Bei aller Hektik in den turbulenten Tagen nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages ist eines zumindest sicher: Der parlamentarische Betrieb läuft reibungslos. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) bereite „die Einberufung des Deutschen Bundestages zur Wahl des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland“ für den 6. Mai vor, teilte die Parlamentspressestelle am Montag mit. Den designierten Kanzler Friedrich Merz dürfte es freuen, allerdings enthielt die Pressemitteilung noch ein Aber. All das geschehe „vorbehaltlich der Zustimmung der Parteien zum Koalitionsvertrag“. Nachdem die Jusos, die Nachwuchsorganisation der SPD, übers Wochenende Ablehnung signalisierten, ist das kein Selbstläufer mehr.
An diesem Dienstag beginnt das Votum der SPD über den Koalitionsvertrag. Mehr als 358.000 Mitglieder sind stimmberechtigt, die Befragung endet am 29. April um Mitternacht. Die Jungsozialisten stellen etwa ein Fünftel der Mitglieder, allein könnten sie den Koalitionsvertrag also nicht kippen, an dem sie in zentralen politischen Feldern wie Asyl, Migration und Arbeit die sozialdemokratische Handschrift vermissen. Äußerungen aus der SPD lassen jedoch den Schluss zu, dass ihre Kritik keine Einzelmeinung darstellt.
Schwer zu verschmerzen: Auch aus der SPD gibt es Kritik am Koalitionsvertrag
Felix Döring, Vorsitzender der SPD-Landesgruppe Hessen im Bundestag, sagte unserer Redaktion: „Der Koalitionsvertrag enthält an einigen Stellen, insbesondere im Bereich der Migration, Aspekte, die für mich schwer zu verschmerzen sind.“ In einer persönlichen Stellungnahme betonte Döring aber auch, dass es der SPD in anderen Bereichen gelungen sei, „Lösungen zu erarbeiten, die deutlich unsere sozialdemokratische Handschrift tragen.“ Er nannte als Beispiele den Industriestrompreis, das Tariftreuegesetz und die Regelungen zum Unterhaltsvorschuss.
Der Vorsitzende der SPD-Landesgruppe Baden-Württemberg, Martin Gerster, warb für den Koalitionsvertrag. „In Anbetracht des sehr schlechten Wahlergebnisses von 16,4 Prozent hat die SPD meiner Meinung nach ein sehr gutes Ergebnis bei den Koalitionsverhandlungen erzielt“, sagte er unserer Redaktion. Gleichzeitig räumte der Biberacher Bundestagsabgeordnete ein: „Es ist das gute Recht, beim Mitgliedervotum dagegen zu stimmen, sonst bräuchten wir ja auch keine Abstimmung durchzuführen.“
SPD Bayern stützt die Jusos: „Es ist quasi ihre Aufgabe, den Koalitionsvertrag zu kritisieren“
Für die SPD-Landesgruppe Bayern nahm die Co-Vorsitzende Carolin Wagner die Jusos in Schutz. „Es ist quasi ihre Aufgabe, den Koalitionsvertrag zu kritisieren“, erklärte Wagner auf Anfrage und schloss sich der Kritik in Teilen an: „Merz und Söder verkennen die Notwendigkeit, die Einnahmeseite zu stärken und Superreiche endlich höher zu besteuern. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander.“
In der Abwägung, so die Einschätzung in der Partei, dürften aber viele SPD-Mitglieder dem Koalitionsvertrag selbst dann zustimmen, wenn sie einzelne Teile davon ablehnen. Der Hesse Döring brachte es so auf den Punkt: „Die Bildung einer stabilen Regierung sehe ich als unsere staatspolitische Verantwortung, der wir gerecht werden müssen.“ Der Abgeordnete Gerster erklärte, eine Ablehnung „wäre fatal - für unsere Partei, aber auch für unser Land.“ Erst in zwei Wochen werden die Sozialdemokraten Klarheit haben. Bis dahin gilt: „Unter den Arbeitsgemeinschaften und Parteigliederungen gibt es die ganze Bandbreite an Rückmeldungen - von Lob über das Verhandlungsergebnis bis hin zur Ablehnung“, wie der Co-Vorsitzende der SPD-Landesgruppe Bayern, Carsten Träger, konstatierte.
CDU Berlin stellt sich quer und startet eine Online-Umfrage
Merz muss sich nicht nur auf Gegenwind aus der SPD einstellen. Die Bundes-CDU macht keine Befragung unter allen Mitgliedern, bei ihr stimmt am 28. April der Bundesausschuss, auch Kleiner Parteitag genannt, über den Koalitionsvertrag ab. Die Berliner CDU allerdings weicht davon ab, sie startete eine Online-Umfrage, an der sich bis Donnerstag alle ihrer rund 12.500 Mitglieder beteiligen können. Eine Ablehnung gilt als unwahrscheinlich. Gleichwohl sind kritische Stimmen zu erwarten. Die Christdemokraten beklagen beispielsweise die Vergabe des Finanzministeriums an die SPD. In der Großen Koalition unter Angela Merkel (CDU) hatte es bereits Proteststürme gegeben, nachdem dieses Schlüsselressort an die SPD und den damaligen Vizekanzler Olaf Scholz gegangen war.
Am Ende könnte zwar eine Mehrheit für den Koalitionsvertrag zustande kommen. Merz muss bei der Kanzlerwahl am 6. Mai aber damit rechnen, im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Abgeordnetenstimmen, also die sogenannte Kanzlermehrheit, zu verfehlen, weil ihm Abgeordnete aus den eigenen Reihen einen Denkzettel verpassen wollen. Es wäre - Vertrauensfragen und Misstrauensvoten ausgenommen - ein Novum in der Nachkriegsgeschichte.
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