Ja, ja, da ist die Geschichte mit dem Wort „Scheiße“, das Horst Schimanski als Erster gebraucht haben soll. Was beim Start um 1981 das Bürgertum erschüttert haben soll. Vorschlag: Wen das noch stört, sollte sich einen x-beliebigen „Tatort“ aus Nordrhein-Westfalen oder dem Nordosten der Republik anschauen. Da gibt es inzwischen noch ganz andere Wörter.
So ändern sich die Zeiten, und wir uns mit ihnen. Horst Schimanski aus Duisburg war zehn Jahre lang als „Tatort“-Kommissar in Duisburg so populär, dass die Reihe ab 1997 unter dem schlichten Titel „Schimanski“ fortgesetzt wurde.
Großartig, als er einmal einen Typen, der über die Polen stänkerte, darauf hinwies, dass es ohne die polnischen Zuwanderer ein Duisburg wohl nicht gäbe.
Ob der Macho „Schimmi“ mit Schmuddelparka und Schnurrbart noch heute so funktionieren würde, ist fraglich. Wahrscheinlich hätte er als Sturkopf seine Probleme mit den alleinerziehenden und schlecht geschminkten Hauptkommissarinnen. Vor allem auch noch, wenn sie zicken. Zynismus und Aufmucken – das hätte er von seinem Kollegen Thanner nicht gekannt, der übrigens die 18 Mal „Scheiße“ mitgezählt hat in den Folgen.
Götz George hielt nichts von der busselnden Schauspieler-Schickeria
Schade, so reizvoll dieser Sonntagabend-Test zu Georges Glanzzeit hätte sein können – der Vorhang hat sich nun sowieso geschlossen. Götz George, der nicht viel vom Glamour der sich busselnden Schauspieler-Schickeria hielt, ist tot. Bereits am 19. Juni war der Schauspieler mit knapp 78 Jahren nach kurzer Krankheit von der Öffentlichkeit unbemerkt gestorben. „Götz hat sich eine Verabschiedung im engsten Kreis gewünscht, hieß es in einer späten Mitteilung seiner Agentin. Er sei, so die Bild-Zeitung, in Hamburg im Kreis der Familie beigesetzt worden.
„Ich gehöre nicht in die heutige Zeit, ich will mich da auch gar nicht mehr einklinken“, hatte Götz George wenige Monate nach seinem 75. Geburtstag gesagt. Da ist was dran. Irgendwann stand er, wie der heute noch aktive Mario Adorf, über den Dingen. Oder korrigierte Vorurteile über ältere Menschen.
Götz George einer der größten Charakterdarsteller des Nachkriegsfilms
Wer ihn über Jahrzehnte beobachtet hat, musste fasziniert sein von Georges Wandlungsfähigkeit, die er sich im Lauf seines Lebens erworben hat. Denn selten merkt man einem Jungspund, der in „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ seine erste Filmrolle spielte, an, wozu er fähig ist. Und das war einiges. Man darf sagen: Mit Götz George hat die deutsche Film- und Fernsehwelt einen der größten Charakterdarsteller des Nachkriegsfilms verloren. Aber wer soll nachkommen?
Was wohl auch mit seinen Eltern zu tun hatte. Vater Heinrich George, einer der berühmtesten Schauspieler im Kino der Nationalsozialisten, konnte ein kraftvoller Polterer sein, so wie auch sein Sohn Götz in späteren Jahren. Mutter Berta Drews war am Theater erfolgreich.
Wie hat sich Götz George geplagt, als er 2013 in dem TV-Dokudrama „George“ der ARD die übermächtige Figur des umstrittenen Vaters spielte. Ohne die Verflechtungen des Heinrich George in das System des Dritten Reiches zu beschönigen, fand er einen sensiblen Zugang zu dem Vater, der 1946 in sowjetischer Lagerhaft mit 52 Jahren verstorben war. Manchen Kritikern war dies jedoch zu unkritisch.
Viele Jahre später: Das Fernsehpublikum ist hartnäckig, es nimmt Veränderungen im Gesicht von Schauspielern und engagierte Rollen oft zu spät wahr. Weil da ja mal der Schimmi war.
„Ich war es leid, dass die Leute immer Schimmi zu mir sagen“, sagte der Schauspieler: „Ich bin Götz George.“
Der durfte der gebürtige Berliner in jungen Jahren nur sein, weil er gerne als sportlicher Liebhaber und Sonnyboy verkauft wurde. Noch heute freut sich der Karin-Dor-Fan, dass der jungenhafte George die Schönheit in Nöten im Karl-May-Film „Der Schatz im Silbersee“ beschützte. Und auch seine Rolle in „Winnetou und das Halbblut Apanatschi“ an der Seite von Uschi Glas ist unvergessen. Diese Filme wie verschiedene Bühnenrollen bescherten dem bis 1976 mit der Schauspielkollegin Loni von Friedl verheirateten Jungstar viele Teenager-Fans.
Die Bühne, praktisch Mutterboden aller Schauspielkunst, hatte er trotz filmischen Trallalas dennoch schon genetisch im Blut. Er spielte unter anderem Martin Luther und den französischen Revolutionär Danton. 1990 ging er mit Tschechows „Platonow“ zum letzten Mal auf Theatertournee. Ehrenwert, aber populärmythologisch ohne Nährwert. Erst in den 90er Jahren merkten Publikum und Kritik, was Deutschland an George hat. Bundesfilmpreise und andere Auszeichnungen waren der Lohn für brillante Leistungen.
George konnte auch Komödie
Denn George konnte auch Komödie: Etwa in der Hitlerbuch-Satire „Schtonk!“ oder in der Society-Komödie „Rossini“, beide von Helmut Dietl inszeniert. In „Der Totmacher“ von Romuald Karmakar ließ er den Emotionen eines Triebtäters freien Lauf. Als der historische Massenmörder Haarmann entblößte er seine kranke Seele, mit einem Blick, der abseits seiner schrecklichen Erläuterungen ein Lächeln zulässt, das einen schaudern macht.
Dieses Lächeln eines Unwissenden ob seiner Krankheit zeigt George auch in dem zu Unrecht vergessenen, preisgekrönten TV-Film „Mein Vater“, in dem ein an Alzheimer erkrankter Busfahrer (George) sich brillante Szenen mit seinem Sohn, gespielt von „Tatort“-Kommissar Klaus J. Behrendt, liefert. Kritiker bemängelten allerdings, dass Götz George bei gesellschaftlichen Außenseitern gerne mit Manierismen in seinem Gesicht spielte. In dem TV-Zweiteiler „Deckname Luna“, der teilweise in einem Augsburger Friseursalon gedreht wurde, spielte George einen Professor zur Zeit des Kalten Kriegs.
Wenn einer wie er seinen Beruf ernst nimmt, hätte er „Wetten, dass..?“ nicht besuchen sollen. Der sensible George wollte 1998 zusammen mit Corinna Harfouch den Film „Solo für Klarinette“ vorstellen. Aber mit seinem Schimpf „Komm auf den Film zu sprechen – der ist mir wichtiger als das, was du redest“ verscherzte er sich die Gunst der Zuschauer, die Moderator Thomas Gottschalk zujubelten, der irgendwas von der Aufgabe der Unterhaltung faselte.
Schauspielerische Meriten sind das eine, der Kult das andere. Wollen Mann und Frau nicht das Mannsbild sich ins Gedächtnis rufen, mit einem Schimmi, der die Eier roh aus dem Glas säuft, Fenster zertrümmert und auf Lastwagen springt? So viel Physis gab es im „Tatort“ vorher noch nie. Erst recht, wenn man an seinen drögen Vorgänger Hansjörg Felmy zurückdenkt.
Dem Zeitgeist hatte der archaisch funktionierende Schauspieler schon lange den Rücken gekehrt. Er war so gesehen einer der letzten Analogen in seinem Beruf. Für Glamour-Partys hatte er keinen Sinn. Lange wusste er nicht, wie ein Handy funktioniert.
Vor einigen Jahren hatte sich Götz George mit seiner langjährigen Lebensgefährtin und späteren Ehefrau Marika Ullrich nach Sardinien zurückgezogen. Meerspaziergänge, Strand. An eine Operation am offenen Herzen im Jahr 2007 erinnerte er sich vor gut zwei Jahren „mit Gelassenheit“. Es gibt Bilder, die ihn am Strand laufend zeigen. Da war er durchaus kein Schimmi, sondern bloß ein Götz.