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Münchener Sicherheitskonferenz: Selenskyj in München: "Wir müssen zusammenstehen!"

Münchener Sicherheitskonferenz

Selenskyj in München: "Wir müssen zusammenstehen!"

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    Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, fordert auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) erneut mehr Unterstützung für sein Land.
    Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, fordert auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) erneut mehr Unterstützung für sein Land. Foto: Felix Hörhager, dpa

    Es ist 1.01 Uhr am Samstagmorgen, als bekannt wird, dass die ukrainische Armee sich aus Awdijiwka zurückzieht. Die seit Monaten heftig umkämpfte Stadt an der Ostfront wird den Russen überlassen. Auf X schreibt der ukrainische Oberbefehlshaber: „Angesichts der operativen Lage um Awdijiwka habe ich beschlossen, unsere Einheiten aus der Stadt abzuziehen und auf günstigeren Linien in die Verteidigung zu gehen, um eine Einkreisung zu vermeiden und das Leben und die Gesundheit der Soldaten zu schützen“. Gut acht Stunden später, um 9.21 Uhr, Tag zwei der Münchener Sicherheitskonferenz, flackert unruhiges Blaulicht vor dem Bayerischen Hof. Der über der Altstadt und den Scharfschützen kreisende Hubschrauber hat schon angekündigt, was gleich passiert. Ein halbes Dutzend gepanzerter Limousinen fährt vor. Eine kurze Verzögerung noch, Sicherheitsleute in Tarnjacken checken ein letztes Mal die Lage, dann öffnet sich die Tür. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj steigt aus, verschwindet binnen Sekunden im Hotel und eilt in den Saal. 

    Drinnen, wo Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, US-Außenminister Antony Blinken, Bundeskanzler Olaf Scholz und viele weitere Staats- und Regierungschefs auf ihn warten, wird er mit stehenden Ovationen empfangen. Selenskyj, schwarzer Militärpullover, tiefe Augenringe, ist zum ersten Mal seit Kriegsbeginn wieder persönlich auf dem Treffen, im letzten Jahr wurde er zugeschaltet. Er steigt auf die Bühne und beginnt, zunächst auf Englisch, später auf Ukrainisch. 

    Selenskij: Rückzug aus Awdijiwka „professionelle Entscheidung“

    Es ist die Rede eines Mannes mit dem Mut und der Eloquenz eines Verzweifelten, allerdings weit entfernt davon die Waffen strecken zu wollen. Dass sich seine Truppen in Awdijiwka zurückziehen, sei – laut der offiziellen Übersetzung im Saal – eine „professionelle Entscheidung“ gewesen. „Russland hat damit aber nichts gewonnen.“ Auf einen toten ukrainischen Soldaten kämen im Krieg sieben tote Russen, behauptet er. 

    Selenskij mag immer wieder verzweifelt sein, weil sein Land seit 2014 von den Russen zerstört wird, weil dieser Krieg seit fast zwei Jahren um ein Vielfaches schlimmer geworden ist, weil viele tausende seiner Landsleute ihr Leben gelassen haben, weil ihm zunehmend Rekrutinnen und Rekruten fehlen, weil der Westen nicht genügend Munition liefert, weil zu wenig Waffensysteme für die Verteidigung des Luftraums zur Verfügung stehen, weil der US-Kongress die Milliardenhilfen weiter zurückhält, aber er bleibt kämpferisch. Er sagt: „Wenn die Ukraine allein dasteht, dann werden sie sehen, was passiert: Russland wird uns zerstören, das Baltikum zerstören, Polen zerstören – es ist dazu in der Lage.“ Er fordert, was er immer fordert, mehr Waffen, mit mehr Reichweite, mehr

    Die Ukraine schneller in die Nato? Selenskyj sagt: „Wir haben das verdient!“

    Er fordert, dass sein Land schneller in die Nato aufgenommen wird. Denn: „Wir haben das verdient!“ Und apropos. Natürlich richten sich seine Worte auch an Donald Trump. Der frühere und mögliche nächste US-Präsident hatte vor wenigen Tagen bei einem Wahlkampfauftritt sinngemäß gesagt, dass die USA nur die Nato-Länder schützen würden, die genügend für Verteidigung ausgeben. Mit dem Rest könne Russland machen, was es wolle. Trump hatte damit die Sicherheitsgarantie für die Europäer – und also auch die der Ukraine – zur Disposition gestellt. Und damit eine Debatte über die nukleare Ertüchtigung Europas ausgelöst. 

    Selenskyj wird dann gefragt, ob er den Ex-Präsidenten nach Kiew eingeladen habe. „Ja“, antwortet er. „Ich habe ihn eingeladen. Ob er kommt, hängt von ihm ab. Wenn er kommt, dann bin ich bereit, mit ihm an die Front zu reisen.“ Wenn man darüber im Dialog über das Ende dieses Krieges bleiben wolle, dann müsse man zeigen, „was der wirkliche Krieg“ bedeute – nicht der auf Instagram. Im Publikum, Selenskij weiß das, sitzen auch US-Abgeordnete der Republikaner. 

    Selenskyj: In Europa ist kein Land auf eine Invasion vorbereitet

    Der vom Schauspieler zum zähen Kriegspräsidenten gereifte Mann bedankt sich einmal mehr bei den westlichen Verbündeten für die erhaltene Unterstützung, er lobt die Sicherheitsabkommen, die zwischen Deutschland, Frankreich und der Ukraine am Freitag unterzeichnet wurden. Und er dankt für die gute Behandlung der Flüchtlinge aus seinem Land. „Wir hoffen, dass sie zurückkehren. Wir werden alles dafür tun.“ Zugleich aber warnt er: In Europa sei kein Land auf eine russische Invasion vorbereitet. Und natürlich mahnt er, dringlich: „Wir müssen als Team zusammenstehen.“ 

    Das tun sie, in diesem Moment. Der Applaus ist lang und laut, der ganze Saal erhebt sich, Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist als einer der Ersten bei ihm, es gibt Handschläge, Schulterklopfen, herzliche Worte. Diese Solidaritätsgesten sind Selenskyj sicher sehr willkommen, aber: Sie kosten nichts. Nicht nur an der Ostfront, bei Awdijiwka, an vielen Verteidigungslinien und in vielen Städten sterben in der Ukraine jeden Tag Menschen. Selenskij hat die Bühne Sicherheitskonferenz genutzt, um mit Worten für sein Land zu kämpfen. Wie es weitergeht, ob die Welt in eine bessere Ordnung kommt, liegt sehr wesentlich an denen, die er im Saal und im Tagungshotel zurücklässt. 

    Im Bayerischen Hof herrscht hektisches Treiben

    Dort herrscht schon seit Freitag fast immer hektisches Treiben und gedrängte Enge. Die deutschen Botschafter bei der Nato und in Russland stehen nebeneinander während nebenan UN-Generalsekretär António Guterres am Freitagnachmittag die Tagung eröffnet. Die Nachricht vom Tod Nawalnys, die den Ton am ersten Konferenztag setzt, ist kaum eine Stunde alt. Ein anderer Botschafter versucht in den Saal zu kommen, doch seine Zugangskarte verschafft ihm keinen Einlass, auf einmal drängt gleich eine ganze Schar Journalisten an ihm vorbei durch die Tür, die nun offen ist. Die Begleitpresse von Kamala Harris aus den USA hat Vorrang. „Das wird Ärger geben“, sagt der Diplomat. Johannes Hahn läuft durch den Saal, der EU-Budget-Kommissar aus Österreich, er hat gleich ein „Bilateral“, also ein Treffen unter 4 Augen, mit dem Regierungschef eines baltischen Landes.

    Im Saal legt John Kerry, der US-Klima-Verhandler, Guterres die Hand auf die Schulter, ansonsten ist es still, man wartet gespannt auf den Auftritt von Kamala Harris, der erwartete erste Höhepunkt der 60. Auflage dieses stets top-besetzten von der Weltöffentlichkeit beachteten Treffens. Der Blick auf die Amerikaner ist eines der wichtigsten Themen dieser Sicherheitskonferenz. Wie würden sie in München reagieren? Fast die ganze Rede von Harris ist eine Antwort auf Trump, eine Beschwörung der internationalen Rolle der USA, eine Beruhigung für die Europäer. Sie sagt: „Diese Allianz ist die größte, die die Welt je gesehen hat. Sie hat Kriege verhindert. Das alles zu riskieren, wäre dumm.“ Die Welt sei gefährlich und instabil, umso mehr brauche es die Führung der Supermacht – im eigenen strategischen Interesse.“ Es gelte: „Wer einen angreift, greift uns alle an.“ 

    Julia Nawalny hat am Freitag einen beeindruckenden einen bewegenden Auftritt

    Freitagnachmittag, kurz nach 15 Uhr betritt Julia Nawalny die Bühne, die Kamala Harris soeben verlassen hat. „Vielen Dank sagt sie“, als die anwesenden stehend applaudieren. „Ich hab ich mich gefragt, was hätte Alexei getan an meiner Stelle. Ich bin mir absolut sicher; er wäre hier geblieben. Er hätte zu Ihnen gesprochen.“ Es ist nur eine kurze Erklärung, jedes ihrer Worte sitzt. Wann immer Julja Nawalny am Freitag mit ihrer Entourage durch die Gänge zieht, öffnen sich die Menschentrauben, später trifft sie Kommissionschefin von der Leyen. 

    Die Kommissionschefin hat ihren offiziellen Auftritt erst am Samstag gegen Mittag, und sie muss die Aufmerksamkeit da auch noch mit anderen teilen, da sie nicht redet, sondern an einer Diskussionsrunde teilnimmt. Von der Leyen nutzt die freie Zeit am Freitag, um verschiedene Journalistengruppen um in eigener Sache zu werben und sie über die bevorstehende Kandidatur für eine zweite Amtszeit zu informieren, die sie am Montag in Berlin verkünden wird. Am Samstag dann, wird auch sie sich dafür aussprechen, einen europäischen Verteidigungskommissar zu benennen - sollte sie Kommissionspräsidentin bleiben. 

    Bundeskanzler Olaf Scholz: Europa, alle, müssen mehr tun

    Am Samstagmorgen, ein wenig vor Selenskij, kommt auch der Bundeskanzler nach München. Olaf Scholz ist früh dran. Aber bereits davor ist im Café im ersten Hotel-Stock Hochbetrieb. Finnlands neu gewählter Präsident Alexander Stubb plaudert mit David Cameron, der Großbritannien in den Brexit geführt hat und nun als Außenminister politisch wiederauferstanden ist. 

    Auch Cameron hört, wie Olaf Scholz dann die anderen europäische Länder nachdrücklich auffordert, soviel zur Unterstützung der Ukraine zu tun, wie Deutschland. Er preist Deutschlands wirtschaftliche Stärke, Ampel-Probleme haben im Bayerischen Hof nichts verloren. Scholz fragt rhetorisch in die Runde: „Tun wir genug?“ Um dann selbst zu antworten, wissend, was eine Niederlage bedeuten würde: „Nämlich das Ende der Ukraine als freier, unabhängiger und demokratischer Staat, die Zerstörung unserer europäischen Friedensordnung, die schwerste Erschütterung der UN-Charta seit 1945 und nicht zuletzt die Ermutigung an alle Autokraten weltweit, bei der Lösung von Konflikten auf Gewalt zu setzen.“ Der politische und finanzielle Preis, der dann zu zahlen wäre, sei um ein Vielfaches höher „als alle Kosten unserer Unterstützung der Ukraine heute und in Zukunft.“ Er lobt die ukrainische Armee, vor deren Mut er den und dem hart erkämpften Erfolg er den „allergrößten Respekt“ habe. 

    Scholz: Der Krieg verlangt uns einiges ab

    Und er sagt diese Sätze, die sich an alle westlichen Parlamentarier von Ungarn bis in die USA richten, die über Verteidigungsbudgets zu bestimmen haben: „Wahr ist: Dieser Krieg mitten in Europa verlangt auch uns einiges ab. Ja, Geld, das wir jetzt und in Zukunft für unsere Sicherheit ausgeben, fehlt uns an anderer Stelle. Das spüren wir.“ Dann fügt er hinzu: „Ohne Sicherheit ist alles andere nichts.“

    Niemand weiß das besser als Wolodymyr Selenkij. 

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