Die Nachrichten aus Nahost sind trist dieser Tage – und das ist noch zurückhaltend formuliert: Israel – regiert von einer Regierung, in der rechtsextreme Politiker wichtige Positionen besetzen – ist tief gespalten in eine Mehrheit, die die Justizreform ablehnt und autokratische Bestrebungen im Kabinett anprangert, sowie eine Minderheit, die sie fordert. Gleichzeitig verharmlost der greise palästinensische Präsident Mahmud Abbas erneut die Shoah mit offen antisemitischen Äußerungen. In dieser Situation wirkt die Erinnerung an die Aufbruchstimmung, welche die Unterzeichnung der Osloer Verträge am 13. September 1993 als Meilenstein für den israelisch-palästinensischen Friedensprozess auslöste, fern und unwirklich.
Nichts ist geblieben von der Euphorie, die vor 30 Jahren die Hoffnung nährte, dass der blutige Konflikt, der bereits viele Tausend Menschen das Leben gekostet hatte, beendet werden könnte. Die Bilder vom Handschlag der einstigen Todesfeinde Izchak Rabin und Jassir Arafat anlässlich der Vertragsunterzeichnung im Rosengarten des Weißen Hauses in Washington gingen um die Welt. Der israelische Ministerpräsident, der Vorsitzende der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO und auch der israelische Außenminister Shimon Peres wurden 1994 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet – die Sehnsucht nach Frieden erfüllte sich allerdings nicht.
Am Anfang standen heimliche Gespräche israelischer und palästinensischer Wissenschaftler
Bevor die Erklärung über eine „vorübergehende Selbstverwaltung“ der Palästinenser – dies war der Kern des Abkommens – besiegelt wurde, gab es monatelange Gespräche hinter den Kulissen. „Am Anfang des Prozesses standen heimliche Treffen von palästinensischen und israelischen Wissenschaftlern. Das durfte man damals eigentlich gar nicht. Später haben diese Leute dann Staatssekretäre über diese Gespräche informiert. So ist die Politik auf den Zug aufgesprungen. Nach einigem Zögern haben auch die USA unter Präsident Bill Clinton die Verhandlungen protegiert“, schilderte der Nahost-Experte Peter Lintl von der Stiftung Politik und Wissenschaft (SWP) die Vorgeschichte des Abkommens im Gespräch mit unserer Redaktion.
Das sei das erste Mal gewesen, dass beide Seiten die grundsätzliche Legitimität des Gegenübers eingeräumt hätten. Die PLO habe Israel anerkannt, Israel die PLO als Vertreterin der palästinensischen Nationalbewegung. Lintl: „Das war der eigentliche Durchbruch von Oslo. In den 90ern ging es um Kompromisse. Das ist vorbei. Heute sind wir wieder in einer existenziellen Phase. Beide Seiten lehnen sich wechselseitig kategorisch ab.“
Umfragen Ende der 90er Jahre zeigten: Viele Israelis wollten auf die Palästinenser zugehen
Die Idee des Abkommens wurde zunächst insbesondere in Israel von der Bereitschaft großer Teile der Bevölkerung getragen, auf die Palästinenser zuzugehen. Peter Lintl erinnert an Umfragen in Israel gegen Ende der 90er Jahre: „Da ging eine deutliche Mehrheit nicht nur davon aus, dass es einen palästinensischen Staat geben wird, sondern dass die Menschen auch ein moralisches Recht auf einen unabhängigen Staat haben.“
Für die Palästinenser und ihre Unterstützer in der Region hatte sich die Situation mit dem Ende der Sowjetunion grundlegend verändert. Ohne Waffen und logistische Unterstützung durch Moskau tendierten die Chancen der arabischen Staaten, Israel militärisch zu besiegen, gegen null. Auch dies ein Aspekt, der Arafat an den Verhandlungstisch gebracht haben dürfte. Bis heute wird spekuliert, ob der charismatische Palästinenserführer tatsächlich Frieden wollte oder darauf hoffte, durch eine Phase ohne Gewalt wieder Kräfte zu sammeln, um am Ende doch wieder die militärische Karte zu spielen.
Ein schwerer Rückschlag für die Hoffnung auf Frieden war der Mord an Rabin im Jahr 1995, der von einem israelischen Rechtsradikalen erschossen wurde. In den Jahren danach erschütterten immer wieder Terroranschläge durch palästinensische Gruppen Israel. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Iran dabei seine Finger im Spiel hatte. Auch die zweite palästinensische Intifada führte ab dem Jahr 2000 dazu, dass sich die früheren Verhandlungspartner weiter voneinander entfernten. Die forcierte Ansiedlung von Israelis im Westjordanland tat ein Übriges. Das Gros der Palästinenser glaubt nicht mehr daran, dass sich das Versprechen von 1993 nach einer schrittweisen Selbstverwaltung erfüllt und am Horizont ein eigener Staat wartet.
Was bleibt, ist eine große Ratlosigkeit
Was bleibt, ist eine große Ratlosigkeit, ja zum Teil ein gewisses Desinteresse, das auch darin begründet ist, dass viele Politiker des Westens eine Lösung des Konflikts schlicht für unmöglich halten. „Die Zwei-Staaten-Lösung ist für viele Politiker eine Metapher. Sie halten daran fest, weil andere Ansätze noch unrealistischer erscheinen“, sagte Nahost-Experte Lintl. „Es gibt außerdem den Vorschlag, einen gemeinsamen israelisch-palästinensischen Einheitsstaat zu schaffen. Aber abgesehen von den politischen Widerständen gegen solche Ideen, das Durchschnittseinkommen eines Israelis ist 15-mal so hoch wie das eines Palästinensers. Das ist ein größeres Gefälle als zwischen Deutschland und Albanien. Wie soll das zusammenpassen?“
Der frühere israelische Botschafter in Berlin, Avi Primor, hält diesen Weg ebenfalls für illusorisch, wie er unserer Redaktion bereits im Jahr 2019 erklärte: Primor ging auf die Forderung des rechtsextremistischen Lagers in Israel ein, Teile oder das ganze Westjordanland, in dem heute zusammen mit Ostjerusalem bis zu 650.000 Israelis leben, zu annektieren. Doch dann würden in Israel insgesamt weit mehr als fünf Millionen Araber gut sieben Millionen Juden gegenüberstehen. Für Primor wäre das das Ende des jüdischen Staates. Seine Befürchtung: „Dann gibt es nur noch den Ausweg Apartheid mit weniger Rechten für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung.“
Auch Peter Lintl fällt es schwer, in der aktuellen Lage Zeichen der Zuversicht zu entdecken: „Man muss schon ein großer Optimist sein, wenn man glaubt, dass sich die Situation schnell verbessern kann. Es bleiben nur kleine Schritte und Gesten.“