August 2005: Gegen den Widerstand der Siedler räumt Israel alle Siedlungen im Gazastreifen und zieht seine Truppen aus dem Palästinensergebiet am Mittelmeer ab.
Juli 2006: Israel und die libanesische Hisbollah-Miliz liefern sich einen einmonatigen Krieg.
Juni 2007: Die radikal-islamische Hamas vertreibt in einem blutigen Machtkampf unter Palästinensern die Fatah von Mahmud Abbas aus dem Gazastreifen.
Jahreswende 2008/2009 bis August 2014: In drei Konflikten bekriegen sich das israelische Militär und die Hamas im Gaza-Streifen. Kurz vor dem Krieg 2014 scheitert der bisher letzte Versuch der beiden Seiten, am Verhandlungstisch einen Frieden zu vereinbaren.
Dezember 2017: US-Präsident Donald Trump verkündet den Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Die Entscheidung stößt international auf heftige Kritik.
Frühjahr 2018: Am Grenzzaun zwischen Israel und Gazastreifen beginnen wochenlange Demonstrationen von Palästinensern für das Recht auf Rückkehr ins Gebiet des heutigen Israels. Mehr als 100 werden von der Armee erschossen. Die USA eröffnen ihre Botschaft in Jerusalem.
Januar 2020: Trump und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu präsentieren einen Nahost-Friedensplan. Die Palästinenser sehen das Völkerrecht verletzt.
Mai 2021: In Jerusalem kommt es zu schweren Zusammenstößen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern. Aus dem Gazastreifen werden Raketen auf Israel abgefeuert, das mit Luftangriffen reagiert. Dabei werden in Gaza mehrere Palästinenser getötet. (dpa)
Seit Ende 2008 haben Israel und die Hamas sich drei Kriege geliefert. Mehr als 2100 Palästinenser und mehr als 70 Israelis wurden 2014 im 50 Tage langen Gaza-Krieg nach Angaben beider Seiten getötet. 18.000 Häuser im Gazastreifen wurden damals nach Angaben der UN-Nothilfeorganisation Ocha zerstört oder beschädigt.
Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte der Bild (Freitag): "Zumindest die jüngste Eskalation hat Hamas mutwillig herbeigeführt, indem sie über tausend Raketen auf israelische Städte geschossen hat." Deutschland setze sich für ein sofortiges Ende der Gewalt ein. Hierzulande solle die Polizei "mit höchster Aufmerksamkeit jüdische Einrichtungen schützen".
Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron will unterdessen zu einer raschen Beruhigung des Konflikts beitragen. In einem Telefonat mit dem Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas habe der 43-Jährige die Raketenangriffe der Hamas und "anderer terroristischer Gruppen" auf Israel verurteilt, teilte der Élyséepalast in Paris mit. Macron wolle auch mit Netanjahu telefonieren.
Aus Solidarität mit Israel haben Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und Außenminister Alexander Schallenberg auf ihren Amtsgebäuden die Fahne des Landes hissen lassen. "Ich verurteile die seit Tagen stattfindenden Angriffe auf Israel aus dem Gazastreifen auf das Schärfste", begründete Kurz den Schritt. Israel habe das Recht auf Selbstverteidigung gegen diese Angriffe. (dpa)
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