Männer in khakifarbenen Uniformen, eine Maschinenpistole am Schulterriemen, die einen schmalen Fluss zwischen kahlen Bäumen überqueren: Auf den ersten Blick scheinen die Bilder, die Israels Armee, die IDF, am Dienstag veröffentlichte, wenig spektakulär. Für das israelische Publikum jedoch tragen sie hohe Symbolkraft: Bei dem Gewässer handelt es sich um den Litani-Fluss im Libanon, der in 30 Kilometer Entfernung parallel zur israelischen Grenze verläuft. Hinter diesen Fluss soll die Hisbollah sich zurückziehen. Dazu wird es nun offenbar kommen.
Mehr als ein Jahr nach Beginn des Kriegs mit der Hisbollah-Miliz hat das israelische Sicherheitskabinett am Abend unter Leitung von Regierungschef Benjamin Netanjahu eine Waffenruhe gebilligt. Sie soll am Mittwochvormittag in Kraft treten. Auch aus Beirut waren zuversichtliche Botschaften zu hören. Das Abkommen würde den Krieg beenden, den die Hisbollah am 8. Oktober, einen Tag nach dem Angriff der Hamas, mit Raketenbeschuss auf Israel begonnen hatte – und zwar zu Bedingungen, die die jüngsten militärischen Erfolge der IDF wiederspiegeln. Ob die Einigung allerdings eine langfristige Waffenruhe an Israels nördlicher Front gewähren kann, ist unter Analysten umstritten.
Vorgesehen ist eine 30-tägige Übergangsphase
Aus israelischen und US-Medien sind weite Teile der Einigung bereits bekannt: So soll es zunächst eine 60 Tage lange Übergangsphase geben, in der Israel seine Truppen aus dem Libanon abziehen soll. Die Hisbollah wiederum soll sich hinter besagten Litani-Fluss zurückziehen. Anschließend ist vorgesehen, dass die reguläre libanesische Armee sowie die UN-Friedenstruppe Unifil im Süden Libanons dafür sorgen, dass die Hisbollah nicht erneut in das Gebiet vordringt.
Die UN-Resolution 1701 nach dem zweiten Libanonkrieg 2006 hatte ein ähnliches Arrangement vorgesehen – das jedoch nie durchgesetzt wurde. Die libanesische Armee hatte der seit Jahrzehnten vom Iran unterstützten Hisbollah nichts entgegenzusetzen. Israel aber hat die Hisbollah, die von westlichen Staaten als Terrororganisation gelistet wird, in den letzten Monaten stark geschwächt. Außerdem behält Israel sich das Recht vor, die Hisbollah weiterhin zu attackieren, sollte diese das Abkommen brechen. Berichten zufolge soll die USA Israel in einer Art Zusatz zu dem Waffenstillstand die Berechtigung dafür garantieren. Nicht alle in Israel sind von der sich abzeichnenden Einigung überzeugt. „Dieser Waffenstillstand ist bestenfalls eine vorübergehende Pause, solange es keine konkrete Bemühungen gibt, die Autorität der libanesischen Regierung und ihre Fähigkeit, ihre Souveränität gegenüber destabilisierenden Kräften geltend zu machen, wiederherzustellen“, schreibt der israelische Analyst Avi Melamed dieser Zeitung. Er glaubt, dass die Hisbollah sich – wie schon nach früheren Eskalationen – neu bewaffnen und zu alter Stärke zurückfinden wird.
In Israel ist die Sorge, dass die Hisbollah zur alten Stärke zurückfindet
Der Militärexperte Danny Orbach von der Hebräischen Universität in Jerusalem dagegen sieht das Abkommen positiv. „Es war nie ein realistisches Ziel, die Hisbollah komplett auszulöschen“, sagt er dieser Zeitung. „Was Israel jedoch tun konnte, ist, die Hisbollah so zu schwächen, dass andere Fraktionen im Libanon die Gelegenheit haben, dafür zu sorgen, dass die Hisbollah dort nicht wieder zur dominanten Kraft wird. Das Abkommen ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.“
Orbach ist zuversichtlich, dass das Abkommen den Wiederaufbau der Hisbollah verhindern kann – zumal der Iran, der wichtigste Förderer der Gruppe, nach seinem eigenen militärischen Schlagabtausch mit Israel selbst geschwächt ist. Zudem drohten dem Iran unter einem zukünftigen US-Präsidenten Donald Trump schwere Sanktionen.
Der Iran ist als wichtigster Unterstützer der Terror-Miliz selbst geschwächt
Der Experte hofft, dass die Schwächung der Hisbollah noch weitere Früchte für Israel bringt. „Ich würde nicht sagen, das ist ein kompletter strategischer Sieg für Israel“, sagt er. „Aber es ist uns gelungen, auf unser langfristiges Ziel hinzuarbeiten: politischer Wandel im Libanon. Unser endgültiges Ziel sollte ein Friedensabkommen zwischen Israel und dem Libanon sein. Und ich glaube, die jüngste Eskalation dient diesem Ziel.“
Vorerst setzten Israel und die Hisbollah ihre gegenseitigen Angriffe jedoch fort. Die israelische Luftwaffe ging erneut in den Vororten der libanesischen Hauptstadt Beirut vor. Auf Videos in sozialen Medien war zu sehen, wie ganze Gebäude infolge der Lufteinschläge zusammenbrachen. Augenzeugen berichteten, dass die Explosionen in ganz Beirut zu hören waren. Zuvor hatte ein Armeesprecher mehrere Evakuierungsaufrufe an die Bewohner gerichtet. Auch in anderen Teilen des Landes griff die israelische Armee weiter an.
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