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Münchner Sicherheitskonferenz: Selenskyj in München: "Bin bereit, mit Trump an die Front zu reisen"

Münchner Sicherheitskonferenz

Selenskyj in München: "Bin bereit, mit Trump an die Front zu reisen"

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    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj traf in München auch auf US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Wenn es nach ihr ginge, bekäme die Ukraine die ersehnten US-Milliarden.  Aber republikanische Kongress-Abgeordnete haben die Gelder noch immer nicht freigegeben.
    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj traf in München auch auf US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Wenn es nach ihr ginge, bekäme die Ukraine die ersehnten US-Milliarden. Aber republikanische Kongress-Abgeordnete haben die Gelder noch immer nicht freigegeben. Foto: Tobias Schwarz, Pool AFP/AP/dpa

    Es ist 1.01 Uhr am Samstagmorgen, als bekannt wird, dass die ukrainische Armee sich aus Awdijiwka zurückzieht. Die seit Monaten heftig umkämpfte Stadt an der Ostfront wird den Russen überlassen. Auf X schreibt der ukrainische Oberbefehlshaber: „Angesichts der operativen Lage um Awdijiwka habe ich beschlossen, unsere Einheiten aus der Stadt abzuziehen und auf günstigere Stellungen zu verteilen, um eine Einkreisung zu vermeiden und das Leben und die Gesundheit der Soldaten zu schützen“. Gut acht Stunden später, um 9.21 Uhr, Tag zwei der Münchener Sicherheitskonferenz, flackert unruhiges Blaulicht vor dem Bayerischen Hof. Der über Altstadt und Scharfschützen kreisende Hubschrauber hat schon angekündigt, was gleich passieren wird. Gut ein halbes Dutzend gepanzerter Limousinen fährt vor. Eine kurze Verzögerung noch, Sicherheitsleute in Tarnjacken checken ein letztes Mal die Lage, dann öffnet sich die Tür. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj steigt aus, verschwindet binnen Sekunden im Hotel und eilt in den Saal. 

    Drinnen, wo Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, US-Außenminister Antony Blinken, Bundeskanzler Olaf Scholz und viele weitere Staats- und Regierungschefs auf ihn warten, wird er mit stehenden Ovationen empfangen. Selenskyj, schwarzer Militärpullover, tiefe Augenringe, ist zum ersten Mal seit Kriegsbeginn wieder persönlich auf dem Treffen. Er steigt auf die Bühne und beginnt, zunächst auf Englisch, später auf Ukrainisch. 

    Selenskyj: Rückzug aus Awdijiwka „professionelle Entscheidung“

    Es ist die Rede eines Mannes mit dem Mut und der Eloquenz eines zunehmend Verzweifelten - allerdings weit davon entfernt, die Waffen strecken zu wollen. Selenskyj mag verzweifeln, weil viele Tausende seiner Landsleute ihr Leben gelassen haben und vermutlich lassen werden, weil sein Land seit der Annexion der Krim 2014 von den Russen zerstört wird, weil dieser Krieg seit fast zwei Jahren um ein Vielfaches schlimmer geworden ist, weil ihm Soldaten fehlen, weil der Westen nicht genügend Waffen und Munition liefert, weil der US-Kongress die Milliardenhilfen weiter zurückhält. Er sagt: „Wenn die Ukraine allein dasteht, dann werden sie sehen, was passiert: Russland wird uns zerstören, das Baltikum zerstören, Polen zerstören – es ist dazu in der Lage.“ Aber: Er bleibt zugleich kämpferisch. Er fordert, was er immer fordert, mehr Waffen, mit mehr Reichweite, mehr Munition. Er geht Putin scharf an: Der sei "ein Monster", das sich mit Gewalt und Korruption an der Macht halte. Selenskyj, das weiß man, kann reden. Und er kann hart sein: „Fragt nicht die Ukraine“ ruft er, „wann der Krieg endet. Fragt euch selbst, warum Putin noch immer in der Lage ist, ihn weiterzuführen.“ Und, sagt er, dass sein Land in die Nato gehört. Denn: „Wir haben das verdient!“ 

    Und apropos. Seine Worte richten sich auch an Donald Trump. Der frühere und mögliche nächste US-Präsident hatte vor wenigen Tagen bei einem Wahlkampfauftritt sinngemäß gesagt, dass die USA nur die Nato-Länder schützen würden, die genügend für Verteidigung ausgeben. Mit dem Rest könne Russland machen, was es wolle. Trump hatte damit die Sicherheitsgarantie für die Europäer – und also auch die der Ukraine – zur Disposition gestellt. Und damit eine Debatte über die nukleare Ertüchtigung Europas ausgelöst. 

    Selenskyj lädt Trump in die Ukraine ein

    Der vom Schauspieler zum zähen Kriegspräsidenten gereifte Selenskyj wird dann gefragt, ob er den Ex-US-Präsidenten nach Kiew eingeladen habe. „Ja“, antwortet er. „Ob er kommt, hängt von ihm ab. Wenn er kommt, dann bin ich bereit, mit ihm an die Front zu reisen.“ Wenn man im Dialog über das Ende dieses Krieges bleiben wolle, dann müsse man zeigen, „was der wirkliche Krieg“ bedeute – nicht der auf Instagram. Im Publikum, Selenskyj weiß das, sitzen auch US-Abgeordnete der Republikaner. Auch an ihnen liegt es, dass der Kongress rund 56 Milliarden Euro Hilfsgelder noch immer nicht freigegeben hat. Selenskyj ist dankbar für all die Unterstützung, die sein Land erhalten hat. Er sagt das auch, aber der Krieg ist eben noch lange nicht vorbei. Weshalb seine dringlichste Mahnung ist: „Wir müssen als Team zusammenstehen.“ 

    Das tun sie, in diesem Moment. Der Applaus ist lang und laut, wieder stehende Ovationen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist als einer der Ersten bei ihm, es gibt Handschläge, Schulterklopfen, herzliche Worte. Diese Solidaritätsgesten sind Selenskyj sicher sehr willkommen. Aber: Sie kosten nichts. Nicht nur an der Ostfront, bei Awdijiwka, an vielen Verteidigungslinien und in vielen Städten sterben in der Ukraine jeden Tag Menschen. Selenskyj hat die Bühne Sicherheitskonferenz genutzt, um mit Worten für sein Land zu kämpfen. Wie es weitergeht, ob die Welt in eine bessere Ordnung kommt, liegt sehr wesentlich an denen, die er später im Hotel zurücklässt. 

    Im Bayerischen Hof herrscht hektisches Treiben

    Dort herrscht schon seit Freitag fast immer hektisches Treiben und gedrängte Enge. Die deutschen Botschafter bei der Nato und in Russland stehen nebeneinander, während nebenan UN-Generalsekretär António Guterres am Freitagnachmittag die Tagung eröffnet. Ein anderer Botschafter versucht, in den Saal zu kommen, doch seine Zugangskarte verschafft ihm keinen Einlass, auf einmal drängt gleich eine ganze Schar Journalisten an ihm vorbei durch die Tür, die nun offen ist. Die Begleitpresse von Kamala Harris aus den USA hat Vorrang. „Das wird Ärger geben“, sagt der Diplomat. Johannes Hahn läuft durch den Saal, der EU-Budget-Kommissar aus Österreich, er hat gleich ein „Bilateral“, also ein Treffen unter vier Augen, mit dem Regierungschef eines baltischen Landes. So geht das hier über fast drei Tage. Es wird viel gesprochen. Gerüchte, mögliche Nachrichten, machen die Runde. Manche verflüchtigen, manche verdichten sich, etwa dass der scheidende niederländische Ministerpräsident Mark Rutte dem scheidenden Jens Stoltenberg als Nato-Generalsekretär folgen könnte. 

    Das wichtigste Thema der Sicherheitskonferenz aber ist der Blick der Amerikaner, dieses "Was, wenn...". Wie würden sie in München reagieren? Erste Antworten gibt US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Ihre Rede ist mehr oder minder eine einzige Replik auf Trump, eine Beschwörung der internationalen Rolle der USA, eine Beruhigung für die Europäer. Sie sagt: „Diese Allianz ist die größte, die die Welt je gesehen hat. Sie hat Kriege verhindert. Das alles zu riskieren, wäre dumm.“ Die Welt sei gefährlich und instabil, umso mehr brauche es die Führung der Supermacht – im eigenen strategischen Interesse.“ Es gelte: „Wer einen angreift, greift uns alle an.“ 

    Münchner Sicherheitskonferenz unter dem Eindruck von Nawalnys Tod

    Das hören hier fast alle gerne, denn zu was Putin fähig ist, hat sich einmal mehr wenige Stunden vorher verdeutlicht. Harris' Auftritt steht, wie der gesamte erste Tag in München, unter dem Eindruck der Nachricht vom Tod Alexei Nawalnys. Das liegt an der Wucht der Nachricht an sich. Das liegt vor allem aber an dem, was um kurz nach 15 Uhr passiert. Julia Nawalny, Alexeis Frau, ist in München und sie findet die Kraft, auf die Bühne zu kommen, die Kamala Harris soeben verlassen hat. „Vielen Dank", sagt sie in den lauter werdenden Applaus. „Ich habe mich gefragt, was hätte Alexei getan an meiner Stelle. Ich bin mir absolut sicher; er wäre hier geblieben. Er hätte zu Ihnen gesprochen.“ Es ist nur eine kurze Erklärung, aber es ist eine Demonstration des ungebrochenen Widerstands, jedes ihrer Worte sitzt. Sie will, dass die Welt hört: "Putin und alle, die für ihn arbeiten: Sie werden nicht straflos ausgehen. Für das, was sie unserem Land angetan haben, das, was sie meiner Familie angetan haben. Dieser Tag wird bald kommen.“ 

    Wie bald, das ist eben die Frage. Denn so sehr die Biden-Administration und Kamala Harris den Opfern Putins und der Ukraine beistehen wollen, so skeptisch bis distanziert äußern sich isolationistische US-Republikaner, die noch davon überzeugt werden müssen, der Ukraine tatsächlich die so dringend benötigten Gelder freizugeben. 

    Das ist zum Beispiel US-Senator J.D. Vance. Der Trump-Anhänger ist am Sonntagmorgen in einer Diskussionsrunde und sagt dort, er glaube nicht, dass Putin eine existenzielle Bedrohung für Europa sei. Und er liefert eine schonungslos realistische Analyse der Lage: "Wir können nicht so viel Munition schicken wie in den vergangenen 18 Monaten." Das sei schlicht nicht zu machen. "Wir müssen anerkennen, dass wir in einer Welt knapper Ressourcen leben." In dieser Welt sei es den USA nicht möglich, die Ukraine und den Nahen Osten zu unterstützen und gleichzeitig in Asien präsent zu sein. "Das geht einfach nicht." Er nimmt Europa und Deutschland in die Pflicht, mehr zu tun. Und das Wort "Verhandlungslösung" sagt er auch. Vance ist Autor der weltberühmten "Hillbilly Elegy", einem Buch über das Scheitern des amerikanischen Traums, das Bundeskanzler Olaf Scholz einst zu Tränen rührte. 

    Vance Worte in München tun das sicher nicht. Auch der Bundeskanzler hat seinen Auftritt. Er ist am Samstagmorgen früh dran, kurz vor Selenskyj, und er findet, dass Deutschland viel tut, deutlich mehr als die meisten Partner im Westen. Er fordert deshalb die anderen europäischen Länder nachdrücklich auf, ihre Ukraine-Budgets zu vergrößern. Der Kanzler fragt rhetorisch in die Runde: „Tun wir genug?“ Um dann selbst zu antworten, wissend, was eine Niederlage bedeuten würde: „Nämlich das Ende der Ukraine als freier, unabhängiger und demokratischer Staat, die Zerstörung unserer europäischen Friedensordnung“. Der politische und finanzielle Preis, der dann zu zahlen wäre, sei um ein Vielfaches höher „als alle Kosten unserer Unterstützung der Ukraine heute und in Zukunft“. Er lobt die ukrainische Armee, vor deren Mut er den „allergrößten Respekt“ habe. 

    Scholz: Der Krieg verlangt uns einiges ab

    Und er sagt diese Sätze, die sich auch an alle westlichen Parlamentarier von Ungarn bis in die USA richten, die über Verteidigungsbudgets zu bestimmen haben: „Wahr ist: Dieser Krieg mitten in Europa verlangt auch uns einiges ab. Ja, Geld, das wir jetzt und in Zukunft für unsere Sicherheit ausgeben, fehlt uns an anderer Stelle. Das spüren wir.“ Dann fügt er hinzu: „Ohne Sicherheit ist alles andere nichts.“ 

    Taurus-Marschflugkörper könnten für etwas mehr Sicherheit in der Ukraine sorgen.

    Niemand weiß das besser als Wolodymyr Selenkyj. 

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