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Nahost: Ein Premier unter Druck: Benjamin Netanjahu

Nahost

Ein Premier unter Druck: Benjamin Netanjahu

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    Benjamin Netanjahu (Mitte), Ministerpräsident von Israel, spricht während seines Besuchs im Kibbutz Be'eri und im Kibbutz Kfar Aza mit Soldaten.
    Benjamin Netanjahu (Mitte), Ministerpräsident von Israel, spricht während seines Besuchs im Kibbutz Be'eri und im Kibbutz Kfar Aza mit Soldaten. Foto: Avi Ohayon

    Welches Leid der palästinensische Terror anrichten kann, muss Benjamin Netanjahu niemand erklären. Im Juli 1976 starb sein Bruder Jonathan, als eine Spezialeinheit der Armee auf dem Flughafen in Entebbe in einer spektakulären Operation mehr als 100 überwiegend israelische Geiseln aus einem Flugzeug befreite, das palästinensische Terroristen und zwei deutschen Mitglieder der so genannten Revolutionären Zellen nach Uganda entführt hatten. Jonathan Netanjahu war der Anführer des Kommandos und der einzige israelische Soldat, der bei dem Einsatz sein Leben ließ. Seitdem wird er in Israel als Volksheld verehrt. 

    Es gibt mehrere Gründe, warum immer weniger Israelis zu Netanjahu halten

    Von seinem Bruder Benjamin, Spitzname Bibi, kann man das im Moment nicht behaupten. Zwar ist seine Likud-Partei nach wie vor die stärkste Kraft in der israelischen Politik, zwar hat Israel sich unter ihm wirtschaftlich glänzend entwickelt – der Nimbus des schier Unbesiegbaren aber war schon vor dem Angriff der Hamas dahin. 

    Ein Korruptionsverfahren, das kein Ende nehmen will, dazu der Streit um seine Justizreform, auf dessen Höhepunkt Tausende von Reservisten mit der Verweigerung des Militärdienstes drohten, und nun der Vorwurf, Regierung, Militär und Geheimdienste hätten die Gefahr, die aus Gaza drohte, unterschätzt und sogar noch Truppen von der Grenze zu Gaza ins Westjordanland verlegt: Nur noch 42 Prozent der Israelis halten in Umfragen weiter zu Netanjahu, der über nahezu zwei Jahrzehnte praktisch die einzige Konstante in der notorisch turbulenten israelischen Politik war. 

    Benjamin Netanjahu: "Diese Angriffe sind erst der Anfang"

    Dabei hatte er früh geahnt, was sich in Gaza zusammenbrauen würde. Als der damalige Ministerpräsident Ariel Sharon 2005 in der Hoffnung, Land gegen Frieden zu tauschen, alle israelischen Siedler aus dem Küstenstreifen holte, war sein Finanzminister Netanjahu einer seiner schärfsten Kritiker. Der Abzug sei unverantwortlich, warnte der, weil er Gaza in eine islamistische Terrorbasis verwandeln würde. 

    Ein von Netanjahu vorgeschlagenes Referendum allerdings lehnte das Parlament ab, worauf er als Minister zurücktrat und zum Gesicht einer neuen, härteren Politik gegenüber den Palästinensern wurde. Heute sagt er, die gegenwärtigen Angriffe auf Gaza seien „erst der Anfang.“ Israel werde die Hamas zerstören. Im Internet hat er sogar schockierende Fotos von getöteten Babys veröffentlichen lassen – um der Welt zu zeigen, wie grausam die Terroristen vorgegangen sind. 

    Wie Benjamin Netanjahu Premierminister wurde - und blieb

    Obwohl er selbst ebenfalls in einer Antiterroreinheit gedient und als junger Soldat an zwei Kriegen teilgenommen hatte, war der Tod seines Bruders eine Zäsur im Leben des Benjamin Netanjahu. Er gründete ein nach Jonathan benanntes Institut zur Erforschung des Terrorismus, organisierte Konferenzen zum gleichen Thema und begann, sich in der Politik zu engagieren. 1996 wurde er zum ersten Mal Premier, blieb es aber nur für drei Jahre, ehe ihm 1999 ein Comeback gelang. 

    Viermal wurde der Sohn eines Geschichtsprofessors, der in den USA Architektur und Politik studiert hatte, seitdem im Amt bestätigt und nach einer kurzen Zeit der Opposition im Dezember vergangenen Jahres auch noch ein fünftes Mal – allerdings um den Preis, seine ohnehin schon stramm konservative Koalition noch um eine rechtsreligiöse, wenn nicht gar rechtsextreme Partei erweitern zu müssen. 

    Er hat auch in der arabischen Welt Verbündete

    Am Samstag besuchte Netanjahu den Kibbuz Kfar Aza, den Schauplatz eines der blutigsten Massaker. Nach israelischen Medienberichten soll er die Soldaten dort auch schon gefragt haben, ob sie bereit seien für die „nächste Stufe“ – den Einmarsch nach Gaza. Tags darauf traf er sich mit Angehörigen der entführten Geiseln, die der israelischen Regierung vorwerfen, die Gefangenen im Stich zu lassen, und teilweise auch Netanjahus Rücktritt fordern. 

    Der Ministerpräsident allerdings mag in der Sache ein Hardliner sein – unüberlegt und ohne Abstimmung mit befreundeten Regierungen handelt er nicht. Wohl wissend, wie schnell die Stimmung sich wieder gegen Israel wenden kann, hat er zumindest versucht, unschuldigen Zivilisten in Gaza einen Weg in halbwegs sicheres Terrain zu weisen. Er hat bisher der Versuchung widerstanden, den Iran mit einem gezielten Schlag gegen dessen Raketenprogramm zu treffen, und er hat mit Erfolg versucht, in der arabischen Welt neue Verbündete zu finden – die Emirate, Marokko, Bahrain, den Sudan auch. 

    Laut Netanjahu steht die Existenz Israels auf dem Spiel

    An eine Zweistaatenlösung mit einem israelischen und einem palästinensischen Staat glaubt der 73-jährige Netanjahu nicht mehr. So kündigte er bereits im Wahlkampf 2019 an, Teile des Westjordanlandes annektieren und keine einzige jüdische Siedlung mehr räumen zu wollen. Im Moment allerdings hat der Premier andere Sorgen. Israel führe, sagt er, einen Krieg, in dem es um nicht weniger gehe als seine Existenz. 

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