Als Kaja Kallas mit ihrer kleinen goldenen Klingel erstmals die Außenminister auf ihre Plätze bat, wirkte sie fast etwas verlegen. Es war ihre Premiere als neue EU-Außenbeauftragte – und man darf davon ausgehen, dass die Estin ursprünglich eine andere Tagesordnung für diesen Montag aufgesetzt hatte.
Kallas war nicht nur mit dem Ziel angetreten, die starke außenpolitische Stimme Europas zu werden. Sie wollte vor allem der Ukraine im Kampf gegen Moskau den Rücken stärken und den Fokus noch mehr auf die Länder in der Nachbarschaft der Gemeinschaft legen, etwa auf Georgien.
Doch nach dem überraschenden Sturz des brutalen Regimes von Baschar al-Assad steht Syrien ganz oben auf der Agenda. Und nun bringt ihr Amt die Aufgabe mit sich, die Beziehungen zwischen Syrien und der EU neu zu definieren. Wie soll die Union mit den neuen Machthabern in Damaskus umgehen?
Ein deutscher Diplomat soll sondieren
Sie habe einen ranghohen europäischen Diplomaten beauftragt, in Syriens Hauptstadt zu reisen, „um Kontakte mit der neuen Regierung und den Verantwortlichen dort aufzunehmen“, teilte Kallas mit. Der deutsche Spitzendiplomat Michael Ohnmacht, der bereits seit September als Chef der EU-Syrien-Delegation fungiert, sollte noch am Montag in Damaskus eintreffen.
Für das Auswärtige Amt arbeitete der gebürtige Münchner zuvor unter anderem als Botschafter in Libyen sowie im Libanon und in Saudi-Arabien. Während Kallas bei ihren Äußerungen über Moskau sonst stets deutliche – für manche Diplomaten zu deutliche – Worte findet, präsentierte sie sich in Sachen Nahost zurückhaltender.
Syrien stehe „vor einer optimistischen, positiven, aber eher ungewissen Zukunft“, sagte Kallas, die vergangenen Samstag mit Vertretern arabischer Länder, der Türkei und aus den USA in Jordanien zusammengekommen war, um mögliche Wege zu einem friedlichen Übergang in Syrien zu besprechen.
Die Miliz gilt in der EU weiterhin als Terrorgruppe
Die EU könnte „kein Vakuum“ erlauben, so die ehemalige Premierministerin Estlands. Man wolle ein stabiles, friedliches Land mit einer alle Gruppen umfassenden Regierung. Derweil formulierte Luxemburgs Außenminister Xavier Bettel die Situation weniger diplomatisch: „Wir haben keine Ahnung, wie es weitergeht.”
Tatsächlich steht die Gemeinschaft vor einem Dilemma. Aktuell unterhält sie keinen Kontakt zur islamistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS), die die Offensive gegen Assad angeführt hatte und nun Mohammed al-Baschir zum Chef einer Übergangsregierung ernannte. Vielmehr führt die EU die HTS als Terrorgruppe, da sie als regionaler Ableger aus dem Terrornetzwerk Al Kaida hervorging.
Während sich die Miliz mittlerweile moderat präsentiert und sich von ihren Ursprüngen distanziert, plant die EU an ihren Sanktionen festzuhalten – noch. Für Diskussionen über eine Anpassung oder Abschaffung sei es viel zu früh, hieß es von mehreren Diplomaten. Und Bettel mahnte: „Man soll nicht vergessen: „Das sind frühere Terroristen, die sich von Al Kaida abgetrennt haben.“ Es seien „keine Engel“.
Die EU verhält sich zunächst abwartend
Während Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vor wenigen Tagen einen Plan vorgelegt hatte, der unter anderem die Aufhebung relevanter Strafmaßnahmen vorsieht, sagte Kallas, man müsse zunächst erörtern, „auf welcher Ebene wir mit der neuen syrischen Führung zusammenarbeiten und welche Schritte wir dann zu unternehmen bereit sind“. Es gehe „nicht nur um Worte“. Man wolle auch sehen, „dass die Taten in die richtige Richtung gehen“. Das würden erst die kommenden Wochen und Monate zeigen.
Die EU hatte 2011 die offiziellen Beziehungen zu Damaskus abgebrochen und mehrfach Sanktionen gegen das syrische Regime, ihm nahestehende Organisationen wie auch Wirtschaftszweige verhängt, als die gewaltsame Niederschlagung der Proteste gegen die Regierung al-Assad in einem brutalen Bürgerkrieg eskalierte, der Millionen von Menschen zur Flucht zwang.
2017 einigten sich die Mitgliedstaaten auf eine Syrien-Strategie, die letztlich auf einen politischen Übergang abzielte. Erst in diesem Sommer sorgte dann der Vorstoß einer Gruppe von EU-Ländern, angeführt von Italien und Österreich, für Aufregung. Sie hatten vorgeschlagen, die Beziehungen zur syrischen Regierung zu normalisieren, um die Abschiebung von Migranten zu erleichtern.
Doch in mehreren Mitgliedstaaten wie auch in der Kommission löste die Idee damals Widerstand aus. Im Nachhinein herrscht in Brüssel Erleichterung darüber, dass man auf die Forderungen nicht eingegangen ist. Hätte die Union wirklich den Kontakt zu al-Assad gesucht, wäre sie jetzt bei den neuen Machthabern diskreditiert.
Die liebe Frau Kallas ist wohl vom Syrien Umsturz kalt erwischt worden, wo sich doch ihr Repertoire in ihrer bisherigen Laufbahn im Wesentlichen auf die Gegnerschaft mit Russland konzentrierte. Jetzt müssen also Berufsdiplomaten um die Lage zu klären und nicht gewählte Nichtfachleute in Sachen Diplomatie. Aber es kann ihr durchaus passieren, dass ihr Trump ab Ende Jan 25 auch Mal richtig kräftig auf die Füsse tritt, wenn sie zu forsch wird.
„Wir haben keine Ahnung, wie es weitergeht“ => das kann seit Jahrzehnten als bevorzugte Handlungsdevise der EU gelten.
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