Wohin steuert unser Planet? Um die ganz großen globalen Fragen geht es in der kommenden Woche bei den Vereinten Nationen (UN) in New York. Vor dem Start der UN-Generalversammlung und des Nachhaltigkeitsgipfels warnt Gerd Müller, Generaldirektor der UN-Industrieagentur und früherer deutscher Entwicklungsminister, dass die Welt-Nachhaltigkeitsziele nach heutigem Stand deutlich verfehlt werden. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagte er: "Wir haben Halbzeit bei der Erreichung der globalen Ziele bis 2030. Aber die Fortschritte sind viel zu langsam. In einigen Fällen – wie beim Kampf gegen den Hunger – ist der Trend sogar negativ." Seit der Coronapandemie haben Müller zufolge weitere 150 Millionen Menschen nicht genug zu essen. Weltweit hungere damit jeder zehnte Mensch.
Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung hatten die Vereinten Nationen 2016 beschlossen, um weltweit ökonomischen, sozialen und ökologischen Fortschritt zu gewährleisten. Sie gelten für alle Staaten und sollen bis 2030 erreicht werden. Müller mahnt: „Mit dem derzeitigen Tempo erreichen wir die globalen Ziele bis 2030 nicht ansatzweise. Die Staats- und Regierungschefs der Welt müssen jetzt den Schalter umlegen und entschlossen gegensteuern. Ansonsten drohten die globalen Ziele immer mehr an Bedeutung zu verlieren. "Das wäre fatal für Milliarden Menschen in den ärmeren Ländern“, sagte Müller.
Beim Klimaschutz auf schlechtem Weg
Auch beim Klimaschutz, dem 13. Nachhaltigkeitsziel, sieht er die Erde auf keinem guten Weg: "Weltweit nehmen die CO2-Emissionen nicht ab, sondern sie steigen." Der Hunger nach Energie wachse sogar immer schneller, werde bis 2050 voraussichtlich um 50 bis 70 Prozent höher liegen, als heute. Der Unido-Direktor ist überzeugt: "Wenn wir uns weiter primär auf nationale Lösungen konzentrieren, werden wir die Nachhaltigkeitsziele und die Pariser Klimaziele nie erreichen." Nötig sei nun ein globaler "Green Deal", ein grüner Grundsatzvertrag als Investitions- und Innovationsoffensive für eine globale Energiewende und nachhaltige Entwicklung.
Doch nur wenige Prozent der weltweiten Investitionen in erneuerbare Energien fließen Müller zufolge in arme Länder. Dabei sei "Energie die Grundlage für jegliche Entwicklung für Schule, Krankenhäuser, Landwirtschaft, Industrie und zugleich der Schlüssel für den globalen Klimaschutz". Die Entwicklungsländer erwarteten die Unterstützung der Länder, die den Klimawandel verursacht haben. Dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine neue Afrika-Strategie der EU angekündigt habe, begrüße er, dazu müssten aber auch die erforderlichen Investitionsmittel bereitgestellt werden. Auf dem Nachbarkontinent hätten 600 Millionen Menschen noch keinen Stromanschluss - mehr, als in der ganzen EU leben. Würden sie alle künftig fossilen Strom erhalten, sei kein Klimaziel erreichbar.
Müller mahnt Bundesregierung
Deutschland leiste zwar viel beim Klimaschutz, lobt Müller, fordert von der Bundesregierung aber "den gleichen Ehrgeiz auch für die globale Energiewende". Nicht nur die Menschen in Deutschland seien auf Unterstützung angewiesen, in anderen Regionen seien die Herausforderungen größer und die Folgen des Klimawandels härter. Im Mittelpunkt sollten Maßnahmen stehen, die den CO2-Ausstoß überall auf der Welt "so schnell wie möglich verringern". Müllers Rechnung: "Eine gleiche Investition in die Nutzung von Sonne, Wind und Geothermie und in den Schutz des Regenwaldes in Entwicklungsländern wie bei der Umstellung von fossilen Heizungen in Deutschland, spart ein Vielfaches an CO2 weltweit ein." Durch globalen Technologietransfer könnten so das Klima, die Entwicklungsländer und die heimische Wirtschaft profitieren.
Showdown in New York: Trifft Selenskyj auf Lawrow?
Rund 140 Staats- und Regierungschefs treffen sich ab Montag zur Generalversammlung und weiteren hochkarätigen Treffen der Vereinten Nationen, darunter dem Nachhaltigkeitsgipfel. Brisant wird es am Mittwoch, wenn der russische Angriffskrieg auf die Ukraine Thema ist. Dabei könnte es zum ersten Aufeinandertreffen hochrangiger Vertreter der Kriegsparteien seit Beginn der Invasion am 24. Februar 2022 kommen. Aus Moskau wird Außenminister Sergej Lawrow erwartet, aus Kiew kommt voraussichtlich Präsident Wolodymiyr Selenskyj.
Deutschland ist unter anderem durch Bundeskanzler Olaf Scholz und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (beide SPD) sowie Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vertreten. Für die Bundesrepublik steht das Treffen im Zeichen eines besonderen Jubiläums: Vor 50 Jahren, im September 1973, waren beide deutschen Staaten in die Vereinten Nationen aufgenommen worden.