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Nachtragshaushalt 2021: Wie geht es nach dem Urteil des Verfassungsgerichts weiter?

Nachtragshaushalt 2021

Wie geht es nach dem Urteil des Verfassungsgerichts weiter?

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    Das Bundesverfassungsgericht verkündet sein Urteil in Sachen Nachtragshaushaltsgesetz 2021.
    Das Bundesverfassungsgericht verkündet sein Urteil in Sachen Nachtragshaushaltsgesetz 2021. Foto: Uli Deck, dpa

    Das Bundesverfassungsgericht hat der Ampelkoalition eine schwere Niederlage beigebracht. Drei Worte aus dem Munde von Gerichtsvizepräsidentin Doris König sind es, die dem Regierungsbündnis aus SPD, Grünen und FDP tief ins Fleisch schneiden. „Unvereinbar und nichtig“ lauten sie und meinen nicht weniger als die Verfassungswidrigkeit der kreativen Buchführung bei den Staatsfinanzen. Es ist die zweite juristische Klatsche für das Regierungsbündnis binnen weniger Monate. Die höchsten deutschen Richter hatten im Sommer das Durchpeitschen des Heizungsgesetzes gestoppt. Karlsruhe legt mit seinem Urteil vom Mittwoch die Schuldenbremse des Grundgesetzes eng aus. In Notlagen darf der Staat zwar auch weiterhin Schulden machen, muss es aber adäquat begründen und die Mittel zweckmäßig einsetzen. Das Gericht bindet damit auch künftige Regierungen an den Grundsatz der Sparsamkeit.

    Nachtragshaushalt 2021: Worum ging es bei dem Fall genau?

    Die Ampelkoalition hatte nicht genutzte Kreditermächtigungen aus den Corona-Nothilfen im Volumen von 60 Milliarden Euro umgewidmet und in den Schattenhaushalt Klima- und Transformationsfonds (KTF) verschoben. Das geschah über den Nachtragshaushalt 2021. Aus den Kreditermächtigungen sollten über die folgenden Jahre echte Kredite werden und damit zum Beispiel die Förderung von Wärmepumpen und die Ökostromumlage bezahlt werden. Gegen den Buchungstrick hatten CDU und CSU geklagt und recht bekommen. Die Haushaltsprinzipien gelten laut dem Verfassungsgericht aber auch in Notzeiten. Nach Einschätzung der Richter ist nicht zulässig, Notfall-Kreditermächtigungen aus dem Kampf gegen eine Pandemie einfach umzuwidmen und über die nächsten Jahre für den Klimaschutz einzusetzen.

    Wie begründen die Richter ihre Entscheidung in Karlsruhe?

    Das Gericht stützt sein Urteil auf drei Argumente. Erstens bemängelt es, dass die Ampelkoalition nicht ausreichend begründet habe, wofür die Sonderkredite von 60 Milliarden Euro eingesetzt werden. Im feinsten Juristendeutsch wird der fehlende „Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen“ beklagt. Das heißt, es ist SPD, Grünen und FDP nicht überzeugend gelungen, darzulegen, warum Corona-Hilfen plötzlich für den Kampf gegen die Erderwärmung verwendet werden.

    Zweitens widerspricht das vorsorgliche Aufladen der Fonds den Verfassungsgeboten der Jährlichkeit und Jährigkeit. Das heißt, dass Ausgaben und Einnahmen für jedes Jahr in einem Haushalt aufzustellen sind und im Regelfall im betreffenden Jahr wirksam werden müssen. Die Übertragung von Geldern auf folgende Jahre ist der Ausnahmefall. Drittens verstößt der Nachtragshaushalt 2021 gegen das Prinzip der Vorherigkeit. Es besagt, dass ein Haushalt vor Beginn des neuen Haushaltsjahres aufgestellt werden muss.

    Welche Konsequenzen hat das Urteil zum Nachtragshaushalt?

    Das Gericht legt sich eindeutig fest: „Die Entscheidung hat zur Folge, dass sich der Umfang des KTF um 60 Milliarden Euro reduziert. Soweit hierdurch bereits eingegangene Verpflichtungen nicht mehr bedient werden können, muss der Haushaltsgesetzgeber dies anderweitig kompensieren.“ Der Haushaltsgesetzgeber ist der Deutsche Bundestag. Das Urteil könnte für die Ampelparteien zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen. Am Donnerstag sollte mit der Bereinigungssitzung die Haushaltsaufstellung für 2024 enden. Das bisher erarbeitete Zahlenwerk ist nun in Teilen Makulatur. 

    „Dieses Jahr macht mich fertig“, schrieb ein Haushaltsreferent der SPD-Fraktion auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter). Für Bundesfinanzminister Christian Lindner heißt es nun, entweder Ausgaben zu kürzen oder Steuern zu erhöhen. Beides ist unpopulär und dürfte für neuen Zank in der Koalition sorgen. Denn Lindners FDP stellt sich strikt gegen höhere Steuern, während SPD und Grüne auf höheren Sozialleistungen und Ausgaben zum Klimaschutz bestehen. 

    Wie bewerten Ökonomen das Urteil?

    Die Reaktion der Wirtschaftswissenschaftler fällt unterschiedlich aus, je nachdem welcher Schule sie angehören. „Die Umgehung der Schuldenbremse wird dauerhaft erheblich erschwert. Das Urteil erzwingt jetzt, vieles auf den Prüfstand zu stellen“, meinte der Präsident des Münchner Ifo-Institutes, Clemens Fuest. Er plädierte dafür, die Schuldenbremse zu reformieren und neue Schulden auf Investitionen zu begrenzen. Dafür bräuchte es aber die Zusammenarbeit der Regierung mit der Union, weil für die Änderung des Grundgesetzes eine Zweidrittelmehrheit nötig ist. 

    Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, begrüßte das Urteil aus Karlsruhe, weil es Klarheit schaffe. „Die Umgehungen der Schuldenbremse nehmen immer absurdere Züge an“, erklärte Fratzscher. Er hält die Schuldenregel allerdings nicht mehr für zeitgemäß, weil sie Investitionen in Bildung, Klimaschutz und Infrastruktur verhindere. Um die nun entstehenden Löcher im Haushalt für 2024 zu stopfen, empfahl der Wirtschaftsprofessor der Ampelkoalition, die Schuldenbremse noch einmal auszusetzen und mehr Kredite aufzunehmen. Der Schritt birgt aber die Gefahr, dass das Verfassungsgericht einen zweiten Haushalt einkassiert. Der Ökonom Jens Südekum von der Uni Düsseldorf zeigte sich entsetzt: „Die Schuldenbremsen-Orthodoxie hat heute einen juristischen Kantersieg errungen, das muss man anerkennen.“

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