Ende März 2024 hatte die GDL nach monatelangem Tarifstreit mit der Deutschen Bahn eine Einigung verkündet. Zuvor legten sechs Warnstreiks der Lokführer den Bahnverkehr bundesweit lahm. Die Folge waren erhebliche Auswirkungen für die Fahrgäste und ein wirtschaftlicher Schaden, den das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) pro Warnstreik auf schätzungsweise 100 Millionen Euro bezifferte. Die FDP fordert daher nun ein „Umdenken“ im Streikrecht im Bereich der kritischen Infrastruktur, wie aus einem aktuellen Positionspapier der Fraktion hervorgeht.
Bereits während der laufenden Tarifverhandlungen äußerte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gegenüber Bild am Sonntag harte Kritik an GDL-Chef Claus Weselsky. Dieser habe „das ganze Land monatelang in Geiselhaft genommen, ohne ernsthafte Bereitschaft zur Kompromissfindung erkennen zu lassen.“ Der volkswirtschaftliche Schaden für Deutschland sei dadurch enorm. „Wir brauchen umfassende Reformen beim Streikrecht im Bereich der kritischen Infrastruktur“, so der Abgeordnete weiter. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mahnte damals in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ): „Alle müssen ihre Verantwortung bedenken, auch die Tarifpartner.“
Nach GDL-Streiks: FDP fordert Umdenken bei Streikrecht für kritische Infrastruktur
Die FDP fordert in einem aktuellen Positionspapier nun Lehren aus den GDL-Streiks im Winter und Frühling zu ziehen: „Die Auswirkungen der Tarifauseinandersetzung zwischen der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) und der Deutschen Bahn sowie der Bestreikung weiterer Bereiche der kritischen Infrastruktur auf unbeteiligte Dritte und die Gesamtgesellschaft erfordern ein Umdenken“, heißt es darin. Demnach sollen neue Regeln für Warnstreiks von Angestellten der kritischen beziehungsweise sensiblen Infrastruktur gelten. Laut dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zählen hierzu etwa der Transport und Verkehr, der Gesundheitssektor oder auch Bereiche der Energie- und Wasserversorgung.
Die Autoren betonen in dem Papier, dass das im Grundgesetz verankerte Streikrecht nicht angetastet werden solle, die gesetzlichen Rahmenbedingungen jedoch neu formuliert werden müssten: „Ziel muss es sein, das Streikrecht zu wahren und im selben Schritt die Auswirkungen für die Bevölkerung zu minimieren“, so die Autoren. „Gerade die ausufernden Streiks bei der Bahn haben gezeigt, dass wir Rahmenbedingungen für Arbeitskämpfe im Bereich der kritischen Infrastruktur benötigen“, erklärt der Bundestagsabgeordnete Reinhard Houben, einer der Initiatoren des FDP-Papiers. Selbstverständlich müssten die Tarifparteien selbst Regelungen finden. „Wenn das nicht geschieht, dann soll das Gesetz Leitplanken bieten.“ Leitplanken, die nach dem Positionspapier wie folgt aussehen könnten:
- Für die „genaue Ausgestaltung des Schlichtungsablaufs“ soll eine „Schlichtungsvereinbarung“ vor Beginn der Verhandlungen verpflichtend sein. Falls sich die Tarifvertragsparteien nicht auf einen Schlichter oder ein Schlichterteam einigen, muss eine neutrale Instanz für die Ausarbeitung beauftragt werden.
- Zudem soll ein Notbetrieb von mindestens 50 Prozent einen Totalausfall verhindern.
- Die mindestens drei Tage zuvor angekündigten Warnstreiks sollen maximal vier Stunden dauern.
- Auf jeden Streik muss eine der Ankündigungsfrist entsprechende verbindliche Abkühlungsphase folgen.
Die FDP betont, die vorgeschlagenen Regeln für das Streikrecht im Bereich der kritischen Infrastruktur sollen vor allem die „Verhältnismäßigkeit“ wahren und Schaden von den Fahrgästen und der Wirtschaft abwenden. Gewerkschaften und Parteien reagierten jedoch mit teils heftiger Kritik.
Gewerkschaften kritisieren FDP-Vorstoß: „Aushebelung des Streikrechts für öffentlichen Dienst“
Die Bahn-Gewerkschaften äußerten sich ablehnend und mit teils heftiger Kritik zum Vorstoß der FDP. „Das ist faktisch die Aushebelung des Streikrechts für den kompletten öffentlichen Dienst“, soll etwa Verdi-Chef Frank Werneke laut dpa das Positionspapier der Liberalen kommentiert haben. Einen Streik mehrere Tage vorher anzukündigen, schwäche die Position der Gewerkschaften enorm, so der Gewerkschafts-Chef, der auch von der geforderten Maximaldauer von Warnstreiks nichts wissen will: „Vierstündige Warnstreiks sitzen bestreikte Betriebe auf einer halben Arschbacke aus“, sagt Werneke.
Auch der EVG-Vorsitzende Martin Burkert sparte nicht mit Kritik am Positionspapier der FDP. Auf der Seite der Gewerkschaft wird Burkert mit den Worten zitiert: „Welche Arbeitskampfmaßnahmen verhältnismäßig sind, hat in einer Demokratie nicht Christian Lindner zu entscheiden. Ich bin mir sicher, dass vielen Eisenbahnern solche Vorhaben Ansporn sind zu sagen: Jetzt erst recht.“ Die Streikzeiten gesetzlich zu begrenzen, sei ein Akt, den Beschäftigten ihre Durchsetzungsmacht zu nehmen und sie zu Bittstellern zu machen. Der Gewerkschafter wirft der FDP Arbeitgeber-Klientelpolitik auf Kosten der Arbeitnehmer vor: „Deutschland hat im europäischen Vergleich eine niedrige Streikquote. Diese Tradition der Sozialpartnerschaft darf durch eine solche politische Einmischung nicht gefährdet werden,“ erklärt der EVG-Vorsitzende.
SPD und Grüne: Auch Koalitionspartner lehnen FDP-Positionspapier ab
Doch nicht nur von den Gewerkschaften, ebenfalls aus der Politik folgte prompt Kritik an den Forderungen der FDP nach einer Verschärfung des Streikrechts. So lehnten laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung (SZ) SPD und Grüne, die beiden Koalitionspartner der FDP in der Ampel-Koalition, den Vorschlag mit Hinweis auf rechtliche Bedenken ab. Man könne das Streikrecht nicht gleichzeitig bewahren und einschränken, nach der Devise: „Nur so streiken, dass man den Streik nicht bemerkt“, zitiert etwa das Blatt den SPD-Abgeordneten Bernd Rützel. Die Welt sieht im Positionspapier der FDP zudem eine inhaltliche Nähe zur CDU, der Oppositionspartei im Bundestag. Der Wirtschaftsflügel der Christdemokraten, die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) hatte nämlich vor einigen Monaten einen fast identischen Plan eingebracht. Die Forderung der Liberalen sei daher nicht weniger als ein „Hebel zum Koalitionsbruch“.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden