Gerade mal 15 Monate sind die Bilder alt. Da saß Jimmy Carter mit seiner Frau Rosalynn auf der Rückbank eines weinroten Oldtimer-Cabrios und wurde zur jährlichen Erdnuss-Parade durch seinen Heimatort Plains gefahren. Hinter dem Auto marschierten seine Kinder, Enkelkinder und Urenkel. Der damals 98-Jährige trug ein blaues T-Shirt und eine Baseballkappe. Auf seinem Gesicht lag ein mildes Lächeln. Die Passanten winkten und applaudierten.
Es war ein später Augenblick des Glücks. Kurz darauf verstarb nach 77 Ehejahren seine geliebte Frau. Bei der Beerdigung, die er liegend im Rollstuhl verfolgte, wirkte Carter schon kaum noch anwesend. Doch bei der Präsidentschaftswahl, so berichtete sein Sohn, wollte er unbedingt noch für Kamala Harris stimmen. Tatsächlich erlebte der fromme Baptist in diesem Oktober noch seinen 100. Geburtstag und nutzte die Möglichkeit zur Briefwahl. Die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus konnte er freilich nicht verhindern. Am Sonntag nun ist Carter in seinem Geburtsort gestorben.
Vielerorts in Amerika herrscht Trauer um den 39. Präsidenten, der so alt wurde wie kein anderer amerikanischer Staatschef. Denn so glücklos Jimmy Carters kurze Amtszeit war, so eindrucksvoll verliefen die anschließenden vier Lebensjahrzehnte, in denen der einstmals verlachte Sohn eines Erdnussfarmers aus Georgia als bescheidener Menschenfreund regelrechten Kultstatus errang.
Als Präsident enttäuschte Jimmy Carter viele Erwartungen
Carters Aufstieg begann, nachdem seine Karriere vorbei war. Im November 1980 war der Demokrat nach nur einer Amtsperiode vom republikanischen Herausforderer Ronald Reagan krachend aus dem Weißen Haus vertrieben worden. Dabei hatte er das Amt vier Jahre zuvor mit beachtlichen Zustimmungswerten von 66 Prozent angetreten. Carter galt als ernsthafter, ehrlicher und wohlmeinender Südstaatler, der nach dem von der Watergate-Affäre überschatteten Sumpf der Nixon- und Ford-Jahre eine moralische Wende in Washington einleiten würde.
Tatsächlich begnadigte Carter schon an seinem zweiten Tag im Weißen Haus alle jungen Amerikaner, die sich der Einberufung in den Vietnamkrieg entzogen hatten. Angesichts der Ölkrise propagierte er eine aus heutiger Sicht weitsichtige Energiewende, ließ Solarpanelen auf dem Weißen Haus anbringen, um das Wasser zu erhitzen und rief seine Landsleute demonstrativ im Wollpullover dazu auf, die Heizungen herunterzudrehen.
Woran Jimmy Carters politische Karriere im Weißen Haus scheiterte
Aber mit seinen eher provinziellen Beratern und seinem moralischen Rigorismus eckte der christliche Prediger schnell in der Hauptstadt an, wo er sich weigerte, „Deals“ mit dem Kongress zu machen und Abgeordnete teilweise verbal beleidigte. Die hohe Arbeitslosigkeit, die Inflation und die katastrophal gescheiterte Befreiungsaktion der Geiseln in der amerikanischen Botschaft in Teheran besiegelten sein politisches Schicksal. Carter erschien als Schwächling, den Ronald Reagan in einem TV-Wahlduell mit dem Slogan „There you go again“ der Lächerlichkeit preisgeben konnte.
Nach seiner Abwahl suchte Carter keine gut bezahlten Berater- oder Vortragsjobs, mit denen seine Nachfolger Bill Clinton und Barack Obama zweistellige Millionenbeträge verdienen sollten. Stattdessen ging der damals 56-Jährige zurück in seinen Geburtsort Plains, ein 700-Seelen-Kaff mit einer Armutsquote von damals 40 Prozent im Südwesten von Georgia, um sich um die von seinem Vater geerbte, hoch verschuldete Erdnussfarm zu kümmern. Dort lebte er fortan bis zu deren Ende mit seiner Frau in einem kleinen Farmhaus, das mit 170.000 Dollar weniger wert war als die gepanzerten Fahrzeuge des Secret Service, der Carter draußen auf der Straße bewachte.
Zwei Reporter der Washington Post hatten ihn 2018 in Plains besucht. Sie berichteten von einer anrührenden Routine des Ehepaars: Carters Bibelexegesen an jedem Sonntagmorgen in der Maranatha Baptist Church waren legendär. Samstagabends aber trafen sich die Carters regelmäßig mit befreundeten Nachbarn. Zu dem bescheidenen Essen gab es Eiswasser aus Plastikbechern und ein Glas Billig-Chardonnay. Anschließend spazierten der damals 94-Jährige und seine drei Jahre jüngere Frau Hand in Hand über die Straße nach Hause.
Was Jimmy Carter als Polit-Rentner so beliebt machte
„Ich hatte nie Ambitionen, reich zu sein“, sagte Carter dem Blatt. Der Ex-Präsident lebte von seiner Pension und den Tantiemen aus seinen 33 Büchern, die sich freilich nicht übermäßig verkauft haben sollen. Seine Lebensmittel kaufte er bei der Billig-Supermarktkette Dollar General. Zu Terminen flog er stets Linie. Manchmal begrüßte er mit einem freundlichen Lächeln andere Passagiere in der Economy-Klasse.
Bei seinen öffentlichen Auftritten sprach der Ex-Präsident viel über Humanität, Frieden und Moral – und über Gott. Ein Jahr nach dem Ausscheiden aus dem Amt hatte er 1982 das Carter Center gegründet, das sich weltweit für Menschenrechte einsetzt und überdies gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation eine Kampagne gegen die vernachlässigte tropische Medinawurm-Krankheit finanziert, die durch kontaminiertes Trinkwasser übertragen wird. Außerdem engagierte sich Carter gemeinsam mit seiner Frau ehrenamtlich bei der Organisation Habitat for Humanity für die Errichtung bezahlbarer Häuser für einkommensschwache Familien.
Mit der ersten Wahl von Donald Trump zum Präsidenten geriet der Good old Southern Gentleman Carter vor acht Jahren als Antipode wieder ins öffentliche Scheinwerferlicht. Anfangs hatte sich Carter, der 2002 für sein Engagement im Nahen Osten den Friedensnobelpreis erhalten hatte, mit öffentlicher Kritik an seinem notorisch lügenden Nach-Nachfolger zurückgehalten. Umso schärfer klang 2018 sein Verdikt beim Late-Night-Talker Stephen Colbert. „Waren Sie zu nett als Präsident?“, wollte der von seinem Gast wissen: „Will Amerika lieber einen Idioten?“ Carters Antwort war direkt und ungeschminkt: „Offensichtlich.“ Vier Jahre später meldete er sich anlässlich des Jahrestages des Kapitolsturms mit einem Namensbeitrag in der New York Times zu Wort. „Unsere große Nation steht am Rande eines Abgrunds“, warnte Carter eindringlich. Es drohe nichts weniger als „der Verlust unserer kostbaren Demokratie“.
So war Jimmy Carters Lebensabend – und seine Haltung zu Donald Trump
So hellsichtig der alte Mann mit weit über 90 Jahren noch war – die Gesundheit forderte ihren Tribut. Schon 2015 war bei dem Ex-Präsidenten ein Melanom festgestellt worden, das auf die Leber und das Gehirn ausstrahlte. Zäh und mit demonstrativem Optimismus nahm Carter den Kampf mit dem Krebs auf. Bei einem Sturz 2019 brach er sich die Hüfte, nach einem weiteren Unfall musste er mit 14 Stichen über dem linken Auge genäht werden. Wenige Wochen später nahm er eisern seine sonntäglichen Bibelstunden wieder auf.
„Ich habe Gott nicht darum gebeten, mich am Leben zu lassen“, hatte Carter nach seiner Krebs-Diagnose gesagt und hinzugefügt, er sei „mit dem Tod ganz und gar im Reinen“. Im Februar 2023 dann teilte die Carter-Stiftung mit, dass der Ex-Präsident nach mehreren Krankenhausaufenthalten die medizinische Behandlung abgebrochen und sich in häusliche Hospizpflege begeben habe, wo er nun starb.
Noch am Sonntagabend trat der amtierende Präsident Joe Biden vor die Kameras, um seinen Vorgänger zu würdigen. Carter sei ein „Mann mit großem Charakter und Mut, Hoffnung und Optimismus“ gewesen, hatte Biden schon in einer ersten schriftlichen Erklärung hervorgehoben. Nun nannte er ihn ein „Modell für ein Leben mit Sinn und Bedeutung“. Der Verstorbene sei keineswegs das Überbleibsel einer vergangenen Zeit, insistierte Biden: „Er ist ein Mann für alle Zeiten. Es würde uns allen gut tun, ein bisschen mehr wie Jimmy Carter zu sein.“ Auf die Frage, was der kommende Präsident Trump von Carter lernen könne, antwortete Biden: „Anstand, Anstand, Anstand.“
Tatsächlich hatte Trump in der Vergangenheit Carter immer wieder mit beleidigenden Äußerungen bedacht. In einem Post auf seiner Plattform „Truth Social“ bemühte sich der kommende Präsident nun um ein paar freundlichere Worte: „Obwohl ich philosophisch und politisch ganz anderer Meinung als er bin, erkenne ich an, dass er unser Land wirklich liebte und respektierte“, schrieb Trump. „Er war ein wirklich guter Mann und wird natürlich sehr vermisst werden.“
Mir ist schon klar, dass Jimmy Carter für Europa das klassische Vorbild ist, wie ein US Präsident nach den derzeitigen Wertevorstellungen sein sollte. Nur nahezu alle Präsidenten der USA seit 1945 entsprechen nicht diesem Bild. Eine Weltmacht wie die USA läßt sich so auf Dauer nicht regieren und die Stellung in der Welt behaupten.
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