Am Anfang mussten die Gäste eine ganze Menge lernen. Zum Beispiel, dass man einen Hamburger mit den Händen isst. Und was ein Hamburger überhaupt ist. Die Salzgurke, die im Burger war, nahmen viele raus, sie schmeckte ihnen nicht. Gäste fragten nach Messer und Gabel, alles andere schien unzivilisiert. Trotzdem kamen sie immer wieder. Aus einer Filiale sind in 50 Jahren 1439 geworden.
Am 4. Dezember 1971 eröffnete im Münchner Stadtteil Giesing der erste McDonald’s Deutschlands. Auf der Straße fuhren Opel Mantas, Willy Brandt war Kanzler, im Radio lief der inzwischen vergessene Hit „Mamy Blue“ von den Pop Tops. Die Welt, das Viertel haben sich seitdem gewandelt. Und mit ihnen auch der Blick auf Fast Food und Ernährung. Doch allen Gesundheitsbewegungen zum Trotz steht die erste McDonald’s-Filiale immer noch da. Zwischen Mittlerem Ring und Bowling-Arena, nur eine Straße vom 60er-Stadion entfernt. Fast wie aus der Zeit gefallen.
McDonald's: 1971 mussten die Kartoffeln einzeln geschält werden
Laszlo von Massenbach begann 1973 bei McDonald’s zu arbeiten. Zwei Jahre nach Eröffnung der Filiale in Giesing grillte er dort Burger und bereitete Pommes zu. Wenn er von der Zeit damals spricht, hört man die Nostalgie förmlich durch das Telefon. Mit freundlicher Stimme skizziert der 72-jährige einen Rundgang durch die Vergangenheit. Im Gebäude an der Martin-Luther-Straße gab es damals im Keller Maschinen, um Kartoffeln zu schälen und zu schneiden. „Wir habe jede Kartoffel einzeln in die Maschine gepackt, damit sie der Länge nach geschnitten wird“, erzählt von Massenbach. Denn die Pommes sollten möglichst lang sein. Jeden Morgen wusch, schälte und schnitt er den Tagesbedarf von drei Zentnern.
Heutzutage kommen die Pommes tiefgefroren in den Filialen an. Damit sie möglichst lang sind, müssen Bauern, die McDonald’s beliefern, spezielle Kartoffelsorten anbauen. Alle Pommes sind aus denselben Kartoffelsorten. Alles ist genau berechnet und durchgetaktet. „Damals haben wir mehr improvisiert“, sagt von Massenbach.
Fast Food kam nicht erst 1971 mit McDonald’s nach Deutschland. Imbissbuden mit schnellem Essen haben eine lange Tradition, waren wohl schon in der Antike auf viel befahrenen Handelsstraßen zu finden. Den Beginn der Restaurantketten mit schnellem Essen machte in Deutschland Wienerwald. Ab 1955 verkaufte dessen Gründer Friedrich Jahn in München günstige Hühnchen. 1968 eröffnete in Frankfurt am Main mit Kentucky Fried Chicken eine weitere Hähnchen-Kette.
Historikerin Veronika Settele von der Universität Bremen hat sich unter anderem mit der Esskultur im vergangenen Jahrhundert befasst. „Die Schnelligkeit, mit der man in Fast-Food-Restaurants Essen bekam, passte in die Zeit“, sagt sie. In den 60ern und 70ern wurde vieles effizienter, die Menschen leistungsorientierter. Frauen arbeiteten immer mehr, hatten keine Zeit, lange vor dem Herd zu stehen. Das Essen beschleunigte sich. Gleichzeitig hatten viele Menschen in der Gesellschaft mehr Geld und mehr Freizeit als zuvor. Die im Vergleich zu gutbürgerlichen Restaurants günstigeren Ketten ermöglichten neuen Gruppen, außer Haus zu essen. Junge Menschen Anfang 20 konnten sich jetzt leisten auszugehen. „Die Ketten trugen dazu bei, dass auch außerhalb des Familienverbandes mit Freunden außerhalb gegessen wurde“, sagt Settele. Gerade bei der Jugend kam es gut an, dass sie mit den Fingern essen durften. „Es ging gegen die bürgerlichen Normen und war dadurch befreiend und attraktiv für die Jugendlichen.“
Die McDonald's-Filiale in Giesing ist noch heute ein Treffpunkt für Jugendliche
Wer heute in den Giesinger McDonald’s geht, weiß, dass sich das in 50 Jahren nicht allzu stark geändert hat. Vier Jungs, um die 15 Jahre alt, sitzen an einem Tisch. Sie tragen Kapuzenpullis, Jogginghosen. Einer setzt sich auf den Tisch und springt von dort aus runter, alle lachen. Für manche Jugendliche ist die Filiale ein Treffpunkt. Ein Ort des schnellen Essens für nicht allzu viel Geld. Ein Ort, an dem Benehmen nicht so wichtig ist.
Der McDonald’s an der Martin-Luther-Straße sieht natürlich aus wie alle anderen auch. Die gleichen Tische, die gleichen Servietten, die gleichen Burger. Eine Plakette am Tresen erinnert daran, dass das ein historischer Ort ist, der erste von vielen. An den Wänden hängen Bilder mit alten Plakaten, die zum Beispiel erklären, was ein Burger ist. Lange war der Giesinger McDonald’s unter Jugendlichen besonders beliebt, weil hier jeder seine Getränke selbst nachfüllen konnte. Die Mischung aus Apfelschorle, Cola und Fanta war dann vielleicht kaum mehr genießbar, aber es ging wie so oft bei McDonald’s eher um das Erlebnis als um den Geschmack.
Fast Food in Deutschland
1955 beginnt mit dem ersten Wienerwald in München die Geschichte der Systemgastronomie in Deutschland
Bis zur Corona-Pandemie wuchs der Umsatz der Systemgastronomie stetig. 2019 lag er bei 15,3 Milliarden Euro. 2020 waren es 10,7 Milliarden Euro.
Die Systemgastronomie leidet zwar auch unter Corona, hat aber weniger Einbußen als die klassische Gastronomie.
Mit großem Abstand ist McDonald’s das größte Unternehmen der Systemgastronomie in Deutschland und machte 2020 einen Umsatz von 3,2 Milliarden Euro.
Den zweiten Platz belegt Burger King mit rund 860 Millionen Euro Umsatz.
McDonald’s war 1971 bereits eine riesige Marke. 1940 hatten die Brüder Richard und Maurice McDonald in den USA das erste Restaurant eröffnet. Ab 1955 baute Ray Kroc eine weltweite Kette daraus. Die erste Filiale Deutschlands hätte auch mitten im Zentrum einer Großstadt stehen können. Im Westteil Berlins, in Hamburg oder am Münchner Marienplatz. Stattdessen kam sie nach Giesing, ein Arbeiterviertel, damals häufig als Glasscherbenviertel betitelt. Ein Viertel, in dem die Menschen nicht so gut verdienten, in dem vieles schmutzig und kaputt war. Dem der Ruf anhaftete, krawallig, kriminell zu sein. In diesen Stadtteil direkt an eine viel befahrene Straße also stellte der Hamburger-Riese seinen ersten deutschen Laden. Grund dafür war vor allem die Nähe zur amerikanischen Siedlung. Mit breiten Straßen, dem Cincinnati-Kino und einer eigenen Zahnklinik war ein Teil Giesings sehr amerikanisiert. Der Burgerladen passte gut rein und wurde freudig angenommen. Laszlo von Massenbach, Mitarbeiter fast der ersten Stunde, erinnert sich, wie ein Amerikaner sagte, er habe „Heimweh nach Hamburgern“. Als Jahre später eine Filiale in Wiesbaden eröffnete, fuhren amerikanische Familien stundenlang, nur um bei McDonald’s zu essen.
Ein weiterer Grund für Giesing als Standort der Filiale war sicherlich das Stadion nebenan. In der Saison 71/72 spielte Bayern München im Grünwalder Stadion, der TSV 1860 ebenfalls. Die 60er spielten in der Regionalliga, die Bayern wurden Meister in der ersten. Anfangs waren die Fans noch zögerlich, was Burger anging, aber nicht lange. „Der Laden war dann schnell zu klein“, erinnert sich von Massenbach. Jeden Samstag bildeten sich Schlangen vor dem Laden, manche Schlitzohren machten sogar ein Geschäft daraus. Sie kauften zehn Hamburger auf einmal. Die vertickten sie dann an wartende Fans – gegen Aufschlag, versteht sich.
1971 war die Meinung gegenüber den USA gespalten
Die starke Verbindung mit den USA hatte einen zweischneidigen Effekt für den Laden. Im Jahr 1971 war der Vietnamkrieg in vollem Gang, in Teilen der Bevölkerung herrschte eine starke antiamerikanische Haltung. Für andere war gerade das Amerikanische ein Zeichen für Freiheit, Coolness, die neue Welt. Jeans, Popmusik und McDonald’s waren ein Ausdruck davon.
Zeitgleich mit den immer größer werdenden Fast-Food-Ketten verbreitete sich in den 70ern das Bewusstsein, dass Ernährung krank machen kann. Butter galt bis dahin als gesund, jetzt machten sich Menschen plötzlich Sorgen um ihren Cholesterinspiegel und zu fettes Essen. „Das hat mit der Abnahme von kalorienzehrenden Arbeiten zu tun“, sagt Historikerin Settele. Die Menschen verbrachten mehr Zeit im Büro, bewegten sich weniger. „Zunächst lief das parallel, dann wurden die Gesundheitssorgen in die Speisekarten der Fast-Food-Restaurants integriert“, ergänzt sie. Inzwischen bieten alle Fast-Food-Ketten Salate und Obst an. McDonald’s reduziert Verpackungen, um weniger Müll zu produzieren.
„McDonald’s ist in einer schwierigen Situation“, sagt Gunther Hirschfelder. Der Professor für vergleichende Kulturwissenschaften hat sich auf das Thema Ernährung spezialisiert. In gewissen Gesellschaftsschichten hat McDonald’s laut Hirschfelder einen schlechten Ruf. Gerade junge Menschen versuchten nachhaltig zu leben oder aus Tierschutz auf Fleisch zu verzichten. Da ist der Besuch eines McDonald’s-Restaurant geradezu verpönt. Dabei bezieht McDonald’s viele Produkte aus den jeweiligen Regionen, die Lieferketten sind effektiv. „Kleine Läden sind oft nicht nachhaltiger“, sagt Hirschfelder. Das schlechte Image aber bleibt.
Ungesund sind die klassischen McDonald’s-Produkte tatsächlich. Salat und Obst sind zwar im Angebot, gekauft werden aber vor allem Hamburger mit Pommes. Ernährungsexpertin Andrea Danitschek von der Verbraucherzentrale Bayern sagt, nach wie vor unterschätzten viele Kunden, wie viele Kalorien in einer Portion stecken. „Gerade Kinder sollten nicht zu häufig in solchen Läden essen.“ Hin und wieder als Highlight sei es aber in Ordnung.
Bei McDonald's gehen Kunden kein Risiko ein
Trotz aller Bedenken wächst die Systemgastronomie, zu der Fast-Food-Ketten gehören, immer weiter. Laut dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) befand sich die Systemgastronomie vor der Pandemie auf „stetem Wachstumskurs“.
McDonald’s konnte auch deswegen so schnell wachsen, weil es nach einem Franchise-System funktioniert. Die einzelnen Restaurants werden von Unternehmern geführt, die zwar unter dem offiziellen Namen die offiziellen Produkte verkaufen, aber selbst Preise und Aktionen bestimmen. Und selbst das unternehmerische Risiko tragen. Michan Reiners ist der Franchise-Nehmer der Giesinger Filiale. In seinem eleganten Pullover und mit den gestylten Haaren wirkt er eher wie ein Immobilienmakler denn ein McDonald’s-Leiter. Der 47-Jährige ist erst vor sechs Jahren zu der Kette gekommen, führt drei Filialen in München. „Was mir an McDonald’s besonders gefällt, ist, dass wir ein demokratisches Restaurant sind, wir sind für alle da“, sagt er. Der Vorsitzende esse neben der Sekretärin, die Rentnerin neben den Jugendlichen.
Tatsächlich spricht der Hamburger-Riese weltweit eine breite Kundschaft an. Kulturwissenschaftler Hirschfelder sagt, die Kunden gingen dort kein Risiko ein. Wer in einen McDonald’s geht, bekommt überall den gleichen Burger mit der gleichen Qualität. „McDonald’s hat den Vorteil, in einer unübersichtlichen Welt standardisiert zu sein“, sagt Hirschfelder. Außerdem könnten Menschen mit geringem Einkommen sich hier ein Essen außerorts leisten. „Es gibt auch kein Risiko, mich falsch zu benehmen oder falsch angezogen zu sein.“
Die blödelnden Jugendlichen ziehen weiter, stattdessen sitzt jetzt ein älteres Ehepaar vor seinen Burgern. Der McDonald’s in Giesing mag nie überfüllt sein, aber er ist auch nie ganz leer. „Wir gehören zur Nachbarschaft“, sagt Franchise-Nehmer Reiners. Und zu dieser Nachbarschaft gehören ganz verschiedene Menschen. Kinder quengeln, weil sie bei McDonald’s Spielzeug wollen. Mancher umweltbewusste Student vergisst seine Prinzipien, wenn um zwei Uhr morgens nur noch der Fast-Food-Laden offen hat. Und Jugendliche machen Quatsch, während sie ihr Taschengeld ausgeben. So wie immer eben.