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Nahost: So geht es den israelischen Geiseln nach der Befreiung

Nahost

So geht es den israelischen Geiseln nach der Befreiung

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    Noa Argamani (rechts) mit einem Familienangehörigen nach ihrer Befreiung aus der Gefangenschaft im Gazastreifen.
    Noa Argamani (rechts) mit einem Familienangehörigen nach ihrer Befreiung aus der Gefangenschaft im Gazastreifen. Foto: IDF Spokesperson's unit via GPO, dpa

    Freud und Leid liegen nahe beieinander an diesem Wochenende in Israel. Als Spezialeinheiten von Militär, Geheimdienst und Polizei am Samstag vier Geiseln aus den Händen der Hamas befreien, erfüllt sich für Liora Argamani ein letzter, großer Wunsch. Ihre Tochter Noa ist unter den Befreiten und lässt sich sofort in eine Klinik in Tel Aviv fahren, um ihre Mutter in die Arme zu schließen, die mit einem Hirntumor im Sterben liegt. Dem 22-jährigen Almog Meir dagegen ist ein solches Wiedersehen nicht vergönnt. Sein Vater Yossi stirbt wenige Stunden vor seiner Befreiung – an gebrochenem Herzen, wie es heißt. Er habe nicht mehr daran geglaubt, seinen Sohn noch einmal lebend wiederzusehen. Als seine Schwester ihm die Nachricht von der Befreiung Almogs überbringen will, weil die Armee ihn nicht erreicht, findet sie ihn tot in seiner Wohnung liegend.

    Acht Monate nach den Massakern vom 7. Oktober und der Entführung von mehr als 200 Israelis ist den israelischen Sicherheitskräften ein spektakulärer Schlag gegen die Hamas gelungen. In einer wochenlang vorbereiteten Geheimoperation befreien sie vier Geiseln, die von den Terroristen bei einem Musikfestival in der Wüste Negev gefangen genommen und nach Gaza verschleppt worden waren. „Plötzlich klopfte jemand an die Tür“, erzählt Noa Argamani. „Und sagte: Hier ist die israelische Armee. Wir sind gekommen, um dich zu retten.“ 

    Nach allem, was man bisher weiß, wurde die 26-Jährige in einer Wohnung in Nuseirat im Zentrum des Küstenstreifens festgehalten und von mehreren Bewaffneten bewacht. Bislang unbestätigten Berichten zufolge soll die Wohnung einem Journalisten des arabischen Senders Al Jazeera gehören. Die drei mit ihr Befreiten sollen in einer Wohnung 200 Meter entfernt festgehalten worden sein. Zunächst läuft die Operation unter dem Namen „Samen des Sommers“. Noch am Abend benennt Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sie jedoch in Operation „Arnon“ um – im Gedenken an den Elitesoldaten Arnon Zamora, der bei dem Einsatz schwer verwundet wird und Stunden später stirbt. 

    Vier Geiseln in Gaza befreit: Ein Fernsehmoderator weint vor Freude

    Als die Nachricht von der Befreiung der Geiseln die Runde macht, kennt Israel kein Halten mehr. Am Strand von Tel Aviv vermeldet ein Bademeister über einen Lautsprecher die Neuigkeit, worauf sich wildfremde Menschen um den Hals fallen, applaudieren und zu singen beginnen. Andere tanzen, israelische Fahnen schwenkend, vor dem Haus der Argamanis. Ein Fernsehmoderator weint beim Verlesen der Nachricht vor Freude – und Benjamin Gantz, Netanjahus schärfster Rivale, sagt eine für den Abend geplante Rede ab, bei der er dem Vernehmen nach seinen Rückzug aus dem Kriegskabinett ankündigen wollte. Und in Deutschland titelt die Jüdische Allgemeine über einem Foto von Noa und ihrem Vater nur: „Endlich frei.“ 

    Netanjahu selbst sagt: „Als mir diese Operation zur endgültigen Genehmigung vorgelegt wurde, wusste ich, dass sie sehr komplex und gefährlich war. Aber ich habe dem ohne zu zögern zugestimmt, weil ich dem Geheimdienst, der Armee und der israelischen Polizei vertraue.“ Verteidigungsminister Yoav Galant spricht von einer der heldenhaftesten Operationen, die er in 47 Jahren im Dienst erlebt habe. Bei vielen Israelis werden Erinnerungen an die Operation „Entebbe“ wach, mit der israelische Elitesoldaten 1976 nach der Entführung einer Air-France-Maschine mehr als 100 überwiegend israelische Geiseln auf dem Flughafen im ugandischen Entebbe aus den Händen palästinensischer und deutscher Terroristen befreiten. Nur ein israelischer Soldat überlebt diesen Einsatz nicht – der Kommandeur der Einheit, Netanjahus Bruder Yonatan. 

    Ein Angriff am heiligen Tag der Juden

    Wie genau die Operation in Gaza ablief, ist noch unklar. „Der Schlüsselfaktor war die Überraschung“, sagt Militärsprecher Peter Leiner. Einen Angriff am Shabat, dem heiligen Tag der Juden, hat die Hamas offenbar nicht erwartet. Nach Informationen der Zeitung Times of Israel  hatten sich die israelischen Soldaten in unauffälligen Fahrzeugen aus Gaza auf den Weg zu den Verstecken der Geiseln gemacht. Um elf Uhr vormittags erhielten sie danach den Befehl, die beiden Gebäude gleichzeitig zu stürmen, in denen die Hamas Noa Argamani, Almog Meir, Andrey Kozlov und Shlomi Ziv festhielt – alle in einem „guten medizinischen Zustand“, wie die Armee bald darauf mitteilt. 

    Um die Geiseln und den bei einem Feuergefecht schwer verletzten Soldaten Zamora unter dem Feuer der Hamas sicher zu einem am Strand wartenden Hubschrauber bringen zu können, greifen israelische Bodentruppen und die Luftwaffe mehrere Stellungen der Terroristen an. Dass dabei auch zahlreiche palästinensische Zivilisten ums Leben kommen, wie die Hamas behauptet, hat nach Darstellung der israelischen Armee die Terrororganisation selbst zu verantworten, die ihre Geiseln gezielt unter Zivilisten versteckt hatte. Palästinensische Familien hätten Geld dafür erhalten, dass sie in ihren Wohnungen Geiseln beherbergten, berichten israelische Quellen. Nach der Befreiung der vier sollen sich nun noch etwa 120 Entführte in Gaza befinden. Ob sie alle noch leben, weiß im Moment vermutlich nur die Hamas. 

    Noas Freund ist noch in der Gewalt der Hamas

    Noa Argamani ist eines der berühmtesten Gesichter des 7. Oktober. Ein Video, das um die Welt geht, zeigt sie auf dem Motorrad ihres Entführers sitzend, die Hände verzweifelt in Richtung ihres Freundes streckend und „Bitte tötet mich nicht“ rufend. Ihre Mutter hat sich, den eigenen Tod vor Augen, sogar an US-Präsident Joe Biden gewandt und ihn gebeten, ihre Tochter noch einmal sehen zu dürfen. Auf Bildern vom Wochenende sitzt sie nun mit einer Schutzmaske im Rollstuhl und hält Noas Hand, daneben ihr Ehemann Yakoov, der an diesem Samstag Geburtstag hat. „Es gibt keine Armee wie diese auf der Welt“, sagt er später dankbar. Vorbei aber ist der Terror auch für die Argamanis noch nicht. Noas Freund Avinatan Or befindet sich noch immer in der Gewalt der Hamas. 

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